JudikaturJustiz14Os115/93

14Os115/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juli 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner, Hon.Prof.Dr.Brustbauer, Dr.Hager und Dr.Schindler als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kobinger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ronald S* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 22. März 1993, GZ 37 E Vr 113/93 10, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Durch die Vornahme der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils vom 22. März 1993 (ON 10) in Abwesenheit des Beschuldigten Ronald S* wurde das Gesetz in der Bestimmung der §§ 427 Abs 1, 491 StPO verletzt.

Das bezeichnete Urteil und die zugleich ergangene, damit im Zusammenhang stehende Entscheidung gemäß § 491 a Abs 1 Z 2 und Abs 7 StPO (betreffend die dem Genannten in den Strafverfahren 35 E Vr 2781/89 und 27 E Vr 554/91 des Landesgerichtes Salzburg jeweils gewährte bedingte Strafnachsicht) werden aufgehoben und es wird dem Landesgericht Salzburg die Verfahrenserneuerung aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 22. März 1993, GZ 37 E Vr 113/93 10, wurde Ronald S* nach Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit konform mit dem gegen ihn eingebrachten Strafantrag (ON 3) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt. Die Voraussetzungen für die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Beschuldigten erachtete das Gericht deshalb für gegeben, weil sich weder der öffentliche Ankläger noch der Verteidiger und auch nicht der Privatbeteiligtenvertreter gegen eine Vorgangsweise nach § 427 Abs 1 StPO ausgesprochen hatten, ein ordnungsgemäßer Zustellnachweis betreffend die Vorladung zur Hauptverhandlung vorhanden war, die Anwendung eines Strafsatzes, dessen Obergrenze drei Jahre übersteigt, nicht begehrt wurde und auch die Verfahrensergebnisse daran nicht denken ließen (US 7).

Gleichzeitig sprach der Einzelrichter der Sache nach (S 59, 65) aus, daß gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 StPO iVm § 53 Abs 2 StGB vom Widerruf der Ronald S* in den Strafverfahren AZ 35 E Vr 2781/89 und 37 E Vr 554/91 des Landesgerichtes Salzburg gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und (zu ergänzen: gemäß § 494 a Abs 7 StPO) die Probezeit in beiden Verfahren (arg. "jeweils" in S 59) auf fünf Jahre verlängert wird. Die S* im Verfahren zum AZ 35 E Vr 2781/89 gewährte Probezeit war jedoch aktenkundig (vgl. S 17 und den bezüglichen Vorstrafakt) bereits im Verfahren zum AZ 29 U 728/92 des Bezirksgerichtes Salzburg mit Beschluß vom 15. Oktober 1992 auf fünf Jahre verlängert worden.

Das Abwesenheitsurteil und die Entscheidung gemäß § 494 a Abs 1 Z 2 und Abs 7 StPO wurden von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpft. Hingegen erhob der Angeklagte gegen das Abwesenheitsurteil Einspruch, womit er am Abend vor der Hauptverhandlung aufgetretenes hohes Fieber als unabwendbares Hindernis (in der Hauptverhandlung vom 22.März 1993 zu erscheinen) geltend machte. Zugleich mit dem Einspruch ergriff er Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und über die privatrechtlichen Ansprüche. Eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz über den Einspruch und die Berufung ist noch nicht ergangen.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Beschuldigten verletzen das Gesetz in der nach § 491 StPO auch im Verfahren vor dem Einzelrichter anzuwendenden Bestimmung des § 427 Abs 1 StPO. Darnach kann bei sonstiger Nichtigkeit die Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten nur vorgenommen werden, wenn es sich neben den weiteren hier gegebenen Voraussetzungen bei der ihm angelasteten Straftat um ein Vergehen handelt. Im vorliegenden Fall wurde jedoch dem Angeklagten schon im Strafantrag das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB zur Last gelegt, dessen er letztlich auch schuldig erkannt wurde.

Entgegen der Rechtsmeinung des Einzelrichters (US 7) setzt die Anwendung des § 427 Abs 1 StPO die Zustimmung des Verteidigers und jene der anderen Verfahrensparteien zum Abwesenheitsverfahren nicht voraus. Ebenso verfehlt ist die weiters vertretene Rechtsansicht, daß das Abwesenheitsverfahren und die Fällung des Abwesenheitsurteiles im vorliegenden Fall deshalb nicht ausgeschlossen seien, weil die "Anwendung eines Strafsatzes, dessen Obergrenze drei Jahre übersteigt", nicht beantragt wurde; dem Ankläger ist nämlich die Stellung eines Begehrens auf Verhängung einer bestimmten Strafe innerhalb des durch die Anklage oder durch den Strafantrag determinierten gesetzlichen Strafsatzes verwehrt (§ 255 Abs 1 letzter Satz StPO). Im übrigen ist eine strafbare Handlung auch bei einer drei Jahre übersteigenden Strafdrohung noch als Vergehen zu bezeichnen, wenn wie etwa im Fall des § 170 Abs 2 letzter Fall StGB die Straftat fahrlässig begangen wurde (vgl. Leukauf Steininger Komm3 § 17 RN 1).

Die bezeichnete Gesetzesverletzung kann vom Oberlandesgericht nach allfälliger negativer Erledigung des Einspruchs des Angeklagten gegen das Abwesenheitsurteil im Rahmen der (noch offenen) Berufungsentscheidung von Amts wegen vgl. §§ 477 Abs 1, 489 Abs 1 StPO nicht aufgegriffen werden, weil der Angeklagte keine Nichtigkeitsberufung erhoben und somit den (mangels Vorliegens sämtlicher Voraussetzungen des § 427 Abs 1 StPO) verwirklichten formellen Nichtigkeitsgrund der Z 3 des § 281 Abs 1 (§§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 3) StPO nicht geltend gemacht hat. Auch wenn das Oberlandesgericht dem Einspruch stattgeben und eine neue Hauptverhandlung anordnen sollte, könnte die Gesetzesverletzung wegen der Säumnisfolge des § 427 Abs 3 (fünfter Satz) StPO dem Angeklagten zum Nachteil gereichen, weil im Fall seines Ausbleibens von der erneuerten Hauptverhandlung das durch den Einspruch angefochtene Urteil als rechtskräftig anzusehen wäre.

In Stattgebung der vom Generalprokurator gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher ohne daß auf die mehrfachen Mängel der Entscheidung nach § 494 a StPO (keine erkennbare Beschlußform, Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem", Abweichen der Ausfertigung von der mündlich verkündeten Entscheidung) näher eingegangen werden mußte spruchgemäß zu erkennen.