JudikaturJustiz14Os20/10p

14Os20/10p – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. April 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Mag. Hautz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klein als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gebhard K***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 15. Dezember 2009, GZ 38 Hv 160/09k 71, sowie dessen Beschwerde gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

G r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gebhard K***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er Personen, die wegen einer geistigen Behinderung unfähig waren, die Bedeutung des jeweiligen Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er geschlechtliche Handlungen an ihnen vornahm, nämlich

(1) am 11. Februar 2008 in H***** seine an Debilität leidende Tochter Karin, indem er ihre Brüste erfasste, mehrere Minuten hindurch ihre Scheide betastete und einen Finger in diese einführte, sowie

(2) am 7. März 2008 zwischen W***** und Bad H***** seine an Imbezillität leidende Tochter Silvia, indem er ihre Scheide betastete.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen nominell aus Z 8 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Indem die Rüge fehlende Rechtswirksamkeit der Anklageschrift (ON 57) einwendet, stützt sie sich der Sache nach auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 3 StPO. Soweit im gegebenen Zusammenhang von Interesse ist ein Schuldspruch nämlich nur dann nach Z 8 anzufechten, wenn kein erkennbarer Anklagewille vorlag ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 534). Demgegenüber ist die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift nur dahingehend von Bedeutung, dass sie Voraussetzung für das Auslösen der Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 erster Satz StPO ist, womit eine zulässige und erkennbar gewollte, aber nicht rechtswirksame Anklage einen aus Z 3 mit Nichtigkeit bedrohten Verfahrensmangel begründet ( Birklbauer/Mayrhofer , WK StPO Vorbem zu §§ 210-215 Rz 65; Ratz , WK StPO § 281 Rz 242; ders , WK StPO § 281a Rz 2).

Fallbezogen stützt die Beschwerde den Einwand fehlender Rechtswirksamkeit auf die Behauptung, die (abweisende) Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck (ON 64) über den Einspruch (ON 60) gegen die Anklageschrift sei dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden. Dieses Vorbringen entfernt sich von der Aktenlage, wonach der angesprochene Beschluss am 19. November 2009 dem Verteidiger zugegangen ist (ON 64 S 7).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Rechtswirksamkeit der Anklage von deren Feststellung durch das Oberlandesgericht (§ 215 Abs 6 StPO), nicht jedoch von der Zustellung der diesbezüglichen Entscheidung abhängt, weil diese keinem Rechtszug unterliegt. Rechtswirksam ist die Anklageschrift somit nach ihrer ordnungsgemäßen Zustellung und anschließendem Einspruchsverzicht, fruchtlosem Verstreichen der Einspruchsfrist oder wie hier negativer Einspruchsentscheidung durch das Oberlandesgericht ( Birklbauer/Mayrhofer , WK StPO Vorbem zu §§ 210 215 Rz 51).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufung und die gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
3
  • RS0125453OGH Rechtssatz

    05. April 2017·3 Entscheidungen

    Eine nach § 213 Abs 4 StPO getroffene, nicht mit Beschwerde anfechtbare Entscheidung, „dass die Anklageschrift rechtswirksam sei", bewirkt zwar, anders als die nach § 215 Abs 6 StPO getroffene (nach § 281a StPO anfechtbare) Entscheidung des Oberlandesgerichts, „den Einspruch abzuweisen und die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift festzustellen", nicht die Rechtswirksamkeit der Anklageschrift, sodass - nicht anders als wenn das nach § 213 StPO vorgeschriebene Verfahren gänzlich unterlassen wurde - Urteilsanfechtung aus dem Grund der §§ 281 Abs 1 Z 3, 345 Abs 1 Z 4 StPO nach Maßgabe rechtsfehlerhafter Missachtung der Vorbereitungsfrist des § 221 Abs 2 StPO unter den Voraussetzungen der §§ 281 Abs 3, 345 Abs 3 StPO Erfolg verspricht. Aufgrund ihrer Rechtsnatur als Beschluss (§ 35 Abs 2 erster Fall StPO) hindert sie das Gericht jedoch an einem Vorgehen nach § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO. Da umgekehrt, solange ein solcher Beschluss noch nicht getroffen wurde, das Gericht bei Zuständigkeitsbedenken in diesem Sinn vorzugehen hat und § 213 Abs 6 StPO dem § 38 StPO nach dessen ausdrücklicher Anordnung vorgeht, setzt eine Entscheidung nach § 38 StPO über den Kompetenzkonflikt von Landesgerichten als Schöffen- oder Geschworenengericht Feststellung der Rechtswirksamkeit der Anklageschrift nach § 213 Abs 4 StPO oder § 215 Abs 6 StPO voraus.