JudikaturJustiz14Os95/23m

14Os95/23m – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 2023 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Gindl in der Strafsache gegen * P* K* wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB, AZ 14 Hv 25/23f des Landesgerichts für Strafsachen Wien (vormals AZ 10 U 83/23b des Bezirksgerichts Liesing), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 17. Juli 2023 (ON 1.5, 1) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Mag. Holzleithner, und des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 17. Juli 2023, AZ 10 U 83/23b (ON 1.5, 1), verletzt § 450 erster Satz StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Liesing verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom 27. Juni 2023 legte die Staatsanwaltschaft Wien * P* K* ein als Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB beurteiltes Verhalten zur Last (ON 3).

[2] Am 6. Juli 2023 beraumte die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Liesing die Hauptverhandlung für den 12. Oktober 2023 an (ON 1.4, 1). Am 17. Juli 2023 fasste sie (nach Abberaumung der Hauptverhandlung) den – im Übrigen weder ausgefertigten noch zugestellten (vgl dazu Bauer , WK StPO § 450 Rz 5 ff) – Beschluss, den „Strafantrag … gemäß § 38 StPO“ dem (ersichtlich gemeint: sachlich) „zuständigen Landesgericht für Strafsachen Wien“ zu überweisen. Begründend führte sie aus, das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten erfülle entweder das Vergehen des schweren Diebstahls „nach § 128 Abs 1 Z 1 StGB“ oder das Verbrechen des Raubes „nach § 142 Abs 1 StGB“ (ON 1.5, 1).

Rechtliche Beurteilung

[3] Dieser Beschluss steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht in Einklang:

[4] Gemäß § 450 erster Satz StPO hat das Bezirksgericht, wenn es der Ansicht ist, dass das Landesgericht zuständig sei, vor Anordnung der Hauptverhandlung seine sachliche Unzuständigkeit mit Beschluss auszusprechen. Nach Eintritt der – durch die Anordnung der Hauptverhandlung (nach amtswegiger Prüfung des Strafantrags) zum Ausdruck gebrachten (RIS Justiz RS0132157) – Rechtswirksamkeit der Anklage kommt ein solcher beschlussförmiger Ausspruch der sachlichen Zuständigkeit eines höherrangigen Spruchkörpers für die vom Strafantrag (§ 451 Abs 1 StPO) erfassten Taten nicht mehr in Betracht. In einem solchen Fall hat dies mit Unzuständigkeitsurteil (§ 447 iVm § 261 StPO) zu erfolgen ( Bauer , WK StPO § 450 Rz 1; Oshidari ebd § 38 Rz 2 und 11).

[5] Da hier die Rechtswirksamkeit der Anklage bereits durch die Anordnung der Hauptverhandlung am 6. Juli 2023 eingetreten war (vgl Oshidari , WK StPO § 37 Rz 7/1 und § 38 Rz 7/1), verletzt der Beschluss vom 17. Juli 2023, mit welchem die sachliche Unzuständigkeit ausgesprochen wurde (ON 1.5, 1), § 450 erster Satz StPO.

[6] E ine dem Angeklagten nachteilige Wirkung dieser Gesetzesverletzung war nicht auszuschließen, weshalb sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Rechtssätze
2
  • RS0132157OGH Rechtssatz

    31. Januar 2024·3 Entscheidungen

    1. Die Verbindung zweier Hauptverfahren gemäß § 37 Abs 3 StPO setzt – auch im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts oder dem Bezirksgericht – die Rechtswirksamkeit (§ 4 Abs 2 StPO) beider Anklagen voraus. Im Fall des § 37 Abs 3 zweiter Halbsatz iVm Abs 2 zweiter Satz StPO zuständigkeitsbegründend zuvorgekommen ist jenes Gericht, bei dem die Anklage zuerst rechtswirksam wurde. 2. Im einzelrichterlichen Verfahren tritt die Rechtswirksamkeit der Anklage mit dem positiven Abschluss einer amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags ein. Sie findet dort jedoch – anders als im kollegialgerichtlichen Verfahren – keinen beschlussförmigen Ausdruck, sondern zeigt sich erst im darauf folgenden Akt der Einleitung des Hauptverfahrens. 3. Die Einleitung des Hauptverfahrens (§ 4 Abs 2 StPO) geschieht im einzelrichterlichen Verfahren durch die Anordnung der Hauptverhandlung (§ 450 und § 485 Abs 1 Z 4 StPO). Unter dieser Anordnung wird (keineswegs nur das "Ausschreiben" einer Hauptverhandlung, sondern) jedes Verhalten des Gerichts verstanden, das die Bejahung der Prozessvoraussetzungen (den positiven Ausgang der amtswegigen Vorprüfung) unmissverständlich erkennen lässt. Dies trifft auf jede Entscheidung zu, deren Ergebnis keines nach (im landesgerichtlichen Verfahren:) § 485 Abs 1 Z 1 bis Z 3 StPO oder (im bezirksgerichtlichen Verfahren:) § 450 erster Satz StPO (beschlussförmiger Ausspruch sachlicher Unzuständigkeit), § 451 Abs 2 StPO (beschlussförmige Verfahrenseinstellung) oder § 38 StPO (Wahrnehmung eigener Unzuständigkeit nach § 36 Abs 3, Abs 5; § 37 Abs 1, Abs 2 StPO) ist, also jeder contrarius actus dazu. 4. Bei der amtswegigen Vorprüfung des Strafantrags (noch) außer Betracht zu bleiben hat die Anhängigkeit eines im Sinn des § 37 Abs 3 StPO konnexen Hauptverfahrens bei (irgend-)einem Gericht. Vielmehr hat sich die Vorprüfung – isoliert – auf jenes (Haupt-)Verfahren zu beziehen, das durch die Einbringung dieses (einen) Strafantrags begonnen hat.