JudikaturJustiz14Os82/04

14Os82/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. August 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Sengstschmid als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Claudiu C***** und einen weiteren Angeklagten wegen der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen des Menschenhandels nach §§ 217 Abs 1 erster Fall a.F., 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Claudiu C***** und Harald G***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht vom 16. Februar 2004, GZ 7 Hv 68/03x-142, nach Anhörung des Generalprokurators in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch I.B., demzufolge auch im den Angeklagten Claudiu C***** treffenden Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Claudiu C***** auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Harald G***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet. Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Freisprüche enthaltenden Urteil wurde Claudiu C***** des Verbrechens (richtig der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen) des Menschenhandels nach §§ 217 Abs 1 erster Fall a.F., 15 StGB (I.A.1.a.), des Verbrechens (richtig der Verbrechen) des Menschenhandels nach § 217 Abs 2 a.F. StGB (I.A.2.a. - c.), des Verbrechens (richtig des Vergehens) des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (I.B.1. und 2.), des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I.C.) und des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (I.D.) sowie Harald G***** des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 erster Fall a.F. StGB (I.A.1.b.) schuldig erkannt. Danach haben sie

I.A.1. eine Person, mag sie auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben sein, dieser Unzucht in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, zugeführt und sie hierfür angeworben bzw versucht, sie zuzuführen und hiefür anzuwerben, und zwar

a. Claudiu C***** im Juni 2002 in Rumänien, Österreich (Steiermark, Burgenland) und anderen Orten, indem er die rumänischen Staatsangehörigen Oana Cadruta C***** und Violeta Co***** sowie Mirela Rodica P***** in Rumänien anwarb und sie nach Österreich in Bordellbetriebe verbrachte;

b. Harald G***** im Jänner 2002 in Budapest und anderen Orten Nicoleta Diana Pi*****, die er in einen Bordellbetrieb nach Markt Allhau verbrachte;

2. Claudiu C***** Personen mit dem Vorsatz, dass sie in einem anderen Staat als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, gewerbsmäßige Unzucht betreiben, durch Täuschung über dieses Vorhaben verleitet, sich in einen anderen Staat zu begeben, und unter Ausnützung ihres Irrtums über dieses Vorhaben in einen anderen Staat befördert, nämlich unter der Vorgabe, in Österreich als Tänzerinnen arbeiten zu können, seit zumindest dem Jahre 2000 bis zumindest September 2002 die unten genannten rumänischen Staatsbürgerinnen aus Rumänien und Ungarn in einen Bordellbetrieb nach Markt Allhau verbracht, und zwar

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Claudiu C***** kommt ebenso wie jener auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harald G***** keine Berechtigung zu.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Claudiu C*****:

In der Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags (S 353 f/V), eine Anfrage an das österreichische Außenministerium zu richten, welche Unterlagen bei Ausstellung eines Visums für Rumänen unterfertigt werden müssen, insbesondere ob der angesprochene rumänische Erklärungstext über die Art der ausgeübten Tätigkeit (im konkreten Fall des Prostitutionsvisums) zum normalen Verfahren gehört; dies zum Beweis dafür, dass die einreisewilligen Frauen gewusst haben, welcher Tätigkeit sie in Österreich nachgehen. Die damit angestrebte Beweisführung zur Abklärung, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten ist, entspricht jedoch einem im Stadium der Hauptverhandlung unzulässigen Erkundungsbeweis (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 330). Im Hinblick darauf erübrigt sich ein Eingehen auf das weitwendige Beschwerdevorbringen, mit dem der Rechtsmittelwerber im Übrigen prozessual verspätet (vgl aaO Rz 325) zusätzliche Argumente für die Notwendigkeit der Beweisführung vorbringt.

Die in der Mängelrüge (Z 5) zum Schuldspruch I./B./2. vorgebrachte Aktenwidrigkeit bei Begründung der Täuschung liegt nicht vor. Dass Olivero Alessandro Fabricio C***** nach seinen - im Urteil protokollgetreu zitierten (US 30 f) - Angaben für das Eingehen einer Scheinehe mit Sandra Vasilica K***** eine Einmalzahlung von 10.000,-- S und danach monatlich 5.000,-- S angeboten wurden (S 591/II), steht überdies der vom Schöffensenat gezogenen Schlussfolgerung nicht entgegen, wonach Claudiu C***** gegenüber K***** vorspiegelte, C***** tatsächlich 1.744,15 Euro bezahlt zu haben, obgleich er ihm lediglich maximal 508,71 Euro übergeben hatte.

Das übrige, nur gegen den Schuldspruch I.B.2. gerichtete Vorbringen in der Mängelrüge betrifft keine entscheidungswesentlichen Tatsachen, bezieht sich doch der Beschwerdeführer lediglich auf Verfahrensergebnisse, die einen zwar geringeren, zusammen mit dem Faktum I.B.1. aber dennoch die Qualifikationsgrenze nach § 147 Abs 2 StGB übersteigenden Betrugsschaden indizieren. Insoweit ist dieser Angeklagte allerdings auf die amtswegige Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO zu verweisen. Die Tatsachenrüge (Z 5a) wendet sich gegen die vom erkennenden Gericht vorgenommene Beweiswürdigung, welche sich auf jeweils breit dargestellte Eindrücke von den vernommenen Zeugen stützte, wobei der Rechtsmittelwerber deren teilweise divergierenden Angaben aus einer für ihn günstigeren Sicht interpretiert. Solcherart vermag er aber keine erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Mit dem Einwand, in Bezug auf die von den Tatrichtern dem Schuldspruch I.C. und I.D. zugrunde gelegten, lediglich vor der Sicherheitsbehörde gemachten und in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben der Zeugin Magdalena L***** fehlten objektive Beweise für deren Richtigkeit, lässt die Beschwerde die Erwägungen des Schöffensenates betreffend die aus den Aussagen der Zeuginnen Pi*****, H*****, K***** und P***** (US 34 ff) sowie die aus den insoweit belastenden Angaben des Mitangeklagten Harald G***** (US 50) gewonnenen Anhaltspunkte zu diesem Geschehen außer Acht. Die weitere Rüge, wonach der vor dem erkennenden Gericht nicht vernommenen Zeugin Magdalena L***** zwar im Umfang des Schuldspruches I.C. und I.D. geglaubt, im Umfang ihrer belastenden Angaben zum mit Freispruch II.C.1. erledigten Anklagevorwurf hingegen nicht geglaubt worden sei, übergeht, dass der erwähnte Freispruch trotz bestehender Verdachtslage vor allem mangels Feststellbarkeit der subjektiven Tatseite erfolgte (US 32).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Harald G*****:

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), mit der Mängel an Feststellungen zum Schuldspruch A./1./b. vorgebracht werden, missachtet die das Tatbildmerkmal des Zuführens hinreichend determinierenden Konstatierungen, denenzufolge Harald G***** Nicoleta Diana Pi***** aus Ungarn abholte und sie in seinem Bordellbetrieb unterbrachte (US 24), wobei er schon in Ungarn den Kontakt zu dieser Zeugin herstellte, mit ihr die Ausübung der Prostitution besprach und auch das für den Grenzübertritt notwendige Visum besorgte (US 11, 25, 52). Gleiches gilt für den - inhaltlich eine Subsumtionsrüge (Z 10: bloßer Versuch iSd § 15 StGB) zum Ausdruck bringenden - Einwand, es lägen Feststellungsmängel zur tatsächlichen Aufnahme der gewerbsmäßigen Unzucht in Österreich vor; ging doch das Erstgericht ausdrücklich davon aus, dass Nicoleta Diana Pi***** in dem vom Beschwerdeführer betriebenen Bordell in Markt Allhau als Prostituierte arbeitete (US 11, 25).

Da das Schöffengericht dem Angeklagten nur ein Zuführen zur gewerbsmäßigen Unzucht in Österreich anlastete und im Übrigen Zuführen und Anwerben rechtlich gleichwertige Begehungsformen erfassen, sodass das Delikt bereits mit einer dieser Tathandlungen erfüllt ist (vgl Philipp in WK² § 217 Rz 19; Leukauf/Steininger Komm3 § 217 RN 6), geht die Rüge betreffend Mängel an Feststellungen zum Anwerben ins Leere.

Mit dem unsubstanziierten Vorwurf fehlender Feststellungen zu einem "vom Täter gewollten Abhängigkeitsverhältnis, um so die Gewinnung behördlichen Schutzes durch die Prostituierte zu erschweren und ihre Entscheidungsfreiheit zu beeinträchtigen" leitet die Beschwerde nicht aus dem Gesetz ab, weshalb eine solche restriktive Auslegung des § 217 Abs 1 StGB geboten wäre. Dieses Vorbringen stellt im Übrigen unreflektiert auf eine von der Generalprokuratur lediglich in einer vereinzelt gebliebenen Stellungnahme aus der (früheren) Deliktsbezeichnung "Menschenhandel" abgeleitete (vgl 11 Os 109/96, JBl 1998, 328 m krit Anm Presslauer; idS auch Bertel/Schwaighofer BT II4 § 217 Rz 3) und den äußersten Wortsinn des Tatbestandes überschreitende, teleologisch-einschränkende Interpretation ab, die von der herrschenden Meinung aber zu Recht abgelehnt wird (vgl Kienapfel/Schmoller BT III § 214 - 217 Rz 58; Philipp in WK² § 217 Rz 16; Fabrizy StGB8 § 217 Rz 2; Mayerhofer StGB5 § 217 Anm 2a; 11 Os 109/96, JBl 1998, 328).

Die teils offenbar unbegründeten, teils nicht dem Gesetz gemäß ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Harald G***** (§ 285i StPO).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden war jedoch gemäß § 290 Abs 1 StPO von Amts wegen der sich zum Nachteil des Angeklagten Claudiu C***** auswirkende Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO wahrzunehmen.

Das Erstgericht ging im Schuldspruch I.B. davon aus, dass Claudiu C***** Sandra Vasilica K***** dazu verleitete, einmal 1.308,11 Euro und ein weiteres Mal 1.744,15 Euro zu bezahlen (US 3). Dazu finden sich allerdings divergierende Urteilsannahmen. Einerseits ging das Schöffengericht beim Schuldspruch I.B.1 davon aus, dass der Beschwerdeführer mindestens 42.000,-- S (= 3.052,26 Euro) ohne Gegenleistung für sich behielt (US 30). Andererseits konzedierte es, dass bei der Vortäuschung von Auslagen für die Erlangung des Visums vom Beschwerdeführer tatsächlich Aufwendungen getätigt wurden, sodass nach deren Abzug der durch die Täuschung hervorgerufene Schaden "zumindest" 650 Euro betrug (US 13). In gleicher Weise räumte das Schöffengericht zum Umfang der vorgespiegelten Leistungen für die Vermittlung einer Scheinehe (Schuldspruch I.B.2.) ein, dass Claudiu C***** an den Ehepartner der Getäuschten für den Abschluss der Scheinehe zwischen 363,36 Euro und 508,71 Euro bezahlte, wobei er sich lediglich den Differenzbetrag unrechtmäßig zueignete (US 13). Damit hätte der Angeklagte Claudiu C***** lediglich einen Betrug mit einem Schaden von insgesamt 1.885,44 Euro zu verantworten. Auf der Basis dieser widersprechenden Feststellungen ist eine rechtliche Unterstellung dieser Sachverhaltsannahmen unter § 147 Abs 2 StGB nicht möglich. Weil aber im zweiten Rechtsgang der Einwand tatsächlich erfolgter, die Schadenshöhe verringernder Gegenleistungen zu prüfen sein wird und in diesem Zusammenhang nicht auszuschließen ist, dass eine tatsächliche Schadenszufügung überhaupt in Frage stehen könnte, war gemäß § 289 StPO der Schuldspruch I.B. zur Gänze zu kassieren.

Da solcherart die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war das Urteil bereits bei nichtöffentlicher Beratung im dargestellten Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen (§ 285e StPO).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte Claudiu C***** auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht beider Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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