JudikaturJustiz13Os80/94

13Os80/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Juni 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Juni 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Czedik-Eysenberg als Schriftführer, in der Strafsache gegen Robert R***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 148 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Landesgerichtes Salzburg vom 21.Juni 1993, GZ 33 E Vr 37/94-1 und vom 13.Oktober 1993, GZ 33 E Vr 37/94-14, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr.Presslauer und des Verteidigers Dr.Prybila jedoch in Abwesenheit des Verdächtigen zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 33 E Vr 37/94 (früher AZ 25 Vr 1597/93) des Landesgerichtes Salzburg wurde das Gesetz verletzt:

1./ durch den Beschluß des Untersuchungsrichters vom 21.Juni 1993 auf Abbrechung des Verfahrens in der Bestimmung des § 412 StPO;

2./ durch die im Ratskammerbeschluß vom 13.Oktober 1993 (ON 14) enthaltene Rechtsmeinung, ein Antrag des Staatsanwalts beim Untersuchungsrichter auf Ausforschung und Vernehmung eines unbekannten Aufenthaltes befindlichen Verdächtigen im Sinne des § 38 Abs 3 StPO schließe die künftige Vernehmung im Rechtshilfeweg durch ein anderes Gericht jedenfalls aus, in der Bestimmung des § 88 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Am 7.Juni 1993 übermittelte die Staatsanwaltschaft Salzburg dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Salzburg eine Gendarmerieanzeige gegen Robert R***** wegen Betruges, aus der sich unter anderem ergab, daß der Angezeigte unbekannten Aufenthaltes war. Die Anklagebehörde beantragte zu dieser Anzeige die Durchführung von Vorerhebungen durch Vernehmung einer Zeugin sowie die Abbrechung des Verfahrens gegen Robert R***** gemäß § 412 StPO, die Ausschreibung des Genannten zur Aufenthaltsermittlung im Inland und nach Ausforschung seine verantwortliche Abhörung gemäß § 38 Abs 3 StPO (S 1).

Der Untersuchungsrichter stellte an die Spitze seiner am 21.Juni 1993 getroffenen Verfügungen den Beschluß auf Verfahrensabbrechung nach § 412 StPO. Er veranlaßte ferner die Fahndung nach Robert R***** und richtete an das Landesgendarmeriekommando für Salzburg ein Ersuchen um die begehrte Zeugenvernehmung (S 1 verso).

Noch bevor das Ergebnis der Zeugenvernehmung vorlag, langte beim Landesgericht Salzburg am 20.Juli 1993 eine Verständigung der Bundespolizeidirektion Salzburg ein, wonach Robert R***** anläßlich einer Perlustrierung einen in 5431 Kuchl, Oberweißenbach Nr 12 gelegenen Wohnsitz angegeben hatte (ON 5). Daraufhin ersuchte der Untersuchungsrichter am 3.August 1993 das für Kuchl örtlich zuständige Bezirksgericht Hallein um die verantwortliche Abhörung des Robert R***** gemäß § 38 Abs 3 StPO. Das Bezirksgericht Hallein stellte den Akt am 9.August 1993 ohne Entsprechung des Ersuchens zurück und verwies hiezu auf örtliche Gegebenheiten und die Ergebnisse einer Besprechung, wonach Rechtshilfeersuchen an unmittelbar benachbarte Gerichte unterbleiben sollten (S 31).

Obwohl diese Äußerung des Bezirksgerichtes Hallein auch als bloße Anregung zur Überprüfung des Vernehmungsersuchens verstanden werden konnte, erblickte der Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Salzburg darin eine formelle Verweigerung der Rechtshilfe und befaßte mit dieser Angelegenheit zunächst den Präsidenten des Gerichtshofes und danach das Oberlandesgericht Linz. Das Oberlandesgericht verwies auf die nach damaliger Rechtslage gegebene Aufsichtskompetenz der Ratskammer des Landesgerichtes Salzburg.

Mit Beschluß vom 13.Oktober 1993 (ON 14) sprach die Ratskammer aus, daß der Untersuchungsrichter im Hinblick auf die bei ihm erfolgte Antragstellung die von der Staatsanwaltschaft begehrte Vernehmung des Beschuldigten selbst vorzunehmen habe und sich dafür nicht der Rechtshilfe eines anderen Gerichtes bedienen dürfe.

In der Begründung dieser Entscheidung vertrat die Ratskammer des weiteren unter Betonung der aktuellen Antragslage sowie des Fehlens einer zustimmenden oder eine Wahlmöglichkeit einräumenden Erklärung des öffentlichen Anklägers dem Sinne nach die Auffassung, daß der Antrag auf Vernehmung des Robert R***** als Beschuldigten unter allen Umständen ein unmittelbares Einschreiten des Untersuchungsrichters erfordert und auch eine Inanspruchnahme von Rechtshilfe eines Gerichtes außerhalb des Sprengels des Landesgerichtes Salzburg ausgeschlossen hätte.

In dieser generalisierenden Auslegung einerseits, andererseits aber in der Abbrechung des Verfahrens nach § 412 StPO erblickt der Generalprokurator Gesetzesverletzungen, deren Feststellung er mit der vorliegenden Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes begehrt.

Die Beschwerde befindet sich im Recht.

Zunächst stand die Abbrechung des Strafverfahrens mit § 412 StPO nicht im Einklang. Gemäß dieser Norm muß bei Delikten, deren Täter nicht bekannt ist oder nicht vor Gericht gestellt werden kann, die Erhebung der Beschaffenheit der Tat auf Antrag des Staatsanwaltes mit der vorschriftsmäßigen Sorgfalt und Genauigkeit gepflogen werden. Das Verfahren ist in solchen Fällen erst, wenn keine Anhaltspunkte zu weiteren Nachforschungen mehr vorhanden sind, bis zur künftigen Entdeckung oder Auffindung des Täters einzustellen. Diese Verfahrenseinstellung wird in der Praxis als "Abbrechung" des Verfahrens bezeichnet.

Es steht im klaren Widerspruch zur zitierten gesetzlichen Regelung, eine derartige Verfahrensabbrechung schon vor Durchführung der vom Staatsanwalt beantragten Erhebungen (hier: durch Zeugenvernehmung) auszusprechen. Daran vermochte im vorliegenden Fall der gleichzeitig und vorbehaltlos mit dem Vorerhebungsbegehren gestellte Antrag der (zur Obsorge für den Verfahrensfortgang besonders verpflichteten: §§ 34 Abs 3, 87 Abs 1 StPO) Staatsanwaltschaft auf Abbrechung des Verfahrens nichts zu ändern.

Die Ratskammerentscheidung hinwieder entsprach zwar insoweit der Rechtslage, als das Vernehmungsersuchen des Untersuchungsrichters an das Bezirksgericht Hallein auf die Übertragung eines in den untersuchungsrichterlichen Wirkungsbereich fallenden Vorerhebungsaktes an ein im Sprengel des Gerichtshofs gelegenes Bezirksgericht hinauslief und ein solcher Schritt der Ratskammer vorbehalten gewesen wäre (§ 12 Abs 2 StPO in der Fassung vor der Novelle BGBl 1993/526). Entgegen einer im Akt (S 45) zitierten Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Linz hat der gemäß § 88 Abs 1 StPO vom Staatsanwalt mit Vorerhebungsanträgen befaßte Untersuchungsrichter des Gerichtshofes nicht die generelle Befugnis, ohne Eingreifen einer gesonderten Regelung (§ 156 StPO) oder ohne Zustimmung der Anklagebehörde die Erhebungstätigkeit durch Bezirksgerichte besorgen zu lassen. Das Gesetz räumt nämlich im § 88 Abs 1 StPO dem Staatsanwalt das Dispositionsrecht ein, ob und in welchem Ausmaß er beim Untersuchungsrichter oder aber bei den Bezirksgerichten Vorerhebungsanträge stellt. Mit diesem staatsanwaltschaftlichen Recht wäre eine Gesetzesauslegung nicht vereinbar, wonach die getroffene Wahl des einschreitenden Gerichtes durch Rechtshilfeersuchen unterlaufen werden darf. Demgemäß ist die im § 93 Abs 1 StPO enthaltene gesetzliche Regelung über die Ersuchen des Untersuchungsrichters an die Bezirksgerichte um Vornahme einzelner gerichtlicher Handlungen nur auf die Tätigkeit im Rahmen einer Voruntersuchung zugeschnitten und kann bei gerichtlichen Vorerhebungen keine Anwendung finden.

Soweit aber in der Begründung der Ratskammerentscheidung zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Antrag auf Vernehmung des Robert R***** nach § 38 Abs 3 StPO auch eine Inanspruchnahme von Rechtshilfe eines Gerichtes außerhalb des Sprengels des Landesgerichtes Salzburg ausgeschlossen hätte, kann der Auffassung der Ratskammer in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden, weil eine derartige rechtliche Tragweite des staatsanwaltschaftlichen Antrages inhaltlich nicht zum Ausdruck kam und angesichts des damaligen unbekannten Aufenthaltes des Verdächtigen und der Ungewißheit, an welchem Ort er künftig ausgeforscht werden würde, gar nicht sinnvoll gewesen wäre. Bei Anträgen auf Vernehmung erst auszuforschender Personen läßt sich im Antragszeitpunkt die Möglichkeit und Tunlichkeit einer unmittelbaren Befragung durch den Untersuchungsrichter nicht beurteilen. Es wäre daher nicht sachgerecht, ein derartiges ohne konkreten Zusatz gestelltes Verlangen als uneingeschränktes Begehren auf direktes Einschreiten des Untersuchungsrichters zu verstehen. Vielmehr umfaßt in solchen Fällen die bezügliche Antragstellung des Staatsanwalts - soweit er nicht eine Einschränkung erklärt hat - jedenfalls auch eine Erledigung im Rechtshilfeweg, wenn die zu vernehmende Person an einem außerhalb des Gerichtshofssprengels gelegenen Ort ausgeforscht wird.

Soweit die Ratskammerentscheidung in ihrer Begründung auch für solche Gegebenheiten - die allerdings im Anlaßfall nicht aktuell geworden sind - die Durchführung einer Vorerhebung im Rechtshilfeweg für unzulässig erklärte, liegt demnach eine unrichtige Verallgemeinerung vor.

Da sich die aufgezeigten Gesetzesverstöße nicht zum Nachteil des Beschuldigten auswirken, konnte es mit deren Feststellung sein Bewenden haben.

Rechtssätze
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