JudikaturJustiz15Os200/96

15Os200/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1997 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Strieder, Dr.Rouschal, Dr.Schmucker und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Heißenberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ramadan Aziz el Sayed Abdel K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 26. September 1996, GZ 20 j Vr 2884/95-68, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit dem Urteil gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßten Widerrufsbeschluß nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und der - im übrigen aufrecht bleibende - Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 2 und zur Eventualfrage 3 sowie das im übrigen unberührt bleibende angefochtene Urteil im Schuldspruch des Angeklagten wegen der (in Tateinheit begangenen) Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A.1. des Urteilssatzes) sowie demzufolge in den Aussprüchen über die Strafe (einschließlich der Vorhaftanrechnung), ferner über die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg und über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Strafsache zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

III. Mit seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf die zu I. getroffene Entscheidung verwiesen.

IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Ramadan K***** der (in Tateinheit verübten) Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB und des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A.1.) sowie des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (A.2.) schuldig erkannt, weil er in Wien (zu A.)

1. im Februar 1994 (zu ergänzen: außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB eine Person, nämlich) die am 2.März 1980 geborene Sara A***** mit Gewalt, nämlich durch Versetzen eines Schlages gegen den Kopf, zur Duldung des Beischlafs genötigt hat, wobei der mit der zur Tatzeit unmündigen Sara A***** (zu ergänzen: unternommene) außereheliche Beischlaf deren Schwangerschaft zur Folge hatte;

2. am 13.September 1996 den Abd el Hamid M***** durch die Äußerung:

"Meine Abrechnung mit dir erfolgt später" gefährlich bedroht hat, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, wobei er diese Äußerung mit einer das Streichen des Bartes andeutenden Handbewegung unterstrich, die diese Drohung bekräftigen sollte.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf § 345 Abs 1 Z 4 und 11 a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise Berechtigung zukommt.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer den Schuldspruch laut A.1. des Urteilssatzes als nichtig (Z 4), weil der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes der Zeugin Sara A***** anläßlich ihrer Einvernahme in der Hauptverhandlung am 12.September 1996 (rechtsirrtümlich) nur die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO vorgehalten hat, anstatt die Zeugin als Angehörige des Angeklagten (rechtsrichtig) auch über ihr Entschlagungsrecht nach derZ 2 leg. cit zu belehren.

Gemäß § 152 Abs 1 StPO sind von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses unter anderem Personen befreit, die 1. sich durch ihre Aussage der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würden oder die im Zusammenhang mit einem gegen sie geführten Strafverfahren Gerahr liefen, sich selbst zu belasten, auch wenn sie bereits verurteilt worden sind; 2. im Verfahren gegen einen Angehörigen (§ 72 StGB) aussagen sollen oder deren Aussage die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung eines Angehörigen mit sich brächte. Nach der weiteren Bestimmung des § 152 Abs 5 StPO hat der Untersuchungsrichter (und kraft der Verweisung in den §§ 248 Abs 1, 302 Abs 1 StPO auch der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes) die in den Absätzen 1 und 2 erwähnten Personen vor ihrer Vernehmung über ihr Entschlagungsrecht zu belehren und ihre darüber abgegebene Erklärung ins Protokoll aufzunehmen; hat der Zeuge auf sein Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine Aussage nichtig.

Beide vorzitierten Normen eröffnen den in Frage kommenden Personen - bei Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen - aus verschiedenen Erwägungen ein absolutes Entschlagungsrecht. Während im ersten Fall (Z 1) jene Zeugen davor bewahrt werden sollen, sich selbst durch ihre Aussage entweder der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung auszusetzen oder sich in einem gegen sie geführten Strafverfahren belasten zu müssen, liegt der Zweck im anderen Fall (Z 2) darin, die seelische Zwangslage zu vermeiden, in die sie geraten könnten, wenn sie vor der Wahl stehen, entweder falsch auszusagen oder einen nahen Angehörigen belasten zu müssen (vgl Mayerhofer StPO4 E 4 f und Foregger/Kodek StPO6 Anm III.1. je zu § 152). Um aber einen Zeugen in die Lage zu versetzen, auf sein Entschlagungsrecht rechtswirksam zu verzichten oder nicht, muß ihm vorher eine rechtsrichtige und vollständige Rechtsbelehrung über alle ihm konkret zustehenden Zeugnisentschlagungsgründe erteilt werden (14 Os 27,28/90 nv).

Vorliegend hat das Erstgericht jedoch ersichtlich (s die Anmerkung "fremd" S 91, 245, 475/I) trotz eindeutiger Verfahrensergebnisse (Aussage der Zeugin A***** S 19 ff, 93 f; Eingeständnis des Angeklagten S 78 f, 228, 239/I; Gutachten samt Ergänzungsgutachten des gerichtsmedizinischen Institutes der Universität Wien ON 20, 30 und S 242/I) übersehen, daß die Zeugin A***** durch die Geburt ihres vom Angeklagten außer der Ehe gezeugten Kindes Reda A***** Angehörige im Sinne des § 72 Abs 1 StGB geworden ist. Wie überdies aus dem vom Obersten Gerichtshof beigeschafften Akt des Bezirksgerichtes Amstetten, AZ 1 P 84/96p, zu entnehmen ist, hat der Beschwerdeführer bereits am 1.Februar 1996 vor dem Amt für Jugend und Familie für den

4. und 5.Bezirk in Wien als Jugendwohlfahrtsträger zur GZ AJF 4/5/v/Ab die Vaterschaft zu diesem Kind im Sinne des § 163 b ABGB anerkannt, die im Standesamt Wien-Innere Stadt unter Geb.-B.Nr. 311/95 eingetragen ist. Damit liegen alle formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Verwandtschaft im bürgerlich-rechtlichen Sinn vor (Leukauf/Steininger Komm3 RN 7 zu § 72 mwN).

Demnach wäre der Vorsitzende (ebenso wie die Untersuchungsrichterin) verpflichtet gewesen, die Zeugin Sara A***** jeweils vor Beginn ihrer Vernehmung auch über den für sie aktuellen Entschlagungsgrund nach der Z 2 des § 152 Abs 1 StPO zu belehren, um ihr solcherart auf der Basis einer rechtsrichtig und vollständig erteilten Rechtsbelehrung die Möglichkeit zu eröffnen, eine für sie sachgerechte Entscheidung zu treffen. Mit dem Vorhalt nur der Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 1 StPO wurde sie bloß darauf hingewiesen, daß sie durch ihre vorausgegangene Zeugenaussage den Angeklagten möglicherweise falsch bezichtigt habe bzw Gefahr laufe, ihn abermals zu verleumden.

Den unter den gegebenen Umständen Nichtigkeit nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO bewirkenden Verstoß vermag (schon wegen des in § 288 Abs 2 Z 3 StPO iVm § 344 StPO statuierten Neuerungsverbotes für das Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde) auch der Umstand nicht zu sanieren, daß die Zeugin A***** in einem vom Vorsitzenden nach Einlangen der Rechtsmittelschrift aufgenommenen Protokoll (ON 78) ausdrücklich erklärt hat, sie hätte in der Hauptverhandlung auch dann ausgesagt, wenn sie im Sinne des § 152 Abs 1 Z 2 StPO richtig belehrt worden wäre (vgl SSt 46/56).

Im Sinne der weiteren Beschwerdeausführungen ist aber nach Lage des Falles auch nicht unzweifelhaft erkennbar, daß die inkriminierte Formverletzung auf die davon betroffene Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO). Denn hätte die (einzige) Belastungszeugin A***** bei entsprechender, vollständiger Belehrung in der Hauptverhandlung auf das ihr als Angehörige des Angeklagten zustehende Entschlagungsrecht nicht verzichtet, hätten demzufolge auch ihre im Vorverfahren gemachten (den Angeklagten gleichfalls belastenden) Angaben nicht verlesen und verwertet werden dürfen, wobei noch anzumerken ist, daß seitens der Untersuchungsrichterin überhaupt keine Belehrung nach § 152 StPO erfolgt ist (91/I).

Durch die in der Hauptverhandlung unterbliebene Belehrung der Zeugin Sara A***** zusätzlich nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO war der unter anderen Prämissen abgegebene Zeugnisentschlagungsverzicht unwirksam, somit deren Zeugenaussage nichtig und unverwertbar.

Aus den dargelegten Erwägungen war daher der Nichtigkeitsbeschwerde im aufgezeigten Umfang Folge zu geben, demgemäß der von der gerügten Formverletzung betroffene Wahrspruch zur Hauptfrage 2 und zur Eventualfrage 3 sowie der darauf beruhende Schuldspruch laut A.1. des Urteilssatzes aufzuheben, insoweit die Verfahrenserneuerung anzuordnen und der Angeklagte mit seiner Berufung auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die zum Schuldspruchsfaktum A.2. des Urteilssatzes erhobene Rechtsrüge (Z 11 a) hingegen entbehrt einer gesetzmäßigen Darstellung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes, die verlangt, daß der Wahrspruch in seinem tatsächlichen Gehalt - jedoch ohne Bindung an die rechtliche Wertung durch die Geschworenen - der Entscheidung des Schwurgerichtshofes zugrunde gelegt und auf dessen Grundlage der Nachweis eines Rechtsirrtums des Erstgerichtes erbracht wird (Mayerhofer aaO § 345 Z 11 a E 1).

Diesem zwingenden Gebot zuwider bekämpft der Nichtigkeitswerber bloß die objektive Eignung der Drohung, indem er zwar formal vorbringt, vom gesamten Sachverhalt (mündliche Drohung und Handbewegung) auszugehen. In Wahrheit konzentriert sich aber seine Beschwerdekritik dann - prozeßordnungswidrig - ausschließlich auf die Handbewegung und unterlegt dieser Geste mit theoretisch/spekulativen Überlegungen nicht nur einen anderen Sinngehalt, sondern stellt sie allein als wesentliches Element der gefährlichen Drohung dar. Demgegenüber haben die Geschworenen - dem Verdiktsinhalt zufolge - vornehmlich der mündlichen Drohung die objektive Eignung zuerkannt (was die Beschwerde mit ihrer isolierten Betrachtung bestreitet), hingegen der damit verbundenen, das Streichen des Bartes andeutenden Handbewegung lediglich eine verstärkende Bedeutung beigemessen. Solcherart geht der Nichtigkeitswerber daher nicht vom tatsächlichen Sachverhalt des bekämpften Wahrspruchs aus.

Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten als nicht gesetzmäßig ausgeführt gemäß § 285 d Abs 1 Z 1 iVm §§ 285 a Z 2, 344 StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen.

Nur der Vollständigkeit halber sei dem im Rahmen des Berufungsvorbringens erhobenen (der Sache nach den Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 8 StPO relevierenden) Einwand erwidert, daß Ausführungen zum außerordentlichen Milderungsrecht nach § 41 StGB grundsätzlich nicht Gegenstand der schriftlichen Rechtsbelehrung sind (Mayerhofer aaO § 345 Z 8 E 71, 73), deren gesetzliche Erfordernisse § 321 Abs 2 StPO abschließend regelt. Aber davon abgesehen enthält der Anhang zur Rechtsbelehrung (vgl Beilage B zu ON 67) ohnehin eine entsprechende Erklärung.

Rechtssätze
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