JudikaturJustiz14Os7/06w

14Os7/06w – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Februar 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Westermayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang K***** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 19. Oktober 2005, GZ 7 Hv 261/05x-25, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil sowie die nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Widerrufsbeschlüsse aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang K***** des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (1.), der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (2. a und b) sowie des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (2. c) schuldig erkannt. Danach hat er in Vorau

1. am 24. August 2005 Giovanotti M***** dadurch vorsätzlich am Körper verletzt, dass er ihm einen Tritt versetzte, sodass dieser zu Boden stürzte, und ihm anschließend Fußtritte versetzte (Bissverletzung an der Unterlippe, Prellungen im Bereich beider Oberschenkel, des linken Schulterblattes, der linken Wange und im Bereich des Jochbeines),

2. nachgenannte Personen mit Gewalt bzw durch gefährliche Drohung, teilweise mit dem Tode, zu nachstehenden Handlungen und Unterlassungen zu nötigen versucht, und zwar

a) am 23. August 2005 den Giovanotti M*****, indem er ihn beim Ohr fasste und aus dem Schlafzimmer zu ziehen versuchte, dazu, in ein anderes Zimmer zu gehen,

b) am 24. August 2005 den Giovanotti M*****, indem er ihn, als er am Boden lag, an den Beinen zog, dazu, sich von seiner in unmittelbarer Nähe befindlichen Mutter zu entfernen,

c) am 24. August 2005 seine Ehegattin Mariana Simona M***** durch die Äußerung, er wolle nicht mehr ins Gefängnis gehen, wenn sie zur Polizei gehe und wegen der zuvor darstellten strafbaren Handlungen Anzeige erstattete, würde er sie „umbringen", dazu, keine Anzeige gegen ihn zu erstatten.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten gestützt auf § 281 Abs 1 Z 3 und 4 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu. In der Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert der Beschwerdeführer die Abweisung seines Antrags auf neuerliche Ladung des Zeugen Giovanotti M***** zum Beweis dafür, dass diesem die in der Anzeige angeführten Verletzungen von dessen Mutter zugefügt worden seien. Das Erstgericht wies den Beweisantrag ab, weil dieser minderjährige Zeuge im Vorverfahren - nach Belehrung über das ihm als Sohn der Ehegattin des Angeklagten zukommende Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO - die Aussage verweigert hatte (S 99) und der Rechtsmittelwerber in seinem Antrag nichts vorgebracht hatte, weshalb der Minderjährige nunmehr auf sein Aussageverweigerungsrecht verzichten würde. Das auch auf § 281 Abs 1 Z 3 StPO gegründete Vorbringen, wonach Giovanotti M***** kein Angehöriger des Angeklagten iSd § 152 Abs 1 Z 2 StPO sei und ihm daher ein Entschlagungsrecht (nach dieser Bestimmung) im Vorverfahren nicht zugestanden habe und auch nicht zukäme, solcherart aber seine Ladung zur Hauptverhandlung geboten gewesen wäre, lässt zum einen außer Acht, dass der Nichtigkeitsgrund nach Z 3 nur vorliegen würde, wenn ein in der Hauptverhandlung vernommener Zeuge zu Unrecht nicht nach § 152 StPO belehrt wurde; im Fall der gesetzwidrigen Anerkennung eines Entschlagungsrechtes wäre es hingegen am Verteidiger gelegen, durch entsprechende (über § 281 Abs 1 Z 4 StPO relevierbare) Anträge auf eine Vernehmung des Zeugen zu dringen (vgl Ratz, JBl 2000, 303; Lendl, RZ 1998, 249; RIS-Justiz RS0113906). Im vorliegenden Fall kam es aber zu gar keiner Vernehmung des Zeugen in der Hauptverhandlung, sodass der auf Z 3 gestützte Einwand von vornherein ins Leere geht. Soweit die Beschwerde aber den Standpunkt vertritt, die Abweisung des Beweisantrages sei schon deswegen verfehlt gewesen, weil der Stiefsohn des Rechtsmittelwerbers kein entschlagungsberechtigter Verwandter iSd § 72 StGB sei, übergeht sie, dass das leibliche Kind der Ehegattin eines Angeklagten mit diesem iSd § 72 Abs 1 StGB in gerader Linie verschwägert ist (§§ 40 f ABGB; vgl Jerabek in WK2 § 72 Rz 6; Hinterhofer, Zeugenschutz und Zeugnisverweigerungsrechte, 273; Fabrizy StPO9 § 152 Rz 9; 13 Os 86/80). Dem beantragten Zeugen Giovanotti M***** stand daher sehr wohl ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO zu. Inhaltlich bringt die Verfahrensrüge auch zum Ausdruck, dass die Vernehmung des siebenjährigen Zeugen in der Hauptverhandlung gleichwohl möglich gewesen wäre. Bei der hier gegebenen Ausgangslage reicht der Verweis darauf, dass sich dieser Zeuge bei einer Vernehmung im Vorverfahren der Aussage entschlagen hatte, nicht aus, um allein darauf gestützt abzuleiten, er werde auch in der Hauptverhandlung von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch machen. Anders läge der Fall zB, wenn anlässlich einer kontradiktorischen Vernehmung (vgl RIS-Justiz RS0117928) oder jedenfalls vor der Hauptverhandlung (vgl RIS-Justiz RS0111315) eine Erklärung abgegeben worden wäre, bei einer heranstehenden (weiteren) Befragung nicht mehr aussagen zu wollen. Weil aus dem Akt eine weitreichende, alle künftigen Vernehmungen erfassende Verweigerung des Zeugen nicht hervorgeht, wäre dem Antrag entweder stattzugeben oder zuvor abzuklären gewesen, ob Giovanotti M***** auch in der Hauptverhandlung von seinem Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2 StPO Gebrauch machen werde.

Da sich angesichts der aufgezeigten Nichtigkeit eine neue Hauptverhandlung nicht vermeiden lässt und das beantragte Beweisthema die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin Simona M***** tangieren könnte (vgl 12 Os 38/87), waren bereits bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285e StPO) nicht nur der Schuldspruch 1., sondern gemäß § 289 StPO auch die vom relevierten Beweisantrag nicht unmittelbar betroffenen Schuldsprüche 2. a) bis c) und damit auch der Strafausspruch, die Vorhaftanrechnung, die Adhäsionserkenntnisse sowie die nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Widerrufsbeschlüsse aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Mit seiner Berufung und Beschwerde war der Angeklagte auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Rechtssätze
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