JudikaturJustiz15Ns38/16f

15Ns38/16f – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Mann in den Strafsachen gegen Ali A***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB, AZ 40 Hv 9/16a des Landesgerichts Wiener Neustadt, und wegen des Verbrechens der Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 35 Hv 25/16f des Landesgerichts Leoben, über den Kompetenzkonflikt zwischen diesen Gerichten nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 60 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Für die Durchführung des Strafverfahrens gegen Ali A***** ist das Landesgericht Leoben zuständig.

Text

Gründe:

Mit am 10. März 2016 beim Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 40 Hv 9/16a eingebrachtem Strafantrag legt die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Ali A***** ein dem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB subsumiertes Verhalten zur Last, das dieser am 7. März 2016 in B***** gesetzt haben soll (ON 6 des Aktes 40 Hv 9/16a des Landesgerichts Wiener Neustadt).

Der Einzelrichter des Landesgerichts Wiener Neustadt verhängte am 11. März 2016 die Untersuchungshaft über den Angeklagten (ON 9 S 5 und ON 10) und bestellte am selben Tag einen Sachverständigen, den er mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten beauftragte (ON 12). Am 30. März 2016 verständigte das Gericht die für den Angeklagten aufgrund seiner Staatsangehörigkeit zuständige Botschaft, dass „ein Termin für die durchzuführende Hauptverhandlung (…) noch nicht festgelegt“ worden sei (ON 21).

Die Staatsanwaltschaft Leoben brachte am 20. April 2016 beim Landesgericht Leoben zu AZ 35 Hv 25/16f gegen Ali A***** einen Strafantrag ein, in dem sie diesem ein dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./, Tatzeit 17. Februar 2016, Tatort L*****) und ein den Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB subsumiertes Verhalten (zu II./1./ Tatzeit 17. Februar 2016, Tatort L*****; zu II./2./ Tatzeit „zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum 17. Februar 2016 bis 6. März 2016“, Tatort T*****) zur Last legt (ON 3 des Aktes 35 Hv 25/16f des Landesgerichts Leoben).

Der Einzelrichter des Landesgerichts Leoben ordnete am 21. April 2016 die Hauptverhandlung an und verfügte (vgl Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/1 und § 38 Rz 1) die „Abtretung des Verfahrens“ an das Landesgericht Wiener Neustadt zu AZ 40 Hv 9/16a „zur gemeinsamen Führung“ (ON 1 S 2 des Aktes 35 Hv 25/16f des Landesgerichts Leoben).

Das Landesgericht Wiener Neustadt verfügte daraufhin am 26. April 2016, „das Verfahren gegen Ali A***** wegen § 107 Abs 1 und 2 StGB (...) an das Landesgericht Leoben zur Verbindung mit dem dort gegen den Angeklagten anhängigen Verfahren AZ 35 Hv 25/16f gemäß § 37 Abs 3 iVm Abs 2 zweiter Satz StPO“ abzutreten (ON 27 des Aktes 40 Hv 9/16a des Landesgerichts Wiener Neustadt).

(Erst) dieses Gericht legte die beiden Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vor.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 37 Abs 3 StPO sind, sofern zu dem Zeitpunkt, zu dem die Anklage rechtswirksam wird, ein Hauptverfahren gegen den Angeklagten anhängig ist, die Verfahren – mittels

prozessleitender Verfügung (§ 35 Abs 2 zweiter Fall StPO) – zu verbinden, wobei sich die

Zuständigkeit des Gerichts (für die verbundenen Verfahren) auch in diesem Fall nach § 37 Abs (1 und) 2 StPO bestimmt. Demnach ist unter Gerichten gleicher Ordnung bei Fehlen einer Sonderzuständigkeit jenes Gericht zur Entscheidung über sämtliche Tatvorwürfe berufen, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO).

Eine Verbindung von auf verschiedenen Anklagen basierenden Hauptverfahren setzt Rechtswirksamkeit der den betroffenen Verfahren zugrundeliegenden Anklagen (§ 210 Abs 1 StPO) voraus (vgl Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7). Zwar sieht das Gesetz im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts – anders als in jenem vor Kollegialgerichten (vgl § 213 Abs 4 StPO) – keine förmliche Beschlussfassung über die Rechtswirksamkeit der Anklage (des Strafantrags) vor, der Strafantrag ist jedoch vom Einzelrichter amtswegig nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO zu überprüfen, wobei schon wegen der mit der Rechtswirksamkeit der Anklage (des Strafantrags) verbundenen rechtlichen Konsequenzen der positive Ausgang dieser Prüfung im Akt unmissverständlich zu dokumentieren ist (RIS Justiz RS0123445 [T6]).

Im vorliegenden Fall hat das Landesgericht Wiener Neustadt die Prüfung des Strafantrags der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 10. März 2016 nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO zwar nicht ausdrücklich im Akt festgehalten, dass letztere dennoch – mit positivem Ergebnis – vorgenommen wurde, ist aber durch die am 11. März 2016 erfolgte Auftragserteilung zur Erstellung eines ausschließlich der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienenden Sachverständigengutachtens (vgl dazu Danek/Mann , WK StPO § 221 Rz 23/3 und § 222 Rz 6) unmissverständlich dokumentiert, wofür auch die Note vom 30. März 2016 (arg.: „die durchzuführende Hauptverhandlung“) spricht.

Da die in Rede stehenden Gerichte solche gleicher Ordnung sind, Sonderzuständigkeiten nicht vorliegen und die Ausnahmebestimmung des § 37 Abs 2 letzter Satz StPO nicht greift (RIS Justiz RS0128993; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 9), gibt gemäß § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO die früheste Straftat, nämlich der mit Strafantrag der Staatsanwaltschaft Leoben zu I./ erhobene Vorwurf eines in L***** begangenen Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB am 17. Februar 2016 (die Vorwürfe zu II./ dieses Strafantrags folgen ersterem zeitlich nach; vgl ON 2 S 19 des Aktes AZ 35 Hv 25/16f des Landesgerichts Leoben) den Ausschlag für die Zuständigkeit des Landesgerichts Leoben. Dieses hat daher zufolge subjektiver Konnexität die Verfahren zu verbinden und das Hauptverfahren durchzuführen.