JudikaturJustiz13Os51/06h

13Os51/06h – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. September 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll, Mag. Hetlinger und Mag. Lendl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer in der Strafsache gegen Ronald H***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB, AZ 8b EVr 5111/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Antrag des Ronald H***** auf Erneuerung des Strafverfahrens wird Folge gegeben.

Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. November 2001, GZ 8b EVr 5111/00-151, sowie des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. April 2002, AZ 19 Bs 40/02 (GZ 8b EVr 5111/00-163), werden aufgehoben und die Sache zur Erneuerung des Strafverfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

Mit (auch einen Teilfreispruch und einen Verfolgungsvorbehalt enthaltendem) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 21. November 2001, GZ 8b EVr 5111/00-151, wurde Ronald H***** der Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien als Person männlichen Geschlechts nach Vollendung des 19. Lebensjahres mit Personen, die das 14. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatten, gleichgeschlechtliche Unzucht durch Hand-, Oral- sowie Analverkehr getrieben, und zwar

1. zwischen 11. und 16. Jänner 1998 wiederholt mit dem am 1. Juli 1981 geborenen Martin K*****,

2. in den Jahren 1995 und 1996 wiederholt mit dem am 25. Dezember 1978 geborenen Jaroslav D*****;

3. zwischen 14. August 1998 und November 1998 in wiederholten Angriffen mit dem am 17. Juli 1981 geborenen Michael He*****. Er wurde hiefür nach § 209 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.

Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 8. April 2002, AZ 19 Bs 40/02 (ON 163), keine Folge, hingegen erhöhte es in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Freiheitsstrafe unter Ausschaltung des § 43 Abs 1 StGB auf neun Monate, wovon es einen sechsmonatigen Teil unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren gemäß § 43a Abs 3 StGB bedingt nachsah. In dem über die Klage des Ronald H***** ergangenen Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 19. Jänner 2006 (R. H. gegen Österreich, Beschwerde Nr. 7336/03) stellte der EGMR eine in der Verurteilung wegen § 209 StGB gelegene und schon in der Rechtssache L. und V. gegen Österreich (vgl Beschwerden Nr. 39392/98 und 39829/98, ÖJZ-MRK 2003/19, 394) dargestellte Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK fest.

Aufgrund dieses Urteils beantragte Ronald H***** die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der angeführten Entscheidung des EGMR sind die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben:

Die Bestimmung des § 209 StGB wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 (AZ G 6/02) unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben und durch das am 14. August 2002 in Kraft getretene StRÄG 2002, BGBl I 134/2002, beseitigt. Der damit neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter bestimmten Voraussetzungen den sexuellen Missbrauch von Jugendlichen. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X StRÄG 2002) sind die durch das bezeichnete Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde. Nach Aufhebung dieses Urteils infolge Erneuerung des Strafverfahrens ist iSd §§ 1, 61 StGB vorzugehen. Klarzustellend bleibt festzuhalten, dass auf das dem nunmehr aufgehobenen Schuldspruch zu Grunde liegende Tatverhalten § 209 StGB nicht (mehr) anwendbar ist. Da aber die konventionsverletzende Bestimmung des § 209 StGB auch als Vergleichsnorm nicht berücksichtigt werden darf (vgl Reindl, WK-StPO § 363c Rz 12; 11 Os 101/03, JSt 2004/45; 15 Os 109/05a), kommt eine nachfolgende Verurteilung nach § 207b Abs 3 StGB ebenso wenig in Betracht. Da die Konventionsverletzung einen für den Verurteilten, dessen neuerliche Bestrafung wegen des in Rede stehenden Verhaltens nach dem Gesagten nicht mehr in Frage kommt, nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidungen ausübt (§ 363a Abs 1 StPO), diese verurteilenden Erkenntnisse aber nicht dem Obersten Gerichtshof zuzurechnen sind, war in Stattgebung des Erneuerungsantrags in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 363b Abs 3 StPO in nichtöffentlicher Beratung die Erneuerung des Strafverfahrens anzuordnen (vgl Reindl, WK-StPO § 363c Rz 8; 11 Os 101/03; 11 Os 44/05p; 14 Os 109/05v; 15 Os 109/05a; 13 Os 106/03).

Rechtssätze
2
  • RS0118442OGH Rechtssatz

    13. September 2006·3 Entscheidungen

    Mit dem am 14. August 2002 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, entfiel die Strafbestimmung des § 209 StGB. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter speziellen Voraussetzungen ua auch, jedoch ohne geschlechtsspezifische Differenzierung, homosexuelle Kontakte mit Jugendlichen und weist zudem deutlich reduzierte Strafdrohungen auf. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X) sind die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde. Nach Aufhebung eines solchen Urteils infolge Erneuerung des Strafverfahrens sind bei einem Vorgehen nach §§ 1, 61 StGB nur jene Strafbestimmungen zu beachten, die nicht im konkreten Anlassfall vom EGMR als konventionswidrig festgestellt wurden. In dem Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 9. Jänner 2003 (Lausch und Versat gegen Österreich, applications nos 39392/98 und 39829/98) wurde in der Verurteilung nach § 209 StGB eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK festgestellt, weil die in der zitierten Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze. Daraus ergibt sich, dass § 209 StGB als Vergleichsnorm nicht berücksichtigt werden darf und demgemäß eine Verurteilung nach § 207b StGB infolge des Rückwirkungsverbotes des § 1 StGB nicht in Betracht kommt.