JudikaturJustiz13Os129/16v

13Os129/16v – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. April 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Melounek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Vincent O***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 14. September 2016, GZ 180 Hv 48/16m 143, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Vincent O***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 21. Oktober 2015 in Graz Edu Ov***** vorsätzlich zu töten versucht, indem er ihm mit einem Jagdmesser einen Stich in den Bauch und zumindest zwei Stiche ins Gesicht versetzte, wobei der Bauchstich eine lebensgefährliche Verletzung mit Darmaustritt zur Folge hatte.

Die Geschworenen hatten die Hauptfrage I nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB stimmenmehrheitlich bejaht und die bezughabende Zusatzfrage I nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 3 Abs 1 erster Satz StGB stimmeneinheitlich (8:0) verneint. Die „für den Fall der Bejahung der Hauptfrage I und der Verneinung der Zusatzfrage I“ zu beantwortende „Zusatzfrage II“, ob der Angeklagte „als er Edu Ov***** mit einem Jagdmesser einen Stich in den Bauch und zumindest zwei Stiche ins Gesicht versetzte, wobei der Bauchstich eine lebensgefährliche Verletzung mit Darmaustritt zur Folge hatte, die notfallmedizinisch und operativ versorgt werden musste, nur aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken das gerechtfertigte Maß der Verteidigung fahrlässig überschritten oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient“ habe, wurde stimmenmehrheitlich (3:5) verneint.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Sache nach zutreffend zeigt der Nichtigkeitswerber Verletzungen von in §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften (Z 6) auf:

Sind in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden (siehe hiezu SSt 51/29; RIS-Justiz RS0100396 und RS0100930), die – wenn sie als erwiesen angenommen werden – die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden, so ist nach § 313 StPO eine entsprechende Frage nach dem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund (Zusatzfrage) zu stellen. Indizieren die Verfahrensergebnisse mehrere Straflosigkeitsgründe (SSt 49/40; RIS-Justiz RS0100415), ist nur eine einzige – alternativ gefasste – Zusatzfrage zu stellen, über die in einem abzustimmen ist, um dem Willen der Geschworenen auch Ausdruck zu verleihen, wenn deren Mehrheit die Straflosigkeit aus unterschiedlichen Gründen bejaht (RIS Justiz RS0102740).

Demgegenüber ist eine Eventualfrage – soweit hier von Interesse (Täterschaftsform und Deliktsstadium stehen nicht in Rede) – dann zu stellen, wenn erhebliche, prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) die Verwirklichung eines anklagedifformen Tatbestands indizieren (13 Os 20/06z, SSt 2006/32; RIS-Justiz RS0100608 und RS0102724).

§ 3 StGB normiert zwei Straflosigkeitsgründe im Sinn des § 313 StPO, nämlich den Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB) und den Schuldausschließungsgrund (vgl Lewisch in WK 2 StGB § 3 Rz 159) der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB).

Bei jeweils substanziiertem Vorbringen entsprechender Tatsachen in der Hauptverhandlung (vgl Schindle r, WK-StPO § 313 Rz 6) ist somit dem Grundsatz der Totalabstimmung (erneut RIS-Justiz RS0102740) folgend die Stellung einer – alternativ gefassten – Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach beiden Straflosigkeitsgründen geboten. Sodann wäre (bei Verfahrensergebnissen, die konkret in Richtung einer fahrlässigen Notwehrüberschreitung weisen) eine – für den Fall der Verneinung der Hauptfrage oder aber der Bejahung der Hauptfrage und der Zusatzfrage zu beantwortende – Eventualfrage nach dem entsprechenden Fahrlässigkeitsdelikt infolge fahrlässiger Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt zu stellen (vgl zum sogenannten „Drei-Fragen-Schema“ Schindle r, WK StPO § 317 Rz 29 ff). Zusatzfrage und Eventualfrage sind gemäß § 317 Abs 3 StPO als solche ausdrücklich zu bezeichnen.

Indem der Schwurgerichtshof die Zusatzfrage I zur Hauptfrage I nur nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 3 Abs 1 erster Satz StGB stellte, den Schuldausschließungsgrund des § 3 Abs 2 StGB mit der fahrlässigen Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt vermengte und diesbezüglich eine für den Fall der Bejahung der Hauptfrage und der Verneinung der Zusatzfrage nach Notwehr zu beantwortende, allerdings nicht nach einem Fahrlässigkeitsdelikt gestellte „Zusatzfrage II zur Hauptfrage I“ in das Frageschema aufnahm, verstieß er somit mehrfach gegen Vorschriften über die Fragestellung.

Dass diese Formverletzungen auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnten, ist nicht unzweifelhaft erkennbar (§ 345 Abs 3 StPO).

Aufgrund des dargelegten Defizits waren der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§§ 285e, 344 StPO), weshalb sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen erübrigt.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung zu verweisen.