JudikaturJustiz13Os88/14m

13Os88/14m – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Nordmeyer, Dr. Oshidari und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krampl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Goran S***** wegen Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 und § 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Juli 2014, GZ 83 Hv 83/14d 20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Goran S***** mehrerer Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (zu Punkt I iVm § 15 StGB) schuldig erkannt.

Danach hat er am 27. Mai 2014 in Wien mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz

(I) Werner L***** durch die Äußerung, „ich habe eine Waffe auf dich gerichtet und will dich nicht umbringen, aber“, wobei er seine Hände in den Taschen seiner Oberbekleidung verbarg, somit durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bargeld, abzunötigen versucht, wobei es beim Versuch blieb, weil das Opfer sich unverzüglich entfernte;

(II) Helene E***** mit Gewalt gegen deren Person fremde bewegliche Sachen weggenommen, indem er dieser eine Geldbörse samt darin enthaltenen 110 Euro Bargeld und einigen Fahrscheinen ruckartig aus der linken Hand riss.

Rechtliche Beurteilung

Die aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Das Erstgericht hat die Feststellungen zum dem Schuldspruch II zu Grunde liegenden Tatgeschehen unter anderem aus den Schilderungen der Zeugin Helene E***** abgeleitet (US 8 und 9). Zu einer vollständigen Erörterung ihrer Aussagen war es unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) schon mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht verhalten (RIS-Justiz RS0106642). Ob das Opfer tatsächlich einen „Sachbehauptungswillen entwickeln“ konnte, ist zudem für die Tatbestandsverwirklichung nicht entscheidend (vgl RIS Justiz RS0117499), wenn der Täter wie hier festgestellt (US 6 f und 11) vorsätzlich und präventiv Gewalt zur Überwindung eines auch bloß erwarteten Widerstands einsetzt, selbst wenn das Opfer einen solchen zufolge Überraschung nicht (mehr) realisieren kann (RIS-Justiz RS0093482, RS0093891, RS0093941 [T15, T17 und T19]).

Die Feststellung zur Intensität der vom Beschwerdeführer eingesetzten Körperkraft als Grundlage der (rechtlichen) Annahme, diese Gewalt sei „nicht unerheblich“ gewesen (US 7 und 11; vgl Eder-Rieder in WK 2 StGB § 142 Rz 19 f mwN), ist auch nicht offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall, teils nominell auch Z 5a). Dass sich die Tatrichter dabei auf den von der Zeugin Helene E***** geschilderten äußeren Geschehensablauf, insbesondere deren Angabe, durch die gewaltsame Wegnahme der Geldbörse sei ihr linker Arm nach hinten gerissen worden (ON 19 S 13), stützten (US 9 und 11), verstößt nämlich weder gegen die Denkgesetze noch gegen grundlegende Erfahrungswerte (RIS-Justiz RS0118317).

Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus einzelnen Passagen der ohnehin erörterten Aussage dieser Zeugin (sie habe „mit einem solchen Angriff“ nicht gerechnet und „dadurch auch nichts dagegen machen“ können, der Vorfall habe „nur einige Sekunden“ gedauert [ON 2 S 75 ff] und die Geldbörse sei ihr „nicht mit brachialer Gewalt“ aus der Hand gerissen worden [ON 19 S 13]) für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen zieht als das Erstgericht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen Feststellungen entscheidender Tatsachen (RIS-Justiz RS0099674).

Die Subsumtionsrüge (Z 10) übergeht mit dem Einwand (der Sache nach Z 9 lit a), das Urteil enthalte zum Schuldspruch I keine Konstatierungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung und zu einem auf die Ankündigung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gerichteten Vorsatz, die gerade dazu getroffenen Feststellungen (US 6 und 10).

Soweit der Beschwerdeführer im Rahmen der zu Punkt II mit dem Ziel eines Schuldspruchs wegen Diebstahls nach § 127 StGB ausgeführten Subsumtionsrüge (Z 10) einwendet, die Anwendung von (tatbildlicher) Gewalt könne aus den Angaben des Opfers nicht abgeleitet werden, bekämpft er bloß die gegenteiligen Feststellungen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Welche weiteren Konstatierungen das Erstgericht „zur tatsächlichen Intensität der Krafteinwirkung“ (nach dem Urteilsinhalt einer nicht unerheblichen Kraftanwendung in Form „einer kräftigen ruckartigen Bewegung“, durch welche der Arm des 76 jährigen Opfers „unnatürlich nach hinten gerissen“ worden sei [US 7 und 11]) hätte treffen müssen, legt die weitere Subsumtionsrüge nicht im Einzelnen dar (RIS-Justiz RS0099620 [T7]). Dass der Gewahrsamsbruch nicht bloß mit Hilfe einer „listigen Umgehung der Abwehrbereitschaft des Opfers“, also Ausnützen eines Überraschungseffekts (ohne Gewaltanwendung), bewerkstelligt wurde, haben die Tatrichter ausdrücklich festgehalten (US 11).

Die Behauptung, die Tatbestandsverwirklichung setze einen tatsächlich entfalteten (und vom Täter zu überwindenden) „Sachbehauptungswillen des Opfers“ voraus, leitet der Beschwerdeführer nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (RIS Justiz RS0116565). Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Mängelrüge verwiesen.

Die weitere Subsumtionsrüge bekämpft (zum Schuldspruch II) die (rechtliche) Annahme des Erstgerichts, die aus 110 Euro Bargeld, einigen Fahrscheinen und einer Geldbörse (von nicht beziffertem Wert) bestehende Beute sei nicht geringwertig im Sinn des § 142 Abs 2 StGB, weshalb eine Anwendung der dort geregelten Privilegierung ausscheide (US 11 f). Zwar darf bei der Geltendmachung eines materiellen Nichtigkeitsgrundes anstatt eigenständiger methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz an einen Rechtssatz des Obersten Gerichtshofs angeknüpft werden; dies muss jedoch innerhalb der von Logik und Grammatik gezogenen Grenzen geschehen (RIS-Justiz RS0116962). Diese Vorgaben missachtet der Beschwerdeführer, indem er reklamiert, das Erstgericht hätte mit Blick auf die in der Entscheidung 11 Os 140/04 definierte Obergrenze einer Sache geringen Werts (von 100 Euro) eine jährliche „Inflation im Zeitraum 2005 2013 von 2,12 %“ berücksichtigen und die genannte Privilegierungsvoraussetzung bejahen müssen. Der zitierten Entscheidung ist nämlich keineswegs die Forderung nach kontinuierlicher Inflationsanpassung dieser Obergrenze zu entnehmen. Deren (geringfügige) Anhebung wurde dort zudem vom Beschwerdeführer übergangen mit der (zweimaligen) Erhöhung von Wertgrenzen im StGB seit der Entscheidung 11 Os 2/89, die mit vergleichbarer Argumentation eine Grenze von 1.000 Schilling etabliert hatte (vgl RIS-Justiz RS0099085), begründet. Eine weitere Erhöhung dieser Wertgrenzen hat der Gesetzgeber seit dem Jahr 2005 jedoch nicht mehr vorgenommen (vgl auch JAB 2457 BlgNR 24. GP, 4 zu § 198 Abs 3 StPO idF BGBl I 2013/195, wonach eine Schädigung an Vermögensrechten nur im Ausmaß bis zu 100 Euro als geringfügig angesehen werden könne). Im Übrigen hat die Rechtsprechung bis in die jüngste Vergangenheit keinen Anlass für eine Anpassung der Geringfügigkeitsgrenze gesehen (RIS Justiz RS0120079 T2).

Der Sanktionsrüge (Z 11) zuwider hat das Erstgericht, indem es das Vorliegen der Voraussetzungen einer Strafschärfung nach § 39 StGB festgestellt (US 5 und 12) und bei der Strafbemessung ebenso erschwerend gewertet hat wie die „einschlägigen, teils massiven Vorstrafen“, nicht gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen (RIS-Justiz RS0108868, RS0091527; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 714).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.