JudikaturJustiz15Os109/05a

15Os109/05a – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. November 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Besenböck als Schriftführer, in der Strafsache gegen Herbert G***** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 209, 15 StGB, AZ 39 Hv 1080/01z des Landesgerichtes Innsbruck, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Antrag des Herbert G***** auf Erneuerung des Strafverfahrens wird Folge gegeben.

Es werden das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 3. Dezember 2001, GZ 39 Hv 1080/01z-29, sowie der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. Oktober 2002, AZ 20 Ns 156/02z (ON 56 des Hv-Aktes) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit seinen weiteren Aufhebungsanträgen wird Herbert G***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen Teilfreispruch enthaltenden - Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 3. Dezember 2001, GZ 39 Hv 1080/01z-29, wurde Herbert G***** des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 209, 15 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Herbert G***** von Ende Juli bis 1. September 2001 in Kufstein mit mehreren Personen, die das 14., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, nämlich den im Spruch genannten, am 1. März 1986, 15. Mai 1987 und 16. März 1987 geborenen Jugendlichen durch wiederholte Vornahme von Hand- und Oralverkehr bzw Einführen von Fingern in den After gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, wobei es teilweise beim Versuch geblieben ist.

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2002, AZ 20 Ns 156/02z (ON 56 des Hv-Aktes), setzte das Landesgericht Innsbruck gemäß § 31a StGB die verhängte Freiheitsstrafe auf 12 Monate herab.

In dem auch über die Klage des Herbert G***** ergangenen Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 2. Juni 2005 (EGMR; H.G. und G.P gegen Österreich, Application nos. 11084/02 und 15306/02) stellte der Gerichtshof eine in der Verurteilung wegen § 209 StGB gelegene Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK fest, weil die in der Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze.

Aufgrund dieses Urteils beantragte Herbert G***** die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der angeführten Entscheidung des EGMR sind - wie auch der Generalprokurator in seiner Stellungnahme zutreffend ausführt - die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben:

Die Bestimmung des § 209 StGB wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 (G 6/02) unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Durch das am 14. August 2002 in Kraft getretene StRÄG 2002, BGBl I 2002/134, wurde die Strafbestimmung des § 209 StGB beseitigt. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter bestimmten, hier nicht erfüllten Voraussetzungen sexuellen Missbrauch von Jugendlichen. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X) sind die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde (siehe jedoch 11 Os 101/03). Nach Aufhebung dieses Urteils infolge Erneuerung des Strafverfahrens ist jedoch iSd § 1, 61 StGB vorzugehen.

Da die Konventionsverletzung einen für den Verurteilten, dessen neuerliche Bestrafung wegen des in Rede stehenden Verhaltens nach dem Gesagten nicht mehr in Betracht kommt, nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidung ausübt (§ 363a Abs 1 StPO) und nicht dem - mit dem Straffall bisher nicht befassten - Obersten Gerichtshof zuzurechnen ist, war in Stattgebung des Erneuerungsantrages - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der in der gemäß § 35 Abs 2 StPO von der Verteidigung erstatteten Äußerung vertretenen Ansicht - in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 3 StPO wie im Spruch zu entscheiden (vgl Reindl, WK-StPO § 363c Rz 8, RIS-Justiz RS0118443). Mit seinem Antrag auf Aufhebung weiterer Beschlüsse des Landesgerichtes Innsbruck war Herbert G***** hingegen auf diese Entscheidung zu verweisen, weil durch die Erneuerung des Strafverfahrens unter Aufhebung der schuldigsprechenden Entscheidungen allen anderen Verfahrensschritten der Boden entzogen wurde.

Rechtssätze
2
  • RS0118442OGH Rechtssatz

    13. September 2006·3 Entscheidungen

    Mit dem am 14. August 2002 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, entfiel die Strafbestimmung des § 209 StGB. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter speziellen Voraussetzungen ua auch, jedoch ohne geschlechtsspezifische Differenzierung, homosexuelle Kontakte mit Jugendlichen und weist zudem deutlich reduzierte Strafdrohungen auf. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X) sind die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde. Nach Aufhebung eines solchen Urteils infolge Erneuerung des Strafverfahrens sind bei einem Vorgehen nach §§ 1, 61 StGB nur jene Strafbestimmungen zu beachten, die nicht im konkreten Anlassfall vom EGMR als konventionswidrig festgestellt wurden. In dem Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 9. Jänner 2003 (Lausch und Versat gegen Österreich, applications nos 39392/98 und 39829/98) wurde in der Verurteilung nach § 209 StGB eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK festgestellt, weil die in der zitierten Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze. Daraus ergibt sich, dass § 209 StGB als Vergleichsnorm nicht berücksichtigt werden darf und demgemäß eine Verurteilung nach § 207b StGB infolge des Rückwirkungsverbotes des § 1 StGB nicht in Betracht kommt.