JudikaturJustiz13Os123/85

13Os123/85 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. September 1985

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Müller (Berichterstatter), Dr.Schneider, Dr.Felzmann und Dr.Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Mader als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter A und andere wegen des Verbrechens des schweren Raubs nach § 142 Abs 1, 143 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Maroan B sowie über die Berufung des Angeklagten Peter A gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Innsbruck vom 13. Juni 1985, GZ 20 Vr 269/85-84, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Ersten Generalanwalts Dr.Knob, sowie der Verteidiger Dr.Burghofer und Dr.Smetana, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung des Angeklagten Maroan B wird Folge gegeben und die über ihn verhängte Strafe auf 2 1/2 (zweieinhalb) Jahre herabgesetzt.

Der Berufung des Angeklagten Peter A wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen den genannten Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 16. September 1964 geborene Peter A, der am 24. Dezember 1964 geborene Maroan B und die am 26. September 1961 geborene Heidemarie C, die alle zuletzt keiner Beschäftigung nachgingen, wurden des Verbrechens des schweren Raubs nach § 142 Abs 1, 143 (erster Fall) StGB, Peter A auch des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach § 127 Abs 1, 129 Z. 2 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben Peter A, Maroan B und Heidemarie

C am 18. Jänner 1985 in Innsbruck in Gesellschaft als Beteiligte (§ 12 StGB) dem Wilfried D mit Gewalt gegen dessen Person den Betrag von 1.000 S aus dessen Kleidung geraubt, und zwar A dadurch, daß er den Wilfried D in den Würgegriff nahm, ihn zu Boden riß und mit den Füßen gegen dessen Kopf stieß; B dadurch, daß er dem Angeklagten A dabei wenigstens psychische Unterstützung leistete; C dadurch, daß sie D an eine abgelegene Stelle des alten Höttinger Friedhofs lockte (I). Peter A hat überdies am 20. Dezember 1984 in Kühnsdorf durch Aufbrechen von Umkleidekästen der Arbeiter einer Spanplatten-Fabrik eine Barschaft von insgesamt 350 S und diverse Gebrauchsgegenstände sowie Zigaretten im Wert von zusammen jedenfalls mehr als 800 S gestohlen (II).

Die Geschwornen hatten die Hauptfragen 1, 2, 3 und 5 (den Angeklagten B betreffend mit 6 zu 2 Stimmen, ansonsten aber einstimmig) mit der Einschränkung des geraubten Geldbetrags auf 1.000 S (§ 330 StPO) bejaht. Die nicht beantwortete Eventualfrage 4 war weder im Urteil noch ist sie hier zu erwähnen (siehe LSK. 1981/46 bei § 342 StPO).

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte B bekämpft den auch ihn erfassenden

Schuldspruch nach § 142 Abs 1, 143 StGB mit einer auf § 345 Abs 1 Z. 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Zunächst vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht (Z. 6), den Geschwornen hätte eine Zusatzfrage nach Putativrücktritt (§ 16 Abs 2 StGB) vorgelegt werden müssen, zumal er - was in der Folge auch als mildernd gewertet wurde - verhindert habe, daß der Mitangeklagte A auf das Raubopfer mit einem Aschenbecher einschlug und diesem weitere Fußtritte gegen den Kopf versetzte.

Indes: Der allgemeine Strafaufhebungsgrund des § 16 Abs 2 StGB (sogenannter Putativrücktritt) und folglich eine darauf abzielende Zusatzfrage hätten zur Voraussetzung gehabt, daß die Ausführung der Tat oder der Erfolg ohne Zutun des Täters unterblieben wäre, wogegen es hier zur Vollendung kam. Demnach sind die Vorschriften über die Fragestellung nicht verletzt worden.

Den Geschwornen wurde aber auch nicht, wie der Beschwerdeführer unter § 345 Abs 1 Z. 8 StPO vorbringt, eine unrichtige Rechtsbelehrung erteilt. Soweit allgemein darauf hingewiesen wird, daß die Belehrung keine ausreichende Handhabe dafür biete, die schwierigen juristischen Probleme des gegenständlichen Straffalls zu überwinden, sodaß bei den Laienrichtern vor allem durch fehlende Abgrenzungen und mangelnde Begriffserklärungen Irrtümer entstehen konnten, sind die bezüglichen Behauptungen nicht substantiiert und darum einer sachbezogenen Erwiderung unzugänglich.

Davon abgesehen wurden in der Rechtsbelehrung (den sich zu Unrecht auf die Entscheidung des verstärkten Senats des Obersten Gerichtshofs vom 11. September 1978, SSt. 49/45, berufenden Beschwerdeausführungen zuwider) die Voraussetzungen für die Annahme eines Gesellschaftsraubs in jeder Beziehung zutreffend erläutert, womit ohnedies auch klargestellt ist, 'unter welcher Bedingung es nicht ausreicht, wenn sich die Beteiligten am Tatort oder in unmittelbarer Nähe des Tatortes aufhalten'. In der Rechtsbelehrung wurden auch die Begriffe des Vorsatzes, insbesonders des bedingten Vorsatzes zutreffend erklärt. Die vom Beschwerdeführer vermißte Auseinandersetzung mit den Bedingungen bloß fahrlässigen Handelns und mit den Folgen eines allfälligen excessus mandati war entbehrlich, weil eine derartige Fallgestaltung nach der gemäß § 321 Abs 2 StPO allein zu erläuternden Fragestellung nicht zur Beurteilung stand.

Entgegen der offenbaren Ansicht der Generalprokuratur ('noch nach der Verantwortung des Beschwerdeführers zur Beurteilung stand') ist die Verantwortung des Angeklagten nicht Grundlage der schriftlichen Rechtsbelehrung und kann darum auch über § 345 Abs 1 Z. 8 StPO nicht ins Spiel kommen. Die Zitierung der § 323, 327 StPO im § 345 Abs 1 Z. 8 StPO erklärt sich nur daraus, daß in den § 323 und 327 StPO Ergänzungen auch der schriftlichen Rechtsbelehrung vorgesehen sind, und mit diesen Ergänzungen kann wieder eine Nichtigkeit (Z. 8) begründet werden. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über A gemäß § 28, 143, erster Strafsatz, StGB eine Freiheitsstrafe von acht Jahren, über B gemäß § 143, erster Strafsatz, und 41 StGB

einen Freiheitsentzug von dreieinhalb Jahren.

Bei A waren erschwerend fünf einschlägige Vorstrafen von November 1980 bis Juni 1984, von denen eine aus 1980 neben mehreren anderen Vermögens- und Gewaltdelikten auch das Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten schweren Raubs betrifft; der relativ rasche Rückfall (nach der Entlassung aus der letzten dreimonatigen Freiheitsstrafe im Juni - richtig: am 30. Juli - 1984, neue Straftat bereits im Jänner 1985, die Diebstähle aber schon am 20. Dez. 1984); das Zusammentreffen des Verbrechens des schweren Raubs mit dem des Diebstahls durch Einbruch; die brutale Vorgangsweise beim Raub (A trat auch noch gegen den Kopf des überfallenen, als dieser bereits auf dem Boden lag und sich nicht mehr rührte; auch wollte er mit einem ca. ein halbes Kilogramm schweren Glasaschenbecher auf das Opfer einschlagen, was nur durch das Dazwischentreten des B verhindert wurde); daß das Raubopfer leicht verletzt wurde; daß A an dem Raub führend beteiligt war; daß er aus besonders verwerflichen Beweggründen gehandelt hat, zumal das spätere Opfer die Täter ohnehin zuvor mit seinem Geld ausgehalten hatte; nicht zuletzt, daß er die beträchtliche Alkoholisierung des Raubopfers ausgenützt hat; mildernd waren hingegen das umfassende Geständnis hinsichtlich beider Delikte, die ihm vom psychiatrischen Sachverständigen attestierte Verwahrlosung, die Auswirkungen eines chronischen Alkoholmißbrauchs in Verbindung mit einer alkoholbedingten Verminderung des Kritikvermögens zur Tatzeit und der Umstand, daß A beide Straftaten nach der Vollendung des 18., aber noch vor der Vollendung des 21. Lebensjahrs begangen hat. Bei B waren erschwerend fünf einschlägige Vorstrafen von 1979 bis 1984, die zum überwiegenden Teil Vermögensdelikte betrafen, der rasche Rückfall (er wurde am 14. - richtig: 18. - Dezember 1984 bedingt entlassen und bereits am 18. Jänner 1985 wieder massiv straffällig), sowie, daß auch er, wie der Mitangeklagte A, aus verwerflichen Beweggründen gehandelt und die beträchtliche Alkoholisierung des Raubopfers ausgenützt hat; mildernd waren in erster Linie der Umstand, daß B sich teilweise erfolgreich gegen den Einsatz noch größerer Gewalt durch A beim Raubüberfall eingesetzt hat, indem er verhinderte, daß A mit dem Aschenbecher zuschlug und dem auf dem Boden liegenden D noch weitere Fußtritte gegen den Kopf versetzte, wobei das Geschwornengericht diesem Milderungsumstand besonderes Gewicht zuerkannte; weiters, daß auch B die Tat nach der Vollendung des 18., aber vor der Vollendung des 21. Lebensjahrs begangen hat; schlußendlich eine - allerdings nicht besonders ins Gewicht

fallende - Alkoholisierung zur Tatzeit.

Mit ihren Berufungen begehren die Angeklagten A und B eine Herabsetzung der über sie verhängten Freiheitsstrafen. Lediglich die Berufung des Zweitangeklagten greift durch.

Zwar: Selbst wenn die Vorstrafen keine schweren Gewalt- und Vermögensdelikte betroffen hätten, beruhen sie dennoch gegenüber dem Raub auf der gleichen schädlichen Neigung (siehe § 71 StGB). Sie sind damit erschwerend (§ 33 Z. 2 StGB). Auch kann bei einer neuerlichen Tatbegehung genau einen Monat nach der letzten Haftentlassung ein rascher Rückfall füglich nicht bestritten werden. Desgleichen steht fest, daß B bei der Konsumation der vom ausersehenen Opfer offerierten Getränke mitgehalten hat (S. 29, 81, 93, 121, 264/I, 119, 132 bis 134/II).

Ganz entscheidendes Gewicht kommt jedoch dem vom Geschwornengericht zu Recht eigens hervorgehobenen Eingreifen des B zugunsten des Opfers im Verlauf der Gewaltausübung beim Raub zu: Hätte er dem Mitangeklagten A den zum Schlag auf den Kopf des Opfers bereiten, schweren gläsernen Aschenbecher nicht rechtzeitig abgenommen, so wären wohl schwere

Verletzungsfolgen - wenn nicht noch örgeres - für den infolge Berauschung völlig wehrlosen Wilfried D unvermeidlich gewesen. Dies wird klar, wenn man das weitere brutale Vorgehen des A durch Tritte gegen den Kopf des bereits hilflos auf dem Boden Liegenden bedenkt, das abermals durch das Einschreiten des B abgebrochen wurde (S. 95, 111, 274, 357, 358, 360, 363, 419/I, 111, 113-115, 125, 138/II).

Daß sich B in der für das Raubopfer äußerst kritischen Situation - war doch D der erbarmungslosen Gewalt des A völlig ausgeliefert - entschlossen und tatkräftig schützend, ja geradezu rettend auf die Seite des Wehrlosen gestellt hat, ist so außergewöhnlich und wiegt so schwer, daß das außerordentliche Milderungsrecht in einem überdurchschnittlichen Ausmaß angewendet werden muß. Wenn eine Tat, wie hier, mit mindestens fünf Jahren bedroht ist, kann die außerordentliche Strafmilderung bis zu einer Freiheitsstrafe nicht unter drei Monaten führen (§ 41 Abs 1 Z. 3 StGB). Mit der Ermäßigung der in erster Instanz gefundenen Freiheitsstrafe um nicht ganz 30 % wird sonach die außerordentliche Strafmilderung keineswegs ausgeschöpft. Ein weitgehender Gebrauch der gesetzlichen Milderungsmöglichkeit ist aber hier umso mehr geboten, als der Zweitangeklagte durch seine Selbststellung (§ 34 Z. 16 StGB) nach einer Aussprache mit seiner Sozialhelferin (S. 99 unten/I) einen weiteren, unzweifelhaft positiven Wesenszug erkennen ließ. So gesehen mag seine Erziehung doch nicht so verfehlt gewesen sein, wie er es in seiner Berufungsschrift glauben machen möchte. Die Verhinderung von unter Umständen schlimmsten Tatfolgen und die Selbststellung begründen jedenfalls die im § 41 Abs 1 StGB geforderte Aussicht auf ein künftiges Wohlverhalten trotz des getrübten Vorlebens des Berufungswerbers in ungewöhnlich einprägsamer Weise. Dem trägt die Strafreduktion angemessen Rechnung.

Damit aber erledigt sich die Berufung des Erstangeklagten, der u. a. wegen eines schweren, bereits im Schulalter verübten, durchaus ähnlichen Raubs vorbestraft ist. A hat in abstoßender Roheit sein schon vor ihm liegendes Opfer noch durch Fußtritte gegen den Kopf schwer mißhandelt (S. 77, 79, 95, 265/I), weil er es 'zum Schweigen bringen wollte' (S. 119 oben/II). Daß er es nicht für immer zum Schweigen gebracht hat, ist dem möglicherweiese lebensrettenden Eingreifen seines Komplizen zu danken. Die Strafe wurde bei A ohnedies noch im Mittelfeld des von 5 bis zu 15 Jahren reichenden Strafsatzes geschöpft. Nichts von dem, was er in seiner Berufung vorbringt, vermag davon zu überzeugen, daß die Sanktion des Geschwornengerichts überhöht wäre. Die Berufung des Erstangeklagten, der übrigens beim Raubüberfall der Rädelsführer war und zudem seine rechtsfeindliche Gesinnung auch als Einbrecher bestätigt hat, scheitert somit an seiner schwerst kriminellen Persönlichkeitsstruktur.