JudikaturJustiz15Os133/20b

15Os133/20b – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Januar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen L***** S***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 4. September 2020, GZ 62 Hv 14/20z 199, nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde L***** S***** „des Verbrechens“ des Raubes nach §§ 12 dritter Fall, 142 Abs 1 StGB (I./) sowie des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz –

I./ in S***** und andernorts „im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten M***** S***** und Z***** P***** als Mittäterinnen (§ 12 StGB)“ zur Ausführung der strafbaren Handlung von M***** S*****, die in S***** E***** D***** mit Gewalt gegen deren Person fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen hat, indem sie E***** D***** am 15. und am 19. Februar 2017 jeweils eine über die verschriebene Dosis hinausgehende Menge des Medikaments „D*****“ verabreichte und in der Folge einen Rollkoffer, Silberbesteck, zahlreiche Schmuckgegenstände sowie Bargeld im Gesamtwert von zumindest 250.000 Euro aus der Wohnung der E***** D***** wegnahm, dadurch beigetragen, dass er

A. vereinbarungsgemäß (US 4 f) im Vorfeld billigen Modeschmuck ankaufte, den M***** S***** gegen den Goldschmuck von E***** D***** austauschte;

B. sich am 15. und am 19. Februar 2017 gemeinsam mit dem abgesondert verfolgten A***** P***** von der Slowakei nach S***** begab, M***** S***** auftrug, die zusammengetragenen Wertgegenstände für die Abholung zu Recht zu legen, und die Wertgegenstände vereinbarungsgemäß aus dem Haus des Opfers übernahm und in die Slowakei verbrachte;

C. sich am 16. Februar 2017 mit M***** S***** über die weitere geplante Tatausführung beratschlagte und sie anwies, „den Gesundheitszustand der E***** D***** neuerlich zu verändern“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die gegen I./ des Schuldspruchs aus § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

[4] Nach den erstgerichtlichen Feststellungen verabreichte M***** S***** – wie sie es mit dem Angeklagten vereinbart hatte – E***** D***** am 15. und am 19. Februar 2017 jeweils „über die normale Dosierung hinausgehend“ eine Tablette bzw zwei Tabletten des Medikaments „D*****“, um sie zu sedieren und ungestört das Haus nach Wertgegenständen durchsuchen und Wertgegenstände aus dem im Schlafzimmer des Opfers befindlichen Safe an sich nehmen zu können, wobei sie zuvor wartete, bis das Opfer eingeschlafen war (US 3 f, 6).

[5] Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) behauptet eine offenbar unzureichende Begründung der Feststellungen zur Überdosierung des Medikaments, weil das Ersturteil keine Angaben zur Dosierungsempfehlung, zur Tablettenanzahl einer „normalen“ Dosierung, zur Tagesgesamtdosis und zur Anwendungsdauer enthalte. Sie nimmt aber nicht – wie zur gesetzmäßigen Ausführung jedoch geboten (RIS Justiz RS0119370) – die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick. Sie lässt nämlich die beweiswürdigenden Ausführungen der Tatrichter unberücksichtigt, wonach die Zeugin M***** S***** aussagte, sie habe dem Opfer am 15. Februar 2017 eine Tablette „D*****“ und am 19. Februar 2017 zwei Tabletten „D*****“ jeweils über der verordneten Dosis gegeben, damit diese schlafe (US 6).

[6] Weshalb sich den zitierten Feststellungen – wie die Subsumtionsrüge (Z 10) ausführt – nicht entnehmen lassen sollte , dass M***** S***** dem Opfer die Überdosierung des Medikaments ohne dessen Willen verabreichte, bleibt offen (vgl RIS Justiz RS0120379).

[7] Der Rechtsmittelwerber behauptet, aus der erstgerichtlichen Konstatierung, wonach der Angeklagte wusste, dass M***** S***** den Widerstandswillen und den Sachbehauptungswillen der E***** D***** durch den Einsatz des genannten Medikaments brechen sollte (US 5), könne nicht gefolgert werden, dass der Angeklagte auch den Vorsatz hatte, dass das Medikament dem Opfer gegen dessen Willen oder heimlich verabreicht werde. Damit bekämpft er nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung der Tatrichter, ohne materiell rechtliche Nichtigkeit aufzuzeigen. Weshalb die zitierte Feststellung nicht ausdrücken sollte, dass dem Opfer das Medikament entsprechend dem gemeinsamen Tatplan ohne dessen Willen verabreicht wurde , wird nicht klar.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[9] Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
1
  • RS0120379OGH Rechtssatz

    14. Januar 2021·3 Entscheidungen

    Der Einsatz betäubender Mittel ist als Gewalt (auch iSd § 201 Abs 1 StGB idgF) anzusehen. Dieser erweiterte, auf die Beeinträchtigung der Willensfreiheit abstellende Gewaltbegriff setzt allerdings voraus, dass dem Tatopfer ein betäubendes (berauschendes) Mittel ohne seinen Willen verabreicht wird, welches in seiner Wirkung dazu führt, dass eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorgerufen wird, in der dem Opfer eine eigenständige Willensentfaltung unmöglich gemacht wird. Nur dann entspricht das Hervorrufen dieses Zustands der Anwendung von umfassender Gewalt, die mit der völligen Ausschaltung der Willensbildung beim Opfer einhergeht. Das heimliche Verabreichen eines Betäubungsmittels in einer Dosis, welche diese Fähigkeit zur eigenständigen Willensbildung noch nicht ausschaltet, kann hingegen die strafrechtlich geschützte freie Willensbetätigung des Opfers -anders als bei der sonstigen Gewalteinwirkung - weder umlenken noch fremdsteuern, weil dem Tatobjekt mangels Kenntnis eines auf ihn wirkenden Mittels nicht bewusst wird, dass von ihm eine (vom Täter bezweckte) Verhaltensänderung erreicht werden soll. Dass das Opfer durch die Verabreichung eines berauschenden Mittels leichter beeinflussbar wird, kann aber selbst bei extensiver Auslegung des Gewaltbegriffes noch nicht als das Rechtsgut der Freiheit beeinträchtigende und vom Betroffenen als auf ihn einwirkend wahrnehmbare Willenssteuerung angesehen werden.