JudikaturJustiz15Os112/19p

15Os112/19p – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. Oktober 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Kontr. Gsellmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adlan M***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 44 HR 85/19d des Landesgerichts Leoben (AZ 4 St 7/19g der Staatsanwaltschaft Leoben), über die Grundrechtsbeschwerde des genannten Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 20. August 2019, AZ 1 Bs 103/19k, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Adlan M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 22. Juli 2019, GZ 44 HR 85/19d 45, verlängerte das Landesgericht Leoben gemäß § 173 Abs 6 StPO in Verbindung mit § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1, Z 2 und Z 3 lit a StPO die über Adlan M***** am 6. Juli 2019 verhängte Untersuchungshaft.

Seiner dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. August 2019, AZ 1 Bs 103/19k, nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO fort.

Dabei erachtete das Beschwerdegericht den Beschuldigten dringend verdächtig, er habe „im Zeitraum von Juli 2013 bis Dezember 2013 in L*****, H***** (Syrien) und andernorts sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an der aus der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak (ISI) hervorgegangenen terroristischen Vereinigung Jabhat al Nusra Front (Anführer Sayfullah S*****) und weiteren, von dieser beeinflussten Splittergruppen um Abu Umar S***** und seinen Vater Ruslanbek M***** im Wissen, dadurch diese terroristische Vereinigung und deren strafbare Handlungen, nämlich deren Ziel der Errichtung eines nach radikal islamistischen Grundsätzen ausgerichteten, als Kalifat bezeichneten, Gottesstaates auf Grundlage der als islamisches Recht bezeichneten Scharia und deren zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB zu fördern, beteiligt, indem er Vermögenswerte, und zwar einen von ihm in L***** erworbenen PKW Audi Q7 bereitstellte, mit Kalaschnikow Gewehren ausgestattet für Lager der terroristischen Vereinigung Wachdienste hielt, Sporttrainings absolvierte und für die Mitglieder der terroristischen Vereinigung wusch und kochte“ (BS 2).

Diese dringende Verdachtslage subsumierte das Oberlandesgericht dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 (§ 278 Abs 3 zweiter und dritter Fall) StGB.

Das Oberlandesgericht erachtete bereits diesen Tatverdacht als hafttragend und ging daher auf den weiteren dem erstgerichtlichen Beschluss zugrundeliegenden Tatverdacht nicht ein (vgl RIS Justiz RS0120817 [T1, T6]).

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluss des Beschwerdegerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Adlan M*****.

Das Beschwerdevorbringen, welches auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten zu AZ 4 St 202/13z der Staatsanwaltschaft Leoben im Jahr 2015 sowie die mit Verfügung vom 2. April 2019 gemäß § 193 Abs 2 Z 2 StPO angeordnete Fortführung des Verfahrens Bezug nimmt, orientiert sich mit dem Vorbringen, es wäre nicht überprüfbar, ob tatsächlich ein neues Beweismittel vorliege, nicht an der angefochtenen Entscheidung. Demnach wurden die belastenden Angaben des Zeugen Sa*****, welcher Adlan M***** als in Syrien aufhältigen Kämpfer identifizierte (AZ 716 St 35/15z und 16 St 252/14p der Staatsanwaltschaft Wien), erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen diesen bekannt (BS 6 iVm BS 5).

Das Beschwerdegericht hat mit Note vom 8. August 2019 dem Beschuldigten bekannt gegeben, es bestehe die Möglichkeit, dass der dringende Tatverdacht „bloß auf § 278b Abs 2 und § 278e Abs 2 StGB“ gestützt werde, wodurch „der Haftgrund der bedingt obligatorischen Untersuchungshaft nach § 173 Abs 6 StPO“ entfalle. Zugleich wurde der Beschuldigte darüber informiert, dass der bisher nicht angenommene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b oder c StPO erwogen werde. Es wurde dem Beschuldigten Gelegenheit zur Äußerung binnen drei Tagen eingeräumt.

Der Beschwerdeführer behauptet, es hätte „eine Einvernahme und konkrete Befragung des Beschuldigten“ dazu erfolgen müssen, und stützt sich dabei auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, welcher diese Aussage jedoch nicht zu entnehmen ist (14 Os 76/05s, 77/05p). Vorliegend hat das Oberlandesgericht dem Beschuldigten mit der erwähnten Note rechtliches Gehör (vgl dazu RIS-Justiz RS0120050 [T3, T4]) gewährt. Das Erfordernis einer Beschuldigtenvernehmung im Haftbeschwerdeverfahren ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dass die dreitägige Frist für die Stellungnahme „unzumutbar kurz“ wäre, ist mit Blick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO) nicht nachvollziehbar.

Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme von Haftgründen nur darauf, ob sich diese angesichts der vom Beschwerdegericht zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS Justiz RS0117806).

Das Beschwerdegericht stützte seine Überzeugung vom Vorliegen der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO auf den Tatzeitraum von mehreren Monaten, die einschlägige Vorstrafenbelastung sowie auf die Tatsache, dass der Vater des Beschuldigten selbst eine terroristische Gruppe gegründet habe und im Internet an Propagandavideos mitwirke, weshalb eine Kontaktaufnahme und abermalige Radikalisierung des Beschwerdeführers indiziert wäre. Die Tatbegehungsgefahr könne nicht dadurch, dass sich der Beschuldigte in einem Überwachungstool des LVT Steiermark befinde, seinen nunmehr sechsjährigen Aufenthalt in Österreich und die Unterhaltspflicht gegenüber drei Kindern und seine Erwerbstätigkeit entkräftet werden, zumal diese Umstände teilweise auch während des Tatzeitraums vorgelegen seien (BS 7 f). Dass diese Begründung gegen die Kriterien logischen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze verstoße (vgl RIS Justiz RS0118317), zeigt die Grundrechtsbeschwerde, die lediglich auf vom Oberlandesgericht ohnehin erwogene Umstände verweist, nicht auf. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, es bleibe unklar, von welchen Vorstrafen die Beschwerdeentscheidung ausgehe, wird der diesbezügliche Verweis auf den in ON 15 der erstgerichtlichen Akten enthaltenen Strafregisterauszug außer Acht gelassen (BS 7). Mit der Argumentation, bei der Beurteilung der Haftgründe könne es nicht darauf ankommen, wie sich der Vater des Beschuldigten verhalte, wird die Begründung des Oberlandesgerichts betreffend die Verantwortung des Beschwerdeführers übergangen, von seinem Vater dazu gezwungen worden zu sein, „in Syrien aufhältig zu sein und die entsprechenden Handlungen zu tätigen“ (BS 6). Was das laufende Schuldenregulierungsverfahren an der Tatbegehungsgefahr ändern sollte, wird in Übereinstimmung mit dem Beschwerdegericht nicht klar.

Mit dem Vorbringen, der Haftzweck könne auch durch gelindere Mittel gemäß § 173 Abs 5 StPO erreicht werden, zeigt der Angeklagte nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die Substituierbarkeit der Haft durch gelindere Mittel verneinte (BS 9), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS Justiz RS0116422 [T1]).

Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Rechtssätze
3
  • RS0120050OGH, AUSL EGMR Rechtssatz

    22. Mai 2020·3 Entscheidungen

    Der für die Einschränkung der persönlichen Freiheit aus grundrechtlicher Sicht maßgebliche Art 5 Abs 2 MRK (vgl auch Art 4 Abs 3 PersFrSchG) sieht ein Informationsrecht des Verhafteten innerhalb kurzer Zeit nach Festnahme vor. Dieses Informationsrecht erstreckt sich auch auf eine richterliche Prüfung der Fortdauer der Haft im Sinn des Art 5 Abs 4 MRK beziehungsweise Art 6 PersFrSchG als Ausfluss des in diesem Verfahren zu gewährenden rechtlichen Gehörs. Erachtet das Gericht, dass sich die Haftgründe ändern, so ist dies dem Festgenommenen mitzuteilen, damit er seine Verteidigung auf die neue Sachlage einstellen kann. Dies entspricht im Wesentlichen der (insoweit aus Art 6 Abs 1 MRK abgeleiteten) Pflicht des erkennenden Gerichts, dem Angeklagten eine im Vergleich zur von der Staatsanwaltschaft in der Anklage eingenommenen rechtlichen Position in Erwägung gezogene andere rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts im Verfahren offen zu legen (§ 262 StPO), um mit Blick auf die Fairness des Verfahrens der Verteidigung entsprechende Reaktionen darauf zu ermöglichen. § 180 Abs 1 StPO legt daher in Umsetzung dieser grundrechtlichen Vorgaben fest, dass der Beschuldigte vor der Beschlussfassung zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft und damit auch über die in Aussicht genommenen beziehungsweise von der Staatsanwaltschaft vorgebrachten Haftgründe zu befragen ist. Ungeachtet des Umstands, dass Art 5 MRK eine Überprüfung der Haftentscheidung durch eine Rechtsmittelinstanz nicht vorschreibt, sind die im Art 5 Abs 4 MRK vorgegebenen Grundsätze auch im Beschwerdeverfahren zu beachten, wenn - wie in Österreich - ein Instanzenzug vorgesehen ist. Dies auch, wenn das Beschwerdegericht lediglich eine Variante des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr durch eine andere zu ersetzen beabsichtigt.