JudikaturJustiz13Os87/17v

13Os87/17v – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Pejman G***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 12. Juni 2017, GZ 21 Hv 22/17g 53, und den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das genannte Urteil nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Pejman G***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der Nacht zum 12. Februar 2017 in W***** Timea U***** mit Gewalt, nämlich durch Verabreichung einer Substanz, die beim Opfer eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung hervorrief (US 4), zur Duldung des Beischlafs genötigt.

Im Anschluss an die Urteilsverkündung am 12. Juni 2017 gab der (von einem Verteidiger vertretene) Angeklagte keine Rechtsmittelerklärung ab (ON 52 S 55). Am 21. Juni 2017, also nach Ablauf der Anmeldungsfrist (§§ 284 Abs 1 erster Satz, 294 Abs 1 erster Satz StPO), begehrte der Angeklagte insoweit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte zugleich die versäumte Verfahrenshandlung nach (ON 59). Nach Zustellung einer Urteilsausfertigung am 30. Juni 2017 (ON 1 S 45) führte er die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung am 26. Juli 2017 aus (ON 61) und stützte dabei Erstere auf die Gründe des § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:

Nach dem Antragsvorbringen war die Rechtsmittelanmeldung im elektronischen Rechtsverkehr aufgrund EDV technischer Probleme in der Kanzlei des Verteidigers nicht möglich. Aus diesem Grund habe der Verteidiger seine (seit Jahren verlässlich arbeitende) Kanzleileiterin angewiesen, die Rechtsmittelanmeldung im Postweg einzubringen. Die Kanzleileiterin habe sodann am 14. Juni 2017 mehrere Schriftstücke zur Post gebracht, wobei die gegenständliche Rechtsmittelanmeldung aufgrund eines (bislang einmaligen) Versehens in ihrer Tasche verblieben sei. Erst am 21. Juni 2017 habe sie dies zufällig bemerkt. Die Richtigkeit des Antragsvorbringens wurde durch schriftliche Erklärungen des IT Betreuers und der Kanzleileiterin des Verteidigers bescheinigt.

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist Verfahrensbeteiligten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, sofern sie nachweisen, dass es ihnen durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, eine Frist einzuhalten oder eine Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass ihnen oder ihren Vertretern ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.

Ein (hier urkundlich nachgewiesenes) einmaliges Versehen einer sonst verlässlichen Kanzleiangestellten ist nach ständiger Judikatur als unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO anzusehen (RIS Justiz RS0101310 und RS0101329). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass der einer Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Postaufgabe eines Schriftstücks tatsächlich erfolgt, liegt insoweit auch kein Organisationsverschulden vor (RIS Justiz RS0122717).

Zumal die Wiedereinsetzung innerhalb von 14 Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses beantragt und die versäumte Verfahrenshandlung zugleich mit dem Antrag nachgeholt wurde (§ 364 Abs 1 Z 2 und 3 StPO), war die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu bewilligen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wies das Erstgericht den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Urologie zum Beweis dafür, dass „gegen den Angaben des Opfers eine Erektion von meinem Mandaten nicht möglich war und es nicht zu einer Penetration gekommen ist“ (ON 52 S 53), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten ab (ON 52 S 53):

Unter dem Aspekt rechtsrichtiger Subsumtion ging der Antrag ins Leere, weil selbst Tatvollendung im Sinn des § 201 Abs 1 StGB nach ständiger Judikatur eine Erektion des Täters nicht voraussetzt (13 Os 92/09t, 104/09g, 130/09f, SSt 2009/72; RIS Justiz RS0090720 [insbesonders T2 und T3], jüngst 13 Os 47/17m).

Auch eine allfällige Kontrollbeweisführung konnte insoweit unterbleiben, weil das Beweisthema nach der Überzeugung der Tatrichter ohnedies als erwiesen galt (ON 52 S 53, US 5, 7 und 8 [§ 55 Abs 2 Z 3 StPO]).

Der Mängelrüge (Z 5) zuwider ist die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer oder in seinem Auftrag ein Dritter Timea U***** die betäubende Substanz verabreichte und der Beschwerdeführer hiedurch eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung der Genannten herbeiführen und sie in diesem Zustand zur Duldung des Beischlafs nötigen wollte (US 4 f), keineswegs undeutlich (Z 5 erster Fall).

Die Ableitung der Konstatierungen zum Verabreichen der betäubenden Substanz aus den als glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugin U***** (US 6) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Verfahrensergebnisse zur fehlenden Erektionsfähigkeit des Beschwerdeführers blieben – wie schon zur Verfahrensrüge dargelegt – mangels Erheblichkeit zu Recht unerörtert (Z 5 zweiter Fall).

Unschärfen in der Aussage der Zeugin U***** sowie fehlende Spuren am Tatort erörterte das Erstgericht sehr wohl (US 6 f).

Mit den Ausführungen zum Nachtatverhalten des Beschwerdeführers bezieht sich die Rüge nicht auf schuld- oder subsumtionsrelevante Umstände (siehe aber RIS Justiz RS0106268).

Der Schluss vom objektiven Tatgeschehen auf die innere Tatseite (US 8) begegnet aus dem Blickwinkel der Z 5 vierter Fall keinen Einwänden (RIS Justiz RS0098671 und RS0116882).

Soweit die Mängelrüge die Feststellungen des Erstgerichts über das bisher behandelte Vorbringen hinaus anhand eigener Beweiswerterwägungen bekämpft, erschöpft sie sich in einem im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Gleiches gilt für die Tatsachenrüge (Z 5a), die sich darauf beschränkt, die Urteilskonstatierungen unter Hinweis auf die (von den Tatrichtern ohnedies festgestellten) Erektionsprobleme des Beschwerdeführers anzuzweifeln.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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