JudikaturJustiz14Os55/18x

14Os55/18x – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ibrahim S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ibrahim S***** und Albert S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 9. Jänner 2018, GZ 16 Hv 65/15z 160, sowie über die Beschwerde des Erstgenannten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Entlassung und Verlängerung der diesbezüglichen Probezeit, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant – Ibrahim S***** und Albert S***** je eines Vergehens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Z 1 und 3, § 12 dritter Fall, § 15 StGB (II), Ibrahim S***** zudem des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (I) schuldig erkannt.

Danach haben in K***** und an anderen Orten Österreichs

I) Ibrahim S***** am 28. Mai 2015 dem Jonuz G***** durch Versetzen eines Faustschlags gegen die linke Unterkieferseite absichtlich eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich eine unverschobene schräg bis vertikal verlaufende Bruchverletzung des Unterkieferastes links, eine unverschobene Bruchverletzung der Schädelkalotte (Schädelbasis) im Hinterhauptsbereich links mit vertikaler bis sagittaler Berstungsbruchlinie aus dem hohen bis mittleren Hinterhauptbeinbereich bis in das große Hinterhauptloch reichend, schwere Gehirnverletzungen mit subdoraler Blutung über der Großhirnhalbkugel rechts und traumatischer Hirnblutung im Stirnlappenbereich rechts, subarachnoidale Blutung im Stirnhirnbereich links, kleinere Blutungen im Subdoralraum im Bereich der basalen Zisternen sowie am Kleinhirnzelt, traumatische Hirnschwellung im Bereich der Großhirnhemisphäre rechts mit Verlagerungen der Mittellinienstrukturen nach links sowie eine kleinflächige Hautabschürfung der behaarten Kopfschwarte mit Kopfschwartenhämatom im Hinterhauptsbereich links, verbunden mit einer mehr als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, zugefügt, wobei die Tat schwere Dauerfolgen (§ 85 StGB), und zwar ein für immer schweres Leiden des Geschädigten, nämlich ein mäßiggradiges psychoorganisches Syndrom, eine posttraumatische Epilepsie, posttraumatische Kopfschmerzen und eine Herabsetzung des Gehörsinns nach Schädel-Hirn-Trauma im Schweregrad einer Gehirnprellung, nach sich gezogen hat und hinsichtlich dieser Folgen eine Normalisierung des Zustandsbildes nicht mehr zu erwarten ist;

II) Ibrahim S***** und Albert S***** im einverständlichen Zusammenwirken im Urteil namentlich genannten Personen und Unternehmen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro übersteigenden Wert mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz, teilweise durch Einbruch (1, 3, 4) weggenommen und wegzunehmen versucht (4) sowie zu einer solchen strafbaren Handlung eines anderen beigetragen (2), und zwar

1) am 16. Oktober 2015 ein Mountainbike im Wert von 500 Euro, indem sie das Fahrradschloss vor Ort mit einer Zange aufbrachen;

2) am 12. Dezember 2015 einen Flachbildfernseher im Wert von 479 Euro, indem sie die Tatörtlichkeiten auskundschafteten und Aufpasserdienste leisteten, während der abgesondert verfolgte unmittelbare Täter den Diebstahl in einer Filiale der I***** GmbH verübte;

3) am 9. März 2016 mit zwei weiteren abgesondert verurteilten Mittätern neun Mobiltelefone im Wert von 6.891 Euro, indem sie durch Aufschneiden der Sicherungskette mit einem Bolzenschneider und Aushebeln der Eingangstüre in die Geschäftsräumlichkeiten einer Filiale der H***** GmbH einstiegen und dort Glasvitrinen einschlugen;

4) am 20. September 2016 mit einem weiteren derzeit unbekannten Mittäter drei Fahrräder in einem nicht mehr bekannten Wert, indem sie das Fahrradschloss, mit welchem die Fahrräder gesichert waren, vor Ort mit einer Zange aufzubrechen versuchten.

Die dagegen von Ibrahim S***** aus den Gründen der Z 4, 5, 10 und 11 und von Albert S***** aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden sind nicht im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ibrahim S

*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) zum Schuldspruch I kritisiert die Nichtdurchführung des in einem Schriftsatz (ON 129) enthaltenen und angeblich „in der Hauptverhandlung“ wiederholten Begehrens auf Beischaffung (nicht näher präzisierter) „medizinischer Unterlagen“ des Jonuz G***** aus der Justizanstalt Klagenfurt und dem Klinikum K*****. Sie scheitert schon daran, dass ein darauf bezogener Antrag nach dem – von der Rüge nicht in Zweifel gezogenen und auch keinen Bedenken des erkennenden Senats ausgesetzten – Protokoll über die

Hauptverhandlung in dieser nicht gestellt wurden (ON 159; RIS Justiz

RS0099099, RS0124172; Ratz , WK StPO § 281 Rz 302, 309 ff).

Davon abgesehen wurden die – vor dem inkriminierten Vorfall liegende Zeiträume betreffenden – Berichte der Justizanstalt Klagenfurt über psychiatrische und medizinische Untersuchungen des Tatopfers ohnehin beigeschafft (ON 1 S 52; ON 131) und vom Sachverständigen Univ. Prof. Dr. R***** ebenso erörtert wie ein aus dem Jahr 2011 datierender CT Befund (ON 159 S 5 f; ON 151 S 31). Welcher weiterer Unterlagen es darüber hinaus bedurft hätte, erklärt die Rüge nicht.

Die Tatrichter gingen zwar aufgrund der ursprünglichen Angaben des Beschwerdeführers davon aus, dass er „österreichischer Staatsmeister im Boxen, Gewichtsklasse 'Fliegengewicht'“ war, sahen darin aber gerade keine notwendige Bedingung für die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 18). Diese Sachverhaltsannahme ist daher einer Kritik aus Z 5

(und 5a) entzogen (RIS Justiz RS0116737). Im Übrigen wurden die gegenteiligen Behauptungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung keineswegs übergangen, wie die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) einwendet, sondern mängelfrei als unglaubwürdige Schutzbehauptungen verworfen (US 18).

Mit dem nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) erhobenen Vorwurf unterbliebener Beweisaufnahmen zu diesem Thema bezieht sich die Beschwerde nicht auf eine entscheidende Tatsache. Darüber hinaus legt sie nicht dar, wodurch der Beschwerdeführer an entsprechender Antragstellung in der Hauptverhandlung gehindert gewesen wäre (RIS Justiz RS0115823) und weshalb seinen eigenen

beweiswürdigenden Überlegungen widerstreitende gerichtliche Sachverhaltsannahmen einen Verstoß gegen das

Überraschungsverbot und damit ein solches Hindernis bewirken sollten (vgl dazu RIS Justiz RS0120025 [T1]).

Entgegen dem weiteren Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ist das Erstgericht seiner – auch bei Vorliegen eines Obergutachtens im Sinn des § 127 Abs 3 StPO bestehenden – Verpflichtung, sich im Urteil mit allen (Vor-)Gutachten gerichtlicher Sachverständiger auseinanderzusetzen ( Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 18; vgl RIS Justiz RS0066533), hinreichend nachgekommen und hat mängelfrei dargelegt, aus welchen Gründen es jenes des „Obergutachters“ Univ. Prof. Dr. R***** für schlüssig und nachvollziehbar erachtete und den Feststellungen zum Eintritt schwerer Dauerfolgen zugrundelegte (US 15 ff).

Indem die Rüge die Expertise des Dr. N*****, vor allem mit Blick auf dessen angeblich „breitere Begutachtungsgrundlage“ auf Basis eigener Überlegungen für verlässlicher erachtet, bekämpft sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RIS Justiz

RS0097433). Im Übrigen bezog sich die hervorgehobene Aussage des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. R*****, nach der er „nicht differenzieren“ könne, „welchen Anteil der Suchtmittelmissbrauch“ des Tatopfers hatte, ausschließlich auf dessen Berufsunfähigkeit, die dem Angeklagten ohnehin nicht zugerechnet wurde (ON 159 S 5; US 17). Weshalb das Nichtvorliegen von Informationen zu epileptischen Anfällen des Genannten vor dem verfahrensgegenständlichen Vorfall (ON 159 S 5 f) zum Vorteil des Angeklagten gewürdigt hätte werden müssen, ist nicht nachvollziehbar.

Soweit die Beschwerde (nominell aus Z 5) das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Vorgehen nach § 127 Abs 3 StPO mit der (zudem unsubstantiierten) Behauptung bestreitet, die Divergenzen zwischen den beiden (Vor )Gutachten der Sachverständigen Dr. N ***** (ON 20, 78, 121, 123 S 4 f) und Univ. Prof. Dr. U***** (ON 104, 123 S 3 f) seien auf unterschiedliche wissenschaftliche Auffassungen zurückzuführen (vgl dagegen ON 123 S 5; zum Ganzen Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 29), übersieht sie, dass diese Bestimmung nicht ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht ist. Einen gegen die Einholung eines Obergutachtens gerichteten – aus Z 4 beachtlichen – Antrag hat der Beschwerdeführer nicht gestellt, diese Beweisaufnahme vielmehr zunächst selbst begehrt (ON 112 S 7) und – nach Zurückziehung des Antrags (ON 112 S 9) – ausdrücklich keine Einwände gegen eine solche Vorgangsweise durch das Gericht erhoben (ON 123 S 5; vgl zum Ganzen Ratz , WK StPO § 281 Rz 305).

Mit der – auch inhaltlich unrichtigen (vgl § 163 BDG 1979;

VwGH 96/08/0215) – These, Dr. R***** verfüge als emeritierter und nicht mehr als Lehrender an einer in- oder ausländischen Universität tätiger Professor nicht über eine Lehr befugnis im Sinn des § 127 Abs 3 letzter Satz StPO, wird Nichtigkeit gleichfalls nicht angesprochen.

Die – zu (I) einen Schuldspruch wegen §§ 83, 84 StGB anstrebende – Subsumtionsrüge (Z 10) argumentiert prozessordnungswidrig (RIS Justiz

RS0099810) nicht auf Basis der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, indem sie unter Bezugnahme auf die Expertise des Sachverständigen Dr. N***** die Ansicht vertritt, „ein geringgradiges oder mittelgradiges Psychosyndrom, welches sich in Form von Kopfschmerzen äußert“, stelle keine schwere Dauerfolge (§ 87 Abs 2 iVm § 85 StGB) dar, dabei aber die Konstatierungen zu weiteren bleibenden gesundheitlichen Schäden des Tatopfers übergeht (US 7; vgl dazu auch Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 85 Rz 14).

Gleiches gilt für die urteilsfremde Behauptung des Fehlens der Absicht in Bezug auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung (US 7). Aus welchem Grund diese Vorsatzform auch hinsichtlich der Erfolgsqualifikation des § 87 Abs 2 erster Fall StGB erforderlich sein sollte, legt die Rüge nicht dar ( Burgstaller/Fabrizy in WK² StGB § 87 Rz 10; RIS Justiz

RS0116565).

Die Sanktionsrüge (Z 11) bringt mit dem Vorwurf, das Erstgericht habe den Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zwar berücksichtigt, die Grundrechtsverletzung aber mit der Reduktion der Strafe um drei Monate zu gering veranschlagt, ebenso wie mit der Kritik am Unterbleiben der Berücksichtigung des „bereits während laufenden Verfahrens“ abgelegten Geständnisses zum Schuldspruch I (vgl im Übrigen US 22), nur ein Berufungsvorbringen zur Darstellung (RIS Justiz

RS0114926 [T6], RS0099911).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Albert S

*****:

Die Tatsachenrüge (Z 5a)

macht erhebliche Bedenken ausschließlich hinsichtlich der Annahme von Mittäterschaft (§

12 erster Fall

StGB) anstatt bloßer (untergeordneter) Beitragshandlungen (durch Überdecken der Überwachungskamera und „Schmiere stehen“; §

12 dritter Fall

StGB) dieses Angeklagten bei den von den Schuldsprüchen II/1 und II/4 umfassten Einbrüchen geltend und spricht damit – angesichts der rechtlichen

Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen des §

12 StGB – keine für die Lösung der Schuld- oder der Subsumtionsfrage

entscheidenden Tatsachen an ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 398; RIS Justiz RS0117499, RS0117604).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizit ergriffene) Beschwerde des Angeklagten Ibrahim S***** folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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