JudikaturJustiz15Os19/16g

15Os19/16g – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Almir C***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 3. Dezember 2015, GZ 11 Hv 114/15s 51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Almir C***** der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (I.), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (II.), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (III.) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV.) sowie der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 und § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 2001/130 (V.), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idgF (VI.) sowie der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 2 und 3 Z 1, Abs 4 vierter Fall StGB (VII.) schuldig erkannt.

Danach hat er soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant in R***** und anderen Orten

V. zu nicht näher bekannten Zeitpunkten seit dem Jahr 1992 bis zum 30. April 2004 außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB Fikreta C***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie, als sie ihm durch Wegdrehen zu verstehen gab, keinen Geschlechtsverkehr zu wollen, unter Anwendung von Körperkraft jeweils mehrmals auf den Rücken drehte, wobei sie sich immer wieder von ihm wegdrehte, verbal ihren Unwillen bekundete und weinte, ihr teilweise Schläge mit der flachen Hand auf den Kopf versetzte, ihr die Hose auszog, sich auf sie legte, sodass sie sich nicht mehr wegdrehen konnte und an ihr den Geschlechtsverkehr vollzog;

VI. ab dem 1. Mai 2004 bis zum 5. März 2014 Fikreta C***** etwa alle drei bis vier Monate auf die zu V. beschriebene Weise mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt;

VII. „ gegen andere Personen, nämlich seine Gattin Fikreta C***** sowie seinen am 22. Februar 1998 geborenen Sohn Eldin C***** und seine am 12. Jänner 1993 geborene Tochter Nadija Z*****, mithin gegen teils unmündige Personen (Faktum 2.), eine längere, hinsichtlich Fikreta C***** und Eldin C***** jeweils ein Jahr übersteigende Zeit (Fakten 1. und 2.) hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

1. seine Gattin Fikreta C***** im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis 10. März 2014 in R***** und Ro*****

a) in mehrfachen Angriffen mehrmals die Woche, meist täglich, durch das Versetzen von Ohrfeigen, von Schlägen gegen den Kopf und von Tritten gegen den Körper vorsätzlich am Körper misshandelte;

b) durch das Versetzen von Schlägen gegen den Kopf und das Gesicht, festes Packen an den Armen und Herumzerren vorsätzlich am Körper verletzte (Hämatome im Gesicht und an den Unterarmen);

c) am 10. März 2014 durch die gegenüber Eldin C***** telefonisch geäußerte Drohung, zuerst sie und dann sich selbst umzubringen, sowie die gemeinsame Wohnung und das gemeinsame Haus in Bosnien anzuzünden , mit dem Tod und Brandstiftung gefährlich bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

d) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im November 2013 durch Versetzen mehrerer Schläge auf den Kopf, mithin mit Gewalt, zum Zusammenpacken seiner Arbeitssachen für die kommende Woche nötigte;

2. Eldin C***** im Zeitraum 1. Juni 2009 bis 10. März 2014 in R***** und Ro*****

a) zunächst bis zum Jahr 2010 mehrmals, zumindest zweimal wöchentlich, danach etwa zweimal monatlich durch Versetzen von Ohrfeigen, Reißen am Ohr, Zerren durch die Wohnung, Packen und Werfen auf den Boden vorsätzlich am Körper misshandelte;

b) bis zum Jahr 2010 durch monatliche Schläge mit einem Gürtel auf beide Oberschenkel, sowie zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt durch Hochheben, Drücken gegen eine Wand, Versetzen eines Headputs und eines Faustschlages ins Gesicht vorsätzlich am Körper verletzte (Rötungen der Wangen, blaue Flecken an den Oberschenkeln, starke Kopfschmerzen, Beule und Schwellung im Gesicht);

c) durch Versetzen mehrerer Schläge auf den Kopf und gewaltsames Hineinstopfen mehrerer Zigaretten in den Mund, mithin mit Gewalt, zum Essen der Zigaretten nötigte;

3. Nadija Z***** im Zeitraum vom 1. Juni 2009 bis zum Jahr 2010 in R*****

a) durch Versetzen von Ohrfeigen und Schlägen mit der Hand vorsätzlich am Körper misshandelte;

b) durch Versetzen von Schlägen mit der Hand und mit einem Gürtel, sowie im Herbst 2009 durch einmaliges Stoßen zu Boden und anschließendes Würgen mit beiden Händen vorsätzlich am Körper verletzte (blaue Flecken am Hals und am Körper; Blutergüsse an den Füßen bzw. Oberschenkeln).“

Rechtliche Beurteilung

Gegen V. und VI. des Schuldspruchs richtet sich die auf Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Indem der bei seinen Ausführungen nicht nach Nichtigkeitsgründen differenzierende Angeklagte auf seine Verantwortung in der Hauptverhandlung verweist, wonach er das Opfer nicht gegen dessen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen hätte, übersieht er, dass das Erstgericht diese nicht unberücksichtigt ließ, jedoch als Schutzbehauptung wertete (US 11), weshalb von Unvollständigkeit des Urteils (Z 5 zweiter Fall) nicht gesprochen werden kann.

Der „Zweifelsgrundsatz“ (in dubio pro reo) kann niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a sein (RIS Justiz RS0102162).

Mit dem Hinweis auf die Aussage der Fikreta C***** bei ihrer kontradiktorischen Zeugenvernehmung, wonach der Geschlechtsverkehr nicht brutal erfolgt sei, wird kein entscheidender Umstand angesprochen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 399). Ebenso wenig wird auf eine entscheidende Tatsache Bezug genommen, wenn das Erstgericht wie hier eine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisiert hat und der Beschwerdeführer die Täterschaft hinsichtlich einzelner Taten in Frage stellt (RIS Justiz RS0116736). Im Übrigen hat die genannte Zeugin bei ihrer kontradiktorischen Vernehmung keineswegs ausgesagt, der Angeklagte habe sie höchstens fünf bis sechs Mal vergewaltigt. Vielmehr gab sie an, er habe sie etwa alle drei Monate bzw alle drei bis vier Monate unter Anwendung von Körperkraft gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen (ON 23 S 10, 12). Die weitere Deposition der Zeugin, sie habe die Angriffe des Angeklagten „fünf bis sechs Mal als richtige Vergewaltigung empfunden“ (ON 23 S 16), ist unerheblich (vgl RIS Justiz RS0097540).

Dem Rechtsmittelwerber gelingt es mit seinem Vorbringen auch nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken im Sinn des Nichtigkeitsgrundes der Z 5a zu wecken (RIS Justiz RS0119583).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht (auch) die in der Zeit vom 1. Mai 2004 bis zum 31. Juli 2013 begangenen, von VI. des Schuldspruchs umfassten Taten § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 unterstellt hat, obwohl die zu den Tatzeiten geltende Fassung der genannten Bestimmung (BGBl I 2004/15) zufolge der Strafuntergrenze von sechs Monaten günstiger war (§ 61 zweiter Satz StGB).

Weiters fällte das Schöffengericht zu VII. pauschal einen Schuldspruch wegen „der Verbrechen nach § 107b Abs 1, 2, 3 Z 1 und Abs 4 vierter Fall StGB“.

Die Annahme der Qualifikation nach Abs 4 vierter Fall kommt jedoch nur im Fall einer Tat nach Abs 3 in Betracht. Abs 3 Z 1 wurde jedoch nur hinsichtlich des Eldin C***** verwirklicht (vgl US 11). Für eine Qualifikation nach Abs 3 Z 2 finden sich im Ersturteil keine ausreichenden Konstatierungen (vgl neuerlich US 11).

Betreffend Fikreta C***** und Nadija Z***** ist nach den erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen jeweils ein Vergehen nach § 107b Abs 1 StGB anzunehmen.

Zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der demnach verfehlten rechtlichen Beurteilung bestand jedoch keine Veranlassung, weil unrichtige Subsumtion den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt. Indem das Schöffengericht „die zahlreichen Verbrechen und Vergehen“ erschwerend wertete, liegt auch unter dem Blickwinkel der Strafbemessung (Z 11 zweiter Fall) kein Nachteil vor (vgl RIS Justiz RS0114927). Nach Maßgabe dieser Klarstellung entfällt eine Bindung des Oberlandesgerichts an die fehlerhafte Subsumtion des Erstgerichts im Berufungsverfahren (RIS Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.