JudikaturJustiz13Os123/14h

13Os123/14h – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bachl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mohamed E***** wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 18. Juni 2014, GZ 16 Hv 152/13w 122, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mohamed E***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (A/1), mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und 15 StGB (A/2), mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall, Abs 4 vierter Fall StGB (B/1) und mehrerer Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (B/2) schuldig erkannt.

Danach hat er in F***** und G*****

(A/1) vom 1. Juni 2009 bis Anfang Mai 2013 gegen seine damalige Ehefrau Marwa A***** längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie wiederholt durch Stoßen gegen eine Wand, Schläge gegen das Gesicht, Reißen an den Haaren, Würgen und Übergießen mit heißem Wasser vorsätzlich misshandelte und (in Form von Hämatomen und Brandwunden) am Körper verletzte,

(A/2) vom November 2001 bis zum 31. Mai 2009 Marwa A***** wiederholt vorsätzlich (in Form von Hämatomen und Brandwunden) am Körper verletzt und zu verletzen versucht, indem er ihr Schläge mit der flachen Hand und mit der Faust versetzte, sie mit einem Kochlöffel am Oberarm verbrannte, einen Schlüsselbund gegen ihren Hinterkopf sowie ihren Nacken schlug und gegen ihren Körper trat,

(B/1) gegen seine unmündigen Kinder, nämlich den am 13. Juli 2002 geborenen Mooaz E***** und die am 22. September 2007 geborene Salma E*****, vom 1. Juni 2009 bis Anfang Mai 2013 längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

Mooaz E*****

a) durch nahezu tägliches Schlagen, wiederholtes Stoßen gegen ein Sofa, Würgen und Tritte sowie Schläge mit Gegenständen, wie einem Duschkopf, Gürteln, Rohren und einem Tennisschläger, vorsätzlich misshandelte und (in Form von Hämatomen und blutenden Wunden) am Körper verletzte,

b) wiederholt mit zumindest einer Verletzung am Körper bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen,

c) durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zum Unterlassen der Preisgabe der bis dahin erfolgten Angriffe an Mitarbeiter des Amtes für Jugend und Familie der Stadt G***** nötigte und

d) durch Schläge mit einem Stuhl gegen Kopf und Körper sowie durch Tritte gegen das Gesicht eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versuchte und indem er

Salma E***** wiederholt durch Schläge und durch Stoßen gegen ein Sofa vorsätzlich misshandelte und (in Form von Hämatomen) am Körper verletzte, weiters

(B/2) vom Oktober 2002 bis zum 31. Mai 2009 seinen unmündigen Kindern Mooaz E***** und Salma E*****, die seiner Fürsorge unterstanden, körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er ihnen nahezu wöchentlich Schläge versetzte und sie gegen ein Sofa stieß, Mooaz E***** darüber hinaus mit Gegenständen schlug und ihn würgte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 2, 5, 9 (richtig) lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 2) zuwider gibt das Protokoll über die Vernehmung der Zeugin Marwa A***** im polizeilichen Ermittlungsverfahren (ON 2 S 25 bis 33) keine mit Blick auf die Bestimmungen der §§ 156 Abs 1, 159 Abs 3 StPO nichtige Beweisaufnahme wieder. Nach der Aktenlage wurde Marwa A***** nämlich über die Befreiung von der Aussagepflicht belehrt (ON 2 S 26) und verzichtete sie durch die darauffolgende Erklärung, zur Sache aussagen zu wollen (ON 2 S 28), wirksam darauf (RIS Justiz RS0097873; Kirchbacher , WK StPO § 159 Rz 9).

Ob in der am Ende der gerichtlichen Vernehmung der Zeugin Marwa A***** (ON 21) abgegebenen Erklärung, zu den von ihr „bei der Polizei geschilderten Vergewaltigungen“ von ihrem „Aussagebefreiungsrecht“ Gebrauch machen zu wollen, ein Widerruf der Verzichtserklärung zu erblicken sei, kann dahinstehen, weil selbst im Fall eines solchen Widerrufs die bis dahin erfolgten Aussagen prozessordnungskonform zustandegekommen und solcherart bei (hier gegebenem) Vorkommen in der Hauptverhandlung gemäß § 258 Abs 1 StPO anlässlich der Urteilsfällung zu berücksichtigen gewesen sind (14 Os 94/02, SSt 64/77; 15 Os 45/04, SSt 2004/42; RIS Justiz RS0117192; Kirchbacher , WK StPO § 159 Rz 13).

Hinzugefügt sei, dass nach der Aktenlage Marwa A***** auch zu Beginn ihrer gerichtlichen Vernehmung ausdrücklich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet (ON 21 S 3) und sich die angesprochene Erklärung auf nicht verfahrensgegenständliche Vorwürfe („Vergewaltigungen“) bezogen hat.

Die Behauptung der Mängelrüge (Z 5), Marwa A***** habe angegeben, dass die Zeugin Gertrude W***** an ihr Verletzungen wahrgenommen habe, entfernt sich von der Aktenlage (ON 121 S 9 iVm ON 21 S 4). Der aus dieser Behauptung entwickelte Einwand eines Erörterungsdefizits (Z 5 zweiter Fall) hat somit auf sich zu beruhen.

Die Angaben der Zeugen Waltraud H*****, Rita B*****, Fatima K*****, Elwan M*****, Ismael El*****, und Gamal Eld***** zu allfälligen Wahrnehmungen über Verletzungen an Marwa A***** und Mooaz E***** erörterten die Tatrichter sehr wohl (US 10 f). Indem die Rüge aus diesen Aussagen anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstigere Schlüsse ableitet als das Erstgericht, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen dessen Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Der Umstand, dass Mitarbeiter des Amtes für Jugend und Familie der Stadt G***** nicht Kenntnis von den zum Nachteil des Mooaz E***** erfolgten Misshandlungen erlangten, wurde ausdrücklich festgestellt (US 7). Berichte, die dies dokumentieren, waren daher nicht erörterungsbedürftig im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO.

Aus welchem Grund „Briefe, die die Kinder an den Angeklagten in die Haft schrieben“, unter dem Aspekt der Urteilsvollständigkeit einer Erörterung bedurft hätten, wird nicht klar.

Auch der Umstand, dass die Sachverständigen Prof. Dr. Darok und Dr. Willmann in Teilbereichen Geschehensabläufe, die von den vom Erstgericht festgestellten abweichen, nicht zur Gänze ausschließen konnten, begründet keine Erörterungspflicht im Sinn der Z 5 zweiter Fall.

Die insoweit inhaltlich angesprochenen Fragestellungen (mögliche Ursachen der Verletzungen des Mooaz E*****, allfällige suggestive Einflüsse auf dessen Aussagen) behandelte das Erstgericht eingehend (US 9).

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat (unter anderem) das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810).

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) ausgehend von einer offensichtlichen numerischen Fehlbezeichnung das Fehlen von Feststellungen zum Schuldspruch A einwendet, ohne die Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilskonstatierungen (US 5 f) zu berücksichtigen, wird sie diesem Erfordernis nicht gerecht.

Entsprechendes gilt für die Behauptung eines Feststellungsdefizits zum Tatbestandsmerkmal des Zufügens körperlicher oder seelischer Qualen hinsichtlich des Schuldspruchs B/2 (siehe US 8).

Die Subsumtionsrüge (Z 10, nominell verfehlt auch Z 9 lit a) legt nicht dar, weshalb die tatrichterlichen Feststellungen die Subsumtion nach der Qualifikationsnorm des § 107b Abs 4 (gemeint) vierter Fall StGB nicht tragen sollen, und entzieht sich solcherart einer meritorischen Erledigung (13 Os 151/03, SSt 2003/98; RIS Justiz RS0118415; jüngst 11 Os 3/14x).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Hinzugefügt sei, dass die Vorhaftanrechnung, das Adhäsionserkenntnis und die Kostenentscheidung (US 3 f) verfehlt (nicht in Urteils , sondern) in Beschlussform ergangen sind (siehe §§ 260 Abs 1 Z 3 und 5, 366 Abs 2 erster Satz, 389 Abs 1, 400 Abs 2 erster Satz StPO). Da der Inhalt einer Entscheidung nach ständiger Judikatur nicht durch deren Form, sondern durch deren Wesen bestimmt wird (14 Os 116/05y, SSt 2005/76; RIS Justiz RS0106264 [insbesondere T3 und T4]), kann dieser Formfehler aber auf sich beruhen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
4
  • RS0118415OGH Rechtssatz

    08. November 2023·3 Entscheidungen

    Von Feststellungsmängeln abgesehen, liegen die Nichtigkeitsgründe der Z 9 und 10 des § 281 Abs 1 StPO vor, wenn angesichts der im angefochtenen Urteil festgestellten Tatsachen zu Unrecht ein Schuld- oder Freispruch ergangen ist (Z 9 lit a bis c) oder die festgestellten Tatsachen zwar zu Recht einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumiert wurden, aber bei der Subsumtion Fehler unterlaufen sind (Z 10). Mit diesen Rechtsfragen können zur Anfechtung des Urteils Berechtigte den Obersten Gerichtshof befassen. Da die §§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO vom Beschwerdeführer verlangen, die Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt zu bezeichnen, also darzulegen, warum das Erstgericht zu Unrecht freigesprochen oder die festgestellten Tatsachen einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumiert oder nicht subsumiert hat, also aufzuzeigen, warum das Gesetz unrichtig angewendet wurde, die bloße (= substratlose) Behauptung, der Angeklagte sei nicht oder nicht im Sinn der angezogenen Gesetzesstellen schuldig, aber nicht erkennen lässt, welchen konkreten Rechtsfehler der Beschwerdeführer geltend machen will und damit einer inhaltlichen Erörterung nicht zugänglich ist, sollen derartige Rügen, um kostenaufwändige Gerichtstage zu vermeiden, bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückgewiesen werden können. Verzichtet der Beschwerdeführer auf methodengerechte Argumentation (vgl §§ 6 f ABGB, § 1 StGB) zugunsten bloßer (Rechts-)Behauptungen, können diese zwar zu amtswegigem Einschreiten des Obersten Gerichtshofes nach § 290 Abs 1 zweiter Satz (erster Fall) StPO zugunsten des Angeklagten - dann nämlich, wenn die Behauptung im Ergebnis zutrifft -, nicht aber zum Erfolg der Nichtigkeitsbeschwerde führen, sodass sich eine Behandlung im Gerichtstag erübrigt.