JudikaturJustiz14Os97/07g

14Os97/07g – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Oktober 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Cornel M***** wegen der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Mai 2007, GZ 32 Hv 36/07g-72, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Cornel M***** der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (A/I/ und III/), des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A/II/), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (B/) sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (C/) schuldig erkannt. Danach hat er - soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten - A/ am 4. November 2006 nachgenannte Personen durch mehrere Schüsse aus einer Pistole Marke CZ 75, Kal 9 mm, aus kurzer Entfernung eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, und zwar

I/ Gheorghita S***** durch Durchschuss des linken Unterschenkels eine Durchtrennung der Kniekehlenschlagader und der Kniekehlenblutader, eine Läsion des Schienbeinnervs und Muskelzerreissungen, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge, nämlich die Amputation des linken Unterschenkels im Kniegelenksbereich, zur Folge hatte;

II/ Dorel S***** durch einen Steckschuss in den linken Fuß Trümmerbrüche des ersten und zweiten Mittelfußknochens;

III/ Gica S***** durch einen Steckschuss in den linken Oberschenkel einen Schussbruch des linken Oberschenkelschaftes und eine Durchtrennung der Oberschenkelschlagader, was zu lebensgefährlichen Komplikationen durch Nierenversagen infolge der Verletzung führte, wobei die Tat eine schwere Dauerfolge, nämlich eine bleibende erhebliche Funktionsminderung des linken Beines, zur Folge hatte. Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Der nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe orientierten Mängelrüge zuwider hat das Schöffengericht die Feststellung einer auf die Zufügung von schweren Körperverletzungen gerichteten Absicht des Angeklagten im Einklang mit Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen aus den Schilderungen der Tatopfer über den Geschehensablauf - damit also aus dem äußeren Tatgeschehen - abgeleitet (US 12) und zudem darauf gestützt, dass der Angeklagte nach den für glaubwürdig befundenen Angaben des Zeugen Gheorghita S***** seine Taten durch die Äußerung, „er werde ihnen zeigen, um welche Waffe es sich (bei der von einem der Tatopfer vermeintlich für eine Gaspistole gehaltenen) Waffe handle", angekündigt hatte (US 13). Der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wissen oder Wollen ist nicht zu beanstanden und bei leugnenden Angeklagten in der Regel methodisch gar nicht zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 452). Undeutlichkeit des Urteils oder offenbar unzureichende (Schein )Begründung liegt der Beschwerde zuwider demnach nicht vor.

Welcher weitergehenden „besonders ausführlichen" Begründung die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite im Lichte der - vom Erstgericht mit ebenfalls mängelfreier Begründung als unglaubwürdig und durch die Zeugenaussagen widerlegt angesehenen (US 12 ff) - Verantwortung des Angeklagten, er habe sich bedroht gefühlt, bedurft hätte, legt die Beschwerde nicht dar. Gleichermaßen unklar bleibt, weshalb der Umstand, dass der Angeklagte vor den angeklagten Tathandlungen einmal in die Luft schoss oder die Verfahrensergebnisse zu den inkriminierten Schussabgaben - gerade - in Richtung der unteren Extremitäten der Tatopfer der Annahme einer absichtlichen Zufügung der dadurch in diesen Körperregionen herbeigeführten schweren Verletzungen entgegenstehen und solcherart besonders erörterungsbedürftig sein sollten. Der Einwand unvollständiger Begründung der kritisierten Konstatierung (Z 5 zweiter Fall) ist daher ebenfalls nicht zielführend.

Mit dem isolierten Hinweis auf einen bloßen Satzteil der Aussagen des Angeklagten in der Hauptverhandlung wird deren aktenwidrige Wiedergabe im Urteil (Z 5 dritter Fall) nicht aufgezeigt, weil bei gebotener Gesamtbetrachtung (S 343 f/II) der Angeklagte sehr wohl - wie in der Entscheidungsbegründung dargestellt - zum Ausdruck gebracht hat, er habe nicht gezielt geschossen, sondern nur Angst machen wollen und daher nicht geglaubt, dass es zu Verletzungen kommen wird.

Der Einwand fehlender Begründung (Z 5 fünfter Fall) der Annahme der subjektiven Vorhersehbarkeit der Herbeiführung schwerer Dauerfolgen (in Ansehung der Schuldsprüche A/I/ und A/III/) vernachlässigt ein weiteres Mal, dass die Tatrichter die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite pauschal (auch) auf die Angaben der Tatopfer S***** gestützt (US 12) und solcherart (auch) die in Rede stehende Zurechnungsvoraussetzung der qualifizierten Verletzungserfolge aus dem von den Tatopfern geschilderten äußeren Tatgeschehen, nämlich von Schussabgaben aus einer Pistole mit dem Kaliber 9 mm aus sehr kurzer Distanz gegen die unteren Extremitäten, abgeleitet haben, was unter dem Gesichtspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes nicht zu beanstanden ist.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag auf der Grundlage spekulativer Erwägungen, wonach der Angeklagte „aller Wahrscheinlichkeit nach und nach allgemeiner Lebenserfahrung auf andere empfindlichere Körperregionen (Rumpf, Kopf) gezielt" hätte, wenn es ihm tatsächlich darauf angekommen wäre, schwere Verletzungen zuzufügen, auf der Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldsprüchen (zu A/) zugrunde liegenden Feststellung der auf Zufügung von schweren Körperverletzungen gerichteten Absicht des Angeklagten hervorzurufen. Gleiches gilt für die nicht realitätsbezogene Behauptung, die von den Schussabgaben betroffenen unteren Extremitäten stellten „grundsätzlich unempfindliche Körperteile" dar.

Auch die gegen die Annahme der Erfolgsqualifikation nach § 87 Abs 2 erster Fall StGB gerichtete (nominell verfehlt auch auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte) Subsumtionsrüge (Z 10) geht fehl. Nach insoweit übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung muss der Täter keineswegs alle Einzelheiten des Kausalverlaufs vorauszusehen in der Lage sein. Vielmehr genügt dessen Voraussehbarkeit in den wesentlichen Zügen. Für die subjektive Zurechenbarkeit des Erfolgs (§ 7 Abs 2 StGB) reicht es aus, wenn der Täter allgemein voraussehen kann, dass dieser in einer Weise zustande kommt, die den Anforderungen des Adäquanz- und Risikozusammenhangs genügt, wogegen die Vorhersehbarkeit des konkreten Kausalverlaufs innerhalb dieses Rahmens nicht erforderlich ist (Burgstaller in WK2 § 6 Rz 97 f; Fuchs AT I6 26/9; Kienapfel/Höpfel AT I12 Z 25 Rz 33).

Indizien in Richtung der Beschwerdebehauptung, wonach die Amputation des linken Unterschenkels (A/I/) sowie eine bleibende erhebliche Funktionsminderung des linken Beines (A/III/) als Folge der Abgabe von Schüssen aus einer Pistole mit dem Kaliber 9 mm aus kurzer Distanz auf die betroffenen Körperregionen „völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung" liege (vgl Burgstaller in WK2 § 6 Rz 63; Kienapfel/Schroll BT I5 § 80 Rz 48 f; Fuchs AT I6 13/24 ff; Kienapfel/Höpfel AT I12 Z 25 Rz 28 ff), nennt die Beschwerde mit ihrem bloßen Hinweis auf einen nach dem medizinischen Sachverständigengutachten gegebenen „komplizierten und verzögerten" Heilungsverlauf nicht.

Da zwar nicht die Kausalität, wohl aber die als Ausnahme angelegte objektive Erfolgszurechnung - prozessual gesehen - eine negative Tatbestandsvoraussetzung darstellt und daher ausdrücklicher Feststellungen nur bedarf, wenn deren Ausschluss indiziert ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602), entzieht sich der eines entsprechenden konkreten Hinweises entbehrende Vorwurf mangelnder Feststellungen dazu einer inhaltlichen Erwiderung. Ohne Hinweis auf ein übergangenes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat kann zwar ein Rechtsfehler infolge fehlender Feststellungen, nicht aber ein Feststellungsmangel geltend gemacht werden (WK-StPO § 281 Rz 600; 14 Os 28/05g, EvBl 2005/170, 809 uva; zuletzt 13 Os 102/06h mwN).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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