JudikaturJustiz13Os144/17a

13Os144/17a – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ettel als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manuel R***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB, AZ 25 Hv 24/16d des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 31. Jänner 2017, AZ 23 Bs 359/16m (ON 35 der Hv-Akten), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Dr. Hubmer zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 25 Hv 24/16d des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 31. Jänner 2017, AZ 23 Bs 359/16m (ON 35 der Hv-Akten), § 6 Abs 1 Z 2 StVG.

Text

Gründe:

Mit am 10. November 2016 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 19. Mai 2016, GZ 25 Hv 24/16d 16, wurde Manuel R***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Monaten verurteilt. Mit unter einem gefasstem Beschluss wurde die ihm mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. November 2010, GZ 163 Hv 107/10s 67, gewährte bedingte Nachsicht eines Strafteils von zehn Monaten gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen.

Mit Verfügung vom 18. November 2016 ordnete die Einzelrichterin den Vollzug der urteilsgegenständlichen Freiheitsstrafe von zwölf Monaten und den Vollzug des vom Widerruf betroffenen Strafteils im Ausmaß von zehn Monaten an (ON 24). Am 25. November 2016 stellte der Verurteilte zu Lehrabschlusszwecken einen Antrag auf Aufschub des Strafvollzugs (ON 25), der mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Dezember 2016 (ON 26) unter Hinweis auf die gebotene Zusammenrechnung der nach der Strafvollzugsanordnung zu vollziehenden Freiheitsstrafen, deren Gesamtausmaß ein Jahr übersteige, mangels Vorliegens der Grundvoraussetzung des § 6 Abs 1 Z 2 StVG abgewiesen wurde.

Mit Beschluss vom 31. Jänner 2017, AZ 23 Bs 359/16m, hob das Oberlandesgericht Wien die Entscheidung des Erstgerichts in Stattgebung der Beschwerde des Verurteilten (ON 28) mit der Begründung auf, dass unmittelbar nacheinander zu vollziehende Freiheitsstrafen bei der Prüfung der diesbezüglich in § 6 Abs 1 StVG normierten zeitlichen Grenzen nicht zusammenzurechnen seien. Der Begriff der Freiheitsstrafe, deren Ausmaß ein Jahr nicht übersteige, beziehe sich nicht auf die Strafzeit des § 1 Z 5 StVG, sondern auf das konkrete Ausmaß der einzelnen Freiheitsstrafe (ON 35). Nach Verweisung zur neuen Entscheidung wurde der vom Verurteilten begehrte Aufschub gewährt (ON 37).

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts als Beschwerdegericht das Gesetz:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 6 Abs 1 StVG ist dem Verurteilten unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ein Aufschub des Strafvollzugs zu gewähren, wenn das Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe in den Fällen der Z 1 drei Jahre und in jenen der Z 2 ein Jahr nicht übersteigt.

Gemäß § 1 Z 5 erster Satz StVG handelt es sich bei der vom Strafvollzugsgesetz gemeinten Strafzeit um jene Zeit, die der Verurteilte aufgrund eines Strafurteils oder mehrerer unmittelbar nacheinander zu vollziehenden Strafurteile in Strafhaft zuzubringen hat. Zur Auslegung der Wortfolge „der zu vollziehenden Freiheitsstrafe“ oder zur Klärung der Frage, ob deren Ausmaß drei Jahre (§ 6 Abs 1 Z 1 StVG) oder ein Jahr (§ 6 Abs 1 Z 2 StVG) übersteigt, trägt die Definition entgegen der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts nichts bei. Während nämlich § 1 StVG seit 1. Jänner 1975 unverändert in Kraft steht (BGBl 1974/424), wurde § 6 Abs 1 StVG (soweit hier von Interesse) durch BGBl 1993/799 dahin geändert, dass die bisherige Wortfolge „wenn die Freiheitsstrafe“ durch die Begriffe „wenn das Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe“ ersetzt wurde. Dadurch sollte in Anlehnung an eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (15 Os 131/89, EvBl 1990/33) klargestellt werden, dass es bei zum Teil bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafen (§ 43a StGB) und beim Vollzug von Strafresten (§ 46 StGB) nicht auf die Gesamtdauer , sondern auf die Dauer der (unbedingten) Freiheitsstrafe ankommt, die den Gegenstand der Strafvollzugsanordnung bildet (EBRV 946 BlgNR 18. GP 17; Pieber in WK² StVG § 6 Rz 17). Ein Wille des Gesetzgebers, mit dem Urteil verhängte Freiheitsstrafen und Strafen, auf die sich eine gleichzeitig ergangene Widerrufsentscheidung bezieht, also Freiheitsstrafen, die gemeinsam den Gegenstand ein und derselben Strafvollzugsanordnung (§ 3 Abs 1 erster Satz StVG) bilden, nicht zusammenzurechnen, lässt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch den genannten Materialien (vgl zu den allenfalls missverständlichen Ausführungen der EBRV die Anmerkungen von Pieber in WK² StVG § 6 Rz 19) entnehmen. Dass das Strafvollzugsgesetz den Begriff des „Ausmaßes der zu vollziehenden Freiheitsstrafe“ mit dem urteilsmäßigen Strafausspruch (§ 260 Abs 1 Z 3 StPO) gleichsetzen wollte, lässt sich daraus ebenso wenig ableiten. Die hier in Rede stehende Frage der Miteinrechnung von Strafen oder Strafteilen, die Gegenstand eines Beschlusses gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO waren, wurde in den Materialien gar nicht thematisiert (vgl dazu auch Pieber in WK² StVG § 6 Rz 19).

Aus einer vor dem Inkrafttreten der Änderungen des § 6 Abs 1 StVG durch die Strafvollzugsnovelle 1993 (BGBl 1993/799) entwickelten Judikatur (zB 14 Os 137/90, 138/90) ist für Auslegung der – erst durch diese Novelle in das Gesetz aufgenommenen – Wortfolge des „Ausmaßes der zu vollziehenden Freiheitsstrafe“ nichts zu gewinnen. Gleiches gilt für die vom Beschwerdegericht für seinen Standpunkt angeführten Fundstellen im Schrifttum, die sich auf die genannte Entscheidung beziehen, den Umstand der Novellierung aber außer Betracht lassen ( Drexler , StVG 3 § 6 Rz 3, Mayerhofer/Salzmann , Nebenstrafrecht 6 StVG § 6 E 19a).

§ 494a Abs 1 StPO und § 53 Abs 1 StGB drücken das Bestreben des Gesetzgebers aus, grundsätzlich (vgl § 494a Abs 2 StPO) alle noch offenen Unrechtsfolgen einer spezialpräventiv wirksamen (vgl § 53 Abs 1 erster Satz StGB) Gesamtregelung zuzuführen (vgl RIS-Justiz RS0113688; Nimmervoll , Strafverfahren 2 Kap V Rz 410). Daraus folgt, dass auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Abs 1 StVG anhand der Gesamtdauer der zu vollziehenden Freiheitsstrafen, die den Gegenstand der Strafvollzugsanordnung bilden, zu prüfen ist.

Den Gegenstand der Strafvollzugsanordnung (§ 3 Abs 1 erster Satz StVG) bilden sowohl die mit dem jeweiligen Urteil verhängten Freiheitsstrafen als auch jene Strafen oder Strafreste, deren bedingte Nachsicht vom Gericht gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO widerrufen wurde (vgl Lässig , WK StPO § 397 Rz 3; Jerabek , WK StPO § 494a Rz 15; RIS Justiz RS0101517 [T1]). Die Gesamtdauer der nach der Strafvollzugsanordnung zu verbüßenden Freiheitsstrafen bildet demnach das von § 6 Abs 1 StVG gemeinte „Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe“ (vgl § 397 erster Satz StPO; § 3 Abs 1 erster Satz StVG; Pieber in WK² StVG § 6 Rz 19; OLG Wien 17 Bs 14/17h Jst-Slg 2017/32 und die Anmerkung von Nimmervoll ).

Zumal der Verurteilte nach der Strafvollzugsanordnung eine Freiheitsstrafe von insgesamt zweiundzwanzig Monaten zu verbüßen hat (ON 24), ging das Beschwerdegericht daher zu Unrecht von der Erfüllung der zeitlichen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Z 2 StVG aus.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung für den Verurteilten nicht nachteilig auswirkte, war diese bloß festzustellen (§ 292 letzter Satz StPO).