JudikaturJustiz14Os150/13k

14Os150/13k – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. November 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Buchner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Eva D***** wegen dreier Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 14. März 2012, GZ 39 Hv 33/11v 43, und weitere auch zu anderen Strafsachen ergangene Beschlüsse erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Plöchl, zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz

(I) im Strafverfahren AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck der Beschluss vom 26. Dezember 2010 (ON 58),

1) im Punkt 1. zufolge Widerrufs der in diesem Verfahren verhängten Freiheitsstrafe § 53 Abs 1 erster Satz StGB;

2) im Punkt 2. zufolge Widerrufs der bedingten Nachsicht der im Verfahren AZ 28 Hv 166/05p des Landesgerichts Innsbruck verhängten Freiheitsstrafe § 495 Abs 1 StPO;

(II) im Strafverfahren AZ 39 Hv 33/11v des Landesgerichts Innsbruck

1) der Beschluss vom 14. März 2012 (ON 43) durch Absehen vom Widerruf und Verlängerung der Probezeit in den Verfahren des Landesgerichts Innsbruck

a) AZ 39 Hv 66/06i mangels Vorliegens einer bedingten Strafnachsicht § 53 Abs 1, Abs 3 StGB;

b) AZ 28 Hv 166/05p den im 16. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen sowie

c) AZ 29 Hv 116/07w zufolge Verlängerung der Probezeit § 53 Abs 3 StGB;

2) der Beschluss vom 22. Juni 2012 (ON 47) im Ausspruch über die Wirkungslosigkeit des Beschlusses vom 14. März 2012 betreffend das Absehen vom Widerruf zu AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck in dem im 16. Hauptstück der Strafprozessordnung verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen.

Die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck vom 26. Dezember 2010, GZ 39 Hv 66/06i 58, vom 14. März 2012, GZ 39 Hv 33/11v 43, ausgenommen im Absehen vom Widerruf der zu AZ 28 Hv 166/05p und AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsichten sowie vom 22. Juni 2012, GZ 39 Hv 33/11v 47, ausgenommen im Ausspruch der Wirkungslosigkeit zum Verfahren AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck, werden aufgehoben und es wird

der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht im Verfahren AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck (ON 51 S 2) abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Dezember 2005, GZ 28 Hv 166/05p 12, wurde Eva D***** (vormals G*****) der Vergehen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und 2 erster Fall StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, deren Vollzug nach „§ 43a Abs 1 StGB“ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2006, GZ 39 Hv 66/06i 9, wurde Eva D***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Mit gemeinsam mit dem Urteil verkündetem Beschluss wurde die zu AZ 28 Hv 166/05p des Landesgerichts Innsbruck gewährte bedingte Strafnachsicht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 8. August 2007, GZ 29 Hv 116/07w 15, wurde Eva D***** des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt, die bislang nicht vollstreckt wurde.

Demgegenüber hat Eva D***** die mit oben bezeichnetem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2006 verhängte Freiheitsstrafe von 3. März bis 3. Oktober 2008 zur Gänze und im Anschluss daran die gemeinsam mit diesem Urteil widerrufene Freiheitsstrafe bis zum 12. Jänner 2009 teilweise (bei einem Strafrest von zwei Monaten und 22 Tagen) verbüßt.

Mit Wirkung vom 12. Jänner 2009 wurde ihr zufolge Entschließung des Bundespräsidenten vom 19. November 2008 (BMJ 4034012/4-IV 4/2008) der „zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollstreckte Rest“ der zu AZ 28 Hv 166/05p, AZ 39 Hv 66/06i und AZ 29 Hv 116/07w jeweils des Landesgerichts Innsbruck zu vollziehenden Freiheitsstrafen im Ausmaß von insgesamt einem Jahr und 22 Tagen mit den Wirkungen der bedingten Strafnachsicht unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren erlassen.

Mit rechtskräftigem Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Schwaz vom 1. September 2010, GZ 3 U 84/10k 19, wurde Eva D***** des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt (Tatzeit: 5. Oktober 2009) und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Zugleich fasste das Gericht mit der Begründung, dass die Angeklagte zufolge ihrer Abwesenheit nicht gehört werden konnte (vgl US 8) den Beschluss, dass „die Entscheidung über den Widerruf der zu 39 Hv 66/06i und 29 Hv 116/07w gewährten bedingten Strafnachsicht“ „dem jeweiligen Einzelrichter am Landesgericht Innsbruck vorbehalten (§§ 494a, 495 StPO)“ bleibt.

Im Verfahren AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht aus Anlass des bezeichneten Urteils das Bezirksgerichts Schwaz rechtskräftig abgewiesen.

Im Verfahren AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck fasste der Einzelrichter nach Verständigung von der Verurteilung zu AZ 3 U 84/10k des Bezirksgerichts Schwaz am 26. Dezember 2010 den Beschluss auf Widerruf der bedingten Strafnachsicht „hinsichtlich der

1. Freiheitsstrafe von sieben Monaten im Verfahren 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck

2. Freiheitsstrafe von sechs Monaten im Verfahren 28 Hv 166/05(p) des Landesgerichts Innsbruck, hinsichtlich derer die bedingte Strafnachsicht im Verfahren 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck widerrufen wurde,

aus deren Strafrest von einem Jahr und 22 Tagen sie im Rahmen der bedingten Begnadigung zu BMJ 4034012/4-IV 4/2008 mit der Wirkung der bedingten Strafnachsicht entlassen wurde“, „gemäß § 53 Abs 1 StGB iVm §§ 494a Abs 2, 495 StPO“ und sprach aus, dass „der Strafrest von einem Jahr und 22 Tagen Freiheitsstrafe“ zu vollziehen ist (ON 58). Von diesem Beschluss wurde demnach das Verfahren AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck ungeachtet des anführten Strafrestes nicht umfasst.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 14. März 2012, GZ 39 Hv 33/11v 43, wurde Eva D***** dreier Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt. Mit zugleich gefasstem Beschluss sah der Einzelrichter „gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO iVm § 53 Abs 1 StGB“ „vom Widerruf der gnadenweise bedingten Strafnachsicht betreffend die Verfahren 29 Hv 116/07w, 28 Hv 166/05p und 39 Hv 66/06i je des Landesgerichts Innsbruck (Strafrest ein Jahr und 22 Tage Freiheitsstrafe)“ ab, verlängerte „die Probezeit aber auf fünf Jahre“.

Eine aktuelle Strafregisterauskunft war ebenso aktenkundig, wie die erfolgte Begnadigung (ON 34). Die bezughabenden Akten wurden in der Hauptverhandlung vorgetragen (ON 42 S 5).

Mit Beschluss vom 22. Juni 2012, GZ 39 Hv 33/11v 47, stellte der Einzelrichter fest, „dass der Beschluss des Landesgerichtes Innsbruck vom 14. März 2012, 39 Hv 33/11v 43, mit dem vom Widerruf der zu BMJ 4034012/IV 4/2008 gnadenweise erfolgten bedingten Strafnachsicht betreffend die Verfahren 39 Hv 66/06i, 28 Hv 166/05p und 29 Hv 116/07w je des Landesgerichts Innsbruck (Strafrest 1 Jahr und 22 Tage Freiheitsstrafe) abgesehen wurde, die Probezeit aber auf fünf Jahre verlängert wurde“, gegenstandslos ist (ON 47).

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck vom 26. Dezember 2010, GZ 39 Hv 66/06i 58, vom 14. März 2012, GZ 39 Hv 33/11v 43, sowie vom 22. Juni 2012 GZ 39 Hv 33/11v 47, stehen wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1) Zum Beschluss vom 26. Dezember 2010, GZ 39 Hv 66/06i 58:

a) Da Eva D***** die mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2006, GZ 39 Hv 66/06i 9, verhängte Freiheitsstrafe von sieben Monaten bereits in der Zeit von 3. März bis 3. Oktober 2008 verbüßt hat, verletzt der ungeachtet dessen erfolgte Widerruf § 53 Abs 1 erster Satz StGB. Dieser Ausspruch war im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu beseitigen (vgl Ratz , WK StPO § 292 Rz 46).

b) Bei gnadenweiser Nachsicht „mit den Wirkungen einer bedingten Strafnachsicht“ ist das Urteilsgericht oder das gemäß § 494a StPO erkennende Gericht für die in Betracht kommenden Folgeschritte zuständig ( Jerabek , WK StPO § 512 Rz 1).

Einer Widerrufsentscheidung durch das gemäß § 494a StPO (an sich) zuständige Bezirksgericht Schwaz stand das Hindernis fehlender Anhörung entgegen, weshalb weil auch kein Absehen vom Widerruf gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO erfolgte die diesbezügliche Entscheidungskompetenz ex lege auf die in § 495 Abs 1 StPO bezeichneten Gerichte überging. Der zu den Verfahren AZ 29 Hv 116/07w und offensichtlich irrtümlich (anstatt AZ 28 Hv 166/05p) „AZ 39 Hv 66/06i“ jeweils des Landesgerichts Innsbruck (ON 19 S 2) gefasste Vorbehaltsbeschluss hat bloß deklarativen Charakter (RIS Justiz RS0111829; Jerabek , WK StPO § 494a Rz 10).

Gemäß § 495 Abs 1 StPO entscheidet außer in den Fällen des § 494a StPO über den Widerruf der bedingten Nachsicht einer Strafe oder eines Strafteils das Gericht in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss, das in jenem Verfahren, in dem die bedingte Nachsicht ausgesprochen worden ist, in erster Instanz erkannt hat. Demzufolge oblag die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Nachsicht des aus der Verurteilung des Landesgerichts Innsbruck vom 20. Dezember 2005, GZ 28 Hv 166/05p 12, herrührenden, noch unverbüßten Strafteils von zwei Monaten und 22 Tagen dem für dieses Verfahren zuständigen Einzelrichter, womit dem Landesgericht Innsbruck im Verfahren AZ 39 Hv 66/06i keine Entscheidungskompetenz zukam.

Die Feststellung dieser Gesetzesverletzungen war mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO) und der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 26. Dezember 2010, GZ 39 Hv 66/06i 58, aufzuheben.

2) Zum Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 14. März 2012, GZ 39 Hv 33/11v 43:

a) Betreffend das Verfahren AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck verletzen zufolge wie zu 1/a dargelegt vorangegangenen Vollzugs der gesamten Freiheitsstrafe das Absehen vom Widerruf und die Probezeitverlängerung § 53 Abs 1 erster Satz und Abs 3 StGB.

b) Betreffend das Verfahren AZ 28 Hv 166/05p entfaltete der zu AZ 39 Hv 66/06i des Landesgerichts Innsbruck (vom unzuständigen Richter) gefasste (nun aufgehobene) Widerrufsbeschluss eine Sperrwirkung, sodass ohne dessen vorangegangene Aufhebung der Einzelrichter des Landesgerichts Innsbruck im Verfahren AZ 33 Hv 33/11v nicht neuerlich über den gleichen Entscheidungsgegenstand absprechen durfte (RIS Justiz RS0100454 [T19]).

c) Betreffend das Verfahren AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck lagen die Voraussetzungen des § 53 Abs 3 StGB nicht vor, weil die Probezeit bereits das Höchstmaß von fünf Jahren betrug.

3) Zum Beschluss vom 22. Juni 2012, GZ 39 Hv 33/11v 47:

Der Beschluss vom 22. Juni 2012, GZ 39 Hv 33/11v 47, auf Feststellung der Wirkungslosigkeit des zuvor unter 2) bezeichneten Beschlusses vom 14. März 2012 verletzt hinsichtlich des Verfahrens AZ 29 Hv 116/07w des Landesgerichts Innsbruck das Gesetz, weil ihm diesbezüglich die Bindungswirkung des Beschlusses vom 14. März 2012, soweit damit vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen worden war, entgegenstand.

Aus Gründen der Rechtsklarheit waren die im Verfahren AZ 39 Hv 33/11v des Landesgerichts Innsbruck ergangenen Beschlüsse vom 14. März 2012 (ON 43) und vom 22. Juni 2012 (ON 47) in dem im Spruch ersichtlichen Umfang zu beseitigen.

Rechtssätze
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