JudikaturJustiz13Os191/95

13Os191/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. März 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.März 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Archan als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Manfred H***** wegen des Verbrechens der Entführung einer unmündigen Person nach § 101 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wels als Schöffengericht vom 17.Oktober 1995, GZ 13 Vr 672/95-37, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Schroll, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Kaspar, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu 3) wegen des Verbrechens der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch (mit Ausnahme des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Manfred H***** wird von der Anklage, am 14.Juni 1995 gegen 22 Uhr in Bad Schallerbach das Leben der fünfjährigen Verena P***** dadurch gefährdet zu haben, daß er das Kind nach den von den Urteilsfakten 1) und 2) umfaßten Tathandlungen auf einer Parkbank allein zurückließ, es mithin in eine hilflose Lage brachte und in dieser Lage im Stich ließ, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Manfred H***** wird für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches zur Last liegenden Verbrechen der Entführung einer unmündigen Person nach § 101 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB zu einer

Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren

verurteilt.

Gemäß § 21 Abs 2 StGB wird Manfred H***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die vorstehende Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred H***** der Verbrechen der Entführung einer unmündigen Person nach § 101 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB sowie der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 14.Juni 1995

1.) in Wels gegen 18 Uhr die am 10.Jänner 1990 geborene unmündige Verena P***** dadurch, daß er sie an der Hand nahm, mit ihr in einem Taxi zum Bahnhof und dann mit dem Zug von Wels nach Bad Schallerbach fuhr, entführte, um sie zur Unzucht zu mißbrauchen;

2.) in Bad Schallerbach dadurch, daß er Verena P***** den Overall und die Unterhose auszog, das Kind in der Folge gewaltsam festhielt, ihren Geschlechtsteil betastete, daran rieb und schleckte, ihr sein halberregtes Glied in den Mund schob und einige Male seinen Finger in ihren After einführte,

a) eine unmündige Person auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbrauchte und

b) eine Person mit Gewalt sowie durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung einer der dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung, nämlich einer analen Penetration nötigte, sowie

3.) in Bad Schallerbach gegen 22 Uhr das Leben der fünfjährigen Verena P***** gefährdete, indem er das Kind nach den unter Punkt 1. und 2. angeführten Tathandlungen auf einer Parkbank alleine zurückließ, es also in eine hilflose Lage brachte, und in dieser Lage im Stich ließ.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Gründe der Z 5a , 10 und inhaltlich auch 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt nur zum Teil Berechtigung zu.

Mit seiner gegen den Schuldspruch zum Urteilsfaktum 1 gerichteten Tatsachenrüge (Z 5 a) vermag der Beschwerdeführer keine aus den Akten nachvollziehbaren erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Seine gemäß § 35 Abs 2 StPO abgegebene Äußerung, die sich in umfassende Erwägungen zum Wert der einzelnen Beweismittel einläßt, kann daran nichts ändern.

Soweit er in diesem Rahmen Konstatierungen zur Absicht, die unmündige Person zur Unzucht zu mißbrauchen, vermißt, setzt er sich in prozeßordnungswidriger Weise über die Urteilsannahme hinweg, wonach er das Kind entführte, "um es zur Unzucht zu mißbrauchen" (US 5; vgl auch US 8 und 9: "um sich an ihr zu vergehen").

Auch die zum Urteilsfaktum 1) erhobene Subsumtionsrüge (Z 10) versagt. Dem Verbrechen der Entführung einer unmündigen Person kommt nur dann kein eigenständiger Unrechtsgehalt zu, wenn der Unzuchtsakt unmittelbar an die Entführung anschließt (Leukauf/Steininger Komm3 § 100 RN 14, § 101 RN 11; Bertel-Schwaighofer BT I4 § 100 Rz 11). Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war - der Beschwerdeauffassung zuwider - die Entführung der Unmündigen bereits mit der Ortsveränderung, durch die das Opfer dem Einfluß des Täters ausgeliefert wurde, somit gegen 18,30 Uhr (US 9) und nicht erst mit der Ankunft in Bad Schallerbach vollendet. Da der sexuelle Mißbrauch ca eine Stunde währte (US 5) und um ca 22 Uhr endete (US 6), vergingen zwischen der Entführung und den inkriminierten Unzuchtshandlungen mehr als zwei Stunden, sodaß sich die Entführung der Unmündigen nicht mehr als bloß unmittelbare Vorphase der Folgedelikte darstellt. Demgemäß ging das Schöffengericht zu Recht von einer echten Konkurrenz zwischen § 101 StGB und §§ 201 Abs 2, 207 Abs 1 StGB aus.

Im Recht ist hingegen die Beschwerde, soweit sie sich mit ihrer inhaltlich (auch) als Rechtsrüge (Z 9 lit a) aufzufassenden Tatsachenrüge gegen den zu 3) ergangenen Schuldspruch wegen des Verbrechens der Aussetzung nach § 82 Abs 1 StGB wendet und mangelnde Feststellungen zur konkreten Gefährdung des Lebens des Tatopfers und zu dem insoweit erforderlichen Vorsatz des Täters reklamiert.

Das Urteil hält hiezu fest, daß der Angeklagte das ortsfremde, fünfjährige, nur leicht bekleidete Mädchen nachts (nach 22 Uhr) allein auf einer Parkbank bei Temperaturen im Bereich von ca 10 bis 11 Grad Celsius und (zeitweise starkem) Regen zurückließ (US 6 und 10). Selbst unter Bedachtnahme auf die vom Erstgericht angeführten möglichen Gefahrenquellen in der Nähe eines Flusses, einer Bahnstrecke und einer Straße, denen sich das Kind jedoch festgestelltermaßen nicht genähert hatte, sondern auf der Bank verblieben war, und auf eine theoretisch mögliche, jedoch nicht im mindesten vorgelegene Panikreaktion des Kindes wird damit indes keine konkrete, sondern bloße eine für die Tatbestandsverwirklichung nicht hinreichende abstrakte Gefahr für das Leben des Mädchens umschrieben, ist doch eine konkrete Lebensgefährdung nur dann anzunehmen, wenn ohne fremde Hilfe die nahe Möglichkeit des Eintrittes des Todes (nicht aber wie hier einer bloßen Erkältung) gegeben ist, die Lebensrettung daher nur vom Zufall abhängt (Leukauf/Steininger Komm3 § 82 RN 5, Burgstaller in: WK § 82 Rz 13, Kienapfel BT3 § 82 RN 27 f, 19). Anhaltspunkte, die eine solche konkrete Lebensgefährdung indizieren, sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen (vgl auch ON 22), sodaß, weil eine (mängelfreie) Feststellung dieses Tatbestandserfordernisses insoferne nicht zu erwarten ist, der Oberste Gerichtshof sogleich in der Sache selbst entscheiden und den Angeklagten von diesem Tatvorwurf freisprechen konnte.

Bei der demzufolge vorzunehmenden Strafneubemessung für die aufrecht gebliebenen Schuldsprüche wegen der Verbrechen der Entführung einer unmündigen Person nach § 101 StGB, der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB waren als erschwerend zwei einschlägige Vorverurteilungen, das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und der Umstand, daß das Opfer leichte Verletzungen erlitten hat, als mildernd hingegen das Teilgeständnis und die eingeschränkte Dispositions- und Diskretionsfähigkeit des Angeklagten zu werten.

Bei Abwägung dieser Strafzumessungsgründe ist eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren tat- und tätergerecht. Da nach der Persönlichkeit des Angeklagten, seinen Vortaten und der Art der von ihm begangenen Verbrechen zu befürchten ist, daß er unter dem Einfluß seiner geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad eine Tat begeht, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist (Gutachten ON 28 und S 388 f), war er (wie auch schon vom Erstgericht angeordnet) gemäß § 21 Abs 2 StGB zudem in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher einzuweisen. Die damit konstatierte negative Verhaltensprognose steht im übrigen auch der Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht (§ 43 a Abs 4 StGB) entgegen.

Die Kostentscheidung gründet in § 390 a StPO.