JudikaturJustiz13Os144/84

13Os144/84 – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 1984

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 6.Dezember 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Müller, Dr.Schneider, Dr.Felzmann (Berichterstatter) und Dr.Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Mahn als Schriftführers in der Strafsache gegen Cemal A wegen des Verbrechens des Geldwuchers nach § 154 Abs 1 und 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengerichts vom 20.Juni 1984, GZ24 a Vr 2475/83-126 nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr.Strasser, des Angeklagten und des Vertreters Dr.Fürst zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Cemal A die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 1. Jänner 1950 geborene, seit Jahren in Österreich arbeitende türkische Staatsangehörige Cemal A wurde des Verbrechens des Geldwuchers nach § 154 Abs 1 und 3 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er von 1981 bis 1983 in Bludenz gewerbsmäßig in acht - im Urteil näher bezeichneten - Fällen die Zwangslage oder den Leichtsinn anderer in Österreich lebender türkischer Gastarbeiter dadurch ausgebeutet, daß er sich für die Gewährung von Darlehen oder für die Stundung der Rückzahlung solcher Darlehen einen Vermögensvorteil versprechen bzw. gewähren ließ, der im auffallenden Mißverhältnis zum Wert der eigenen Leistung stand (A I 1 - 8).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch ficht Cemal A mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Als Verfahrensmangel moniert der Beschwerdeführer die Abweisung seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines Sachbefunds und Vornahme von Erhebungen durch das Institut für Orientalistik an der philosophischen Fakultät der Universität Wien zum Beweis dafür, 'daß das Säbelspiel in der Türkei generell gespielt wird, daß in dem Zusammenhang mit diesem Spiel Mano verlangt wird und bei jedem Spiel üblicherweise ein Geldverleiher auftritt, der Gelder zu einem Zinssatz von 25 % an die Spieler abgibt, daß die Abwicklung dieses Spiels im Zusammenhang mit einem Geldverleiher Sitte und Gebrauch entspricht und bei türkischen Staatsangehörigen des Milieus und der Landesherkunft des Angeklagten gang und gäbe ist und in keiner Weise als sozial schlecht geschweige denn als strafbar qualifiziert wird' (S. 270/II). Diesen Antrag wies das Schöffengericht mit der Begründung ab, daß er eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage beträfe (S. 275/II).

Dem Beschwerdevorbringen, dem Angeklagten sei durch die Abweisung dieses Antrags die Beweisführung verwehrt worden, daß er sich in einem Rechtsirrtum befunden habe, ist grundsätzlich entgegenzuhalten, daß Cemal A sich niemals damit verantwortete, er habe nur die in der Türkei landesüblichen Zinsen ('Mano') für darlehensweise zur Verfügung gestelltes Spielkapital verlangt, vielmehr bestritt er die (hohen) Zinsforderungen und behauptete, Darlehen nur zu bankmäßigen Bedingungen und nicht zur Spielfinanzierung zugezählt zu haben (ON 4/I, S. 204 ff./II). Allerdings bestätigte der Zeuge Izmet B über Befragen durch den Verteidiger des Beschwerdeführers, daß in der Türkei Mano bezahlt werde und es dort viele Geldverleiher gäbe (S. 258/II). Insoweit betraf somit der Beweisantrag ein Ergebnis der Hauptverhandlung, weshalb - entgegen der Meinung der Generalprokuratur - das sich hierauf beziehende Beschwerdevorbringen nicht als unzulässige Neuerung gewertet werden kann. Nach den aufgrund gesicherter Beweisergebnisse festgestellten Zinssätzen für die (nicht nur zur Finanzierung von Spielen) gegebenen Darlehen, die vielfach 25 %, manchmal sogar 100 % des hingegebenen Kapitals trotz relativ geringer Laufzeiten (Wochen, Monate) überstiegen, wäre das (erhoffte) Beweisergebnis überhaupt nicht geeignet, den Beschwerdeführer entscheidend zu entlasten.

Daneben muß er sich aber (in rechtlicher Sicht) entgegnen lassen, daß er - nach seiner eigenen Verantwortung - lang in Österreich lebt, geschäftserfahren ist und sich im Gegensatz zu seien Landsleuten als kreditwürdiger Bankkunde bezeichnet (S.76/I S. 205, 208/II), somit über die in Österreich landesüblichen Zinssätze sehr wohl informiert war. Er könnte daher einen nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum im Sinn des § 9 StGB auch dann nicht für sich in Anspruch nehmen, wenn die einschlägigen Gebräuche in der Türkei anders sein sollten. Das Gericht konnte daher aus den angeführten, von ihm auch angesprochenen rechtlichen Gründen ohne Verletzung von Verteidigungsrechten auf die angebotenen Beweise verzichten (LSK 1984/52).

In seiner Mängelrüge bezeichnet der Beschwerdeführer das Urteil als unzureichend und unvollständig begründet, weil der Schöffensenat 'generalklauselartig' und nicht für jeden der drei Angeklagten und jedes einzelne Faktum gesondert feststellte, daß ihnen die Umstände, die den Leichtsinn, die Unerfahrenheit oder den Mangel an Urteilsvermögen begründen, bewußt waren und daß sie die Bewucherten in diesem Bewußtsein ausbeuteten.

Diesen allgemeinen und zu den einzelnen Fakten gesondert erhobenen, inhaltlich aber identen Einwänden ist die Bestimmung des § 270 Abs 2 Z 5

StPO entgegenzuhalten. Bei der nach dieser Vorschrift gebotenen gedrängten Darstellung der Urteilsgründe war das Gericht nicht gehalten, den wucherischen Vorsatz der Angeklagten, die durch fortgesetzte und im wesentlichen gleichgelagerte Darlehensgewährungen den Leichtsinn ihrer türkischen Landsleute beim Spielen ausbeuteten (A I 1,2,4,5,6,7) in jedem Einzelfall getrennt festzustellen. Jene Fälle, in denen der Beschwerdeführer die Unerfahrenheit, Zwangslage und den Mangel an Urteilskraft seiner türkischen Landsleute nicht anlässlich des Spiels, sondern im Zusammenhang mit anderen Bedürfnissen zur Erlangung eines übermäßigen Vermögensvorteils ausnützte, wurden ohnehin hervorgehoben (S. 292/II), indem auf einen Krankheitsfall (A I 8 in Verbindung mit S. 229/II) und andere familiäre Angelegenheiten (A I 3 in Verbindung mit S. 227/II) hingewiesen wird. Zu allen wesentlichen Urteilsannahmen - wozu einzelne abweichende Zahlenangaben nicht gehören - berief sich das Erstgericht aber unter Zitierung der entsprechenden Aktenstellen auf die Aussagen der ausgebeuteten Zeugen, sodaß auch in diesem Sinn von einem unter Nichtigkeitssanktion stehenden formellen Begründungsmangel keine Rede sein kann (S. 293 - 295/II).

Unzutreffend ist auch die weitere, im Rahmen der Mängelrüge aufgestellte Behauptung, das Erstgericht habe bezüglich der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung lediglich den Gesetzeswortlaut zitiert und es unterlassen, jene Umstände, Tatsachenfeststellungen oder überlegungen anzugeben, die zu diesem (rechtlichen) Schluß führten (S. 345, 348/II). Der Beschwerdeführer läßt hiebei nämlich die Konstatierung des Schöffensenats außer acht, daß der Angeklagte A bei diesen Darlehensgewährungen mit wucherischem Zins beabsichtigte, sich durch die Wiederholung der strafbaren Handlungen eine fortlaufende Einnahmsquelle zu erschließen (S. 295/II). Damit gibt das Gericht aber, dem Beschwerdevorbringen zuwider, das auch die Zielsetzung des Angeklagten umfassende, hinreichend konkretisierte Tatsachensubstrat für seine rechtliche Konklusion an und konnte sich bei dieser Urteilsannahme mängelfrei auf die Aussagen der Zeugen C, D, E, F, G, H, B und I stützen. Soweit der Beschwerdeführer aber den Nachweis zu erbringen sucht, daß in der Mehrzahl der vom Schuldspruch umfaßten Fakten anläßlich der Darlehensgewährung über Zinsen gar nicht gesprochen wurde, genügt der Hinweis, daß der Schöffensenat entgegenstehende, ein Versprechen eines Vermögensvorteils schon anläßlich jeder einzelnen Darlehensgewährung bejahende Urteilsannahme nicht getroffen hat (vgl. neuerlich S. 292 bis 295/II). Der Beschwerdeführer glaubt mit diesem Vorbringen einen Subsumtionsfehler aufzeigen zu können, wenn er meint, mangels einer ausdrücklichen wucherischen Zinsenvereinbarung bei der jeweiligen Darlehensgewährung sei der Tatbestand gar nicht erfüllt. Er übersieht hiebei, daß strafbaren Geldwucher nicht nur derjenige begeht, der sich oder einem Dritten den Vermögensvorteil versprechen läßt, sondern auch derjenige, der sich unter bewußter Ausnützung der Zwangslage, des Leichtsinns, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögens einen unverhältnismäßig hohen Vermögensvorteil gewähren läßt (§ 154 Abs 1 StGB), in welchem Fall das Delikt erst mit der Leistung vollendet ist (Leukauf-Steininger 2 RN 13 zu § 154 StGB). Damit beträfe der behauptete Begründungsmangel im Hinblick auf die Anführung beider Begehungsformen im Spruch keine entscheidungswesentliche Tatsache. Einen Feststellungsmangel (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) wirft der Beschwerdeführer dem Schöffengericht insoweit vor, als es trotz entsprechender Beweisergebnisse Urteilskonstatierungen darüber unterließ, daß 'den Spielern im Cafe J von vornherein und bevor sie das Spiellokal betraten' bekannt war, daß sie bei Geldbedarf im Spiellokal Geld zu bestimmten, nämlich wucherischen Zinssätzen, ausleihen könnten. Unter diesem Gesichtspunkt könne aber von Leichtsinn, Unerfahrenheit oder Mangel an Urteilsvermögen nicht die Rede sein (S. 349/II).

Bei diesem nur die Gewährung von Spieldarlehen (A I 1,2,4,5,6,7,) betreffenden Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer den Begriff des hier allein in Frage kommenden Leichtsinns. Das Schöffengericht konstatierte nämlich in diesem Zusammenhang, daß alle drei Angeklagten bei diesen Darlehensgewährungen in dem Bewußtsein handelten, daß die Darlehensnehmer leidenschaftliche Spieler waren, die in Geldangelegenheiten leichtsinnig handelten und unbekümmert um die Folgen der Benützung dieser Kredite das Geld annahmen. Sie waren sich hiebei wohl der Folgen ihrer Handlungsweise bewußt, aber aus Sorglosigkeit und Mangel an überlegung maßen sie den eingegangenen drückenden Bedingungen nicht die ihnen zukommende Bedeutung zu (S. 291

unten/II). Das Gericht legt somit dem Angeklagten in diesem Zusammenhang allein die Ausbeutung des Leichtsinns (nicht der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen) seiner Landsleute zur Last, also deren unüberlegte Behandlung von Geldangelegenheiten. Leichtsinnig handelt, wer zwar die Folgen seiner Handlungsweise kennt, aber aus Sorglosigkeit oder aus Mangel an überlegung den bewußt eingegangenen drückenden Bedingungen nicht die ihnen zukommende Bedeutung zugesteht (LSK 1978/188 = EvBl. 1979/19, Leukauf-Steininger 2 RN 10 § 154 StGB). Es macht also keinen Unterschied, ob den Darlehensnehmern die drückenden Geschäftsbedingungen schon früher bekannt waren oder ob sie erst im Zuge des Spiels damit konfrontiert wurden, wurzelt doch ihre (Dritten oft unverständliche) Handlungsweise in bestimmten individuellen Charakterzügen, nämlich hier in der Spielleidenschaft der in Österreich in gesellschaftlicher Isolierung befindlichen türkischen Gastarbeiter. Das Erstgericht bedurfte somit keiner weitergehenden Feststellungen, um das Verhalten des Angeklagten (und seiner Komplizen) in strafrechtlicher Hinsicht umfassend würdigen zu können.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.