JudikaturJustiz15Os116/23g

15Os116/23g – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Maringer in der Strafsache gegen * V* wegen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 10 U 32/23x des Bezirksgerichts Bludenz, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 18. Juli 2023 ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 18. Juli 2023, GZ 10 U 32/23x 37, verletzt § 86 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

[1] Im Verfahren AZ 10 U 32/23x des Bezirksgerichts Bludenz legte die Staatsanwaltschaft * V* mit Strafantrag vom 10. März 2023 (ON 19) zur Last, er habe am 29. Dezember 2022 in L* fahrlässig unter den in § 81 Abs 2 StGB umschriebenen Umständen zwei Personen am Körper verletzt und eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit von sechs weiteren Personen herbeigeführt, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol (Atemluftalkoholgehalt von 0,17 [richtig:] mg/l [ON 18.2 S 1 und ON 18.26]) und den Gebrauch anderer berauschender Mittel (Cocain, Zopiclon und Tilidin [ON 10.1 S 9 und ON 18.2 S 1]) in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl er vorher gesehen hatte oder hätte vorhersehen können , dass ihm eine Tätigkeit bevorstehe, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet ist, indem er als Lenker eines Pkw einen anderen Pkw überholte, mit einem entgegenkommenden Fahrzeug streifend kollidierte, von der Straße abkam, eine an einer Bushaltestelle wartende Person niederstieß, auf einen Gehweg weiterrollte, dort gegen eine weitere Person sowie gegen den von ihr geschobenen Kinderwagen prallte und diesen beiseite schleuderte, wodurch die vom Fahrzeug touchierten Personen Prellungen an den Beinen sowie Schürfwunden und Prellungen im Gesicht erlitten.

[2] Diesen Sachverhalt qualifizierte die Staatsanwaltschaft als „d. Vergehen“ der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 StGB und der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB.

[3] D as Bezirksgericht Bludenz stellte das Verfahren mit unbekämpft in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 18. Juli 2023 (ON 37) „nach Bezahlung eines Geldbetrags von 6.150 Euro (inklusive Pauschalkostenbeitrag von 150 Euro) gemäß §§ 198, 199, 200 Abs 5 StPO“ ein. In der Begründung führte das Gericht lediglich aus, der Angeklagte habe den ihm mit – nach Zustimmung der Staatsanwaltschaft unterbreiteten – Diversionsanbot vom 28. Juni 2023 vorgeschriebenen „Geldbetrag gemäß § 200 StPO zugunsten des Bundes“ und den Beitrag zu den Pauschalkosten am 17. Juli 2023 vollständig bezahlt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht der Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz mit dem Gesetz nicht in Einklang.

[5] Gemäß § 86 Abs 1 StPO hat (auch) ein Beschluss, mit dem ein Verfahren nach § 200 Abs 5 iVm § 199 StPO eingestellt wird, neben Spruch und Rechtsmittelbelehrung eine Begründung zu enthalten, in der die tatsächlichen Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen auszuführen sind, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden (§ 86 Abs 1 vierter Satz StPO). Demnach ist insbesondere darzulegen, warum das Gericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 198 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StPO angenommen hat (RIS Justiz RS0119850).

[6] Indem das Gericht seine Entscheidung – überdies unter gänzlicher Ausklammerung der Opferinteressen (vgl aber § 200 Abs 3 und § 206 StPO) – ausschließlich auf die am 17. Juli 2023 erfolgte Leistung des Geldbetrags und des Beitrags zu den Pauschalkosten durch den Angeklagten gründet (BS 1), wird den dargestellten Begründungserfordernissen diversioneller Einstellungsbeschlüsse nicht entsprochen.

[7] Diese dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereichende Gesetzesverletzung war festzustellen (§ 292 fünfter und sechster Satz StPO).

Rechtssätze
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