JudikaturJustiz12Os85/80

12Os85/80 – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 1980

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Steininger, Dr. Friedrich und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Mohr als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang A wegen des Vergehens der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218 StGB. nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Jugendschöffengericht vom 29. November 1979, GZ. 5 Vr 591/79-15, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil (Punkt B/ des Urteilssatzes) unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch (Punkt A/ des Urteilssatzes) und demzufolge auch in seinem Ausspruch gemäß § 13 Abs. 1 JGG. aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 6. November 1964 geborene, jugendliche Angeklagte Wolfgang A des Vergehens der öffentlichen unzüchtigen Handlungen nach § 218

StGB. schuldig erkannt, weil er am 6. März 1979 in Wien dadurch, daß er in einer besetzten Schulklasse vor seinen Mitschülerinnen Sonja B und Monika C mit den Worten 'Na warte, jetzt pack' ich aus' sein Glied entblößte und sich zu Susanne D äußerte 'Jetzt pudere ich dich nieder und dann blast du mir einen', unzüchtige Handlungen öffentlich und unter Umständen vornahm, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen.

Von dem weiteren Anklagevorwurf des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB. wurde er hingegen (rechtskräftig) gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen.

Nach den dem Schuldspruch wegen Vergehens nach § 218 StGB. zugrundeliegenden Urteilsfeststellungen setzte sich der Angeklagte am 6. März 1979 während einer Unterrichtsstunde in der damals von ihm besuchten (4 b Klasse der) Hauptschule in Wien 2., Feuerbachstraße 3, - von der im Klassenraum anwesenden Lehrerin unbemerkt - zu seinen Mitschülerinnen Susanne D, Monika C und Sonja B und entblößte dort mit den Worten 'Na warte, jetzt pack' ich aus' sein Glied. Sodann machte er noch gegenüber Susanne D die weitere im Urteilsspruch wiedergegebene Äußerung. Dieser Vorfall wurde anschließend (von Susanne D) der Lehrerin, die davon nichts bemerkt hatte, gemeldet.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z. 5, 9 lit. a und lit. b des § 281 Abs. 1 StPO.

gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

In Ausführung seiner Rechtsrüge bemängelt der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer Urteilsnichtigkeit nach der Z. 9 lit. a der vorzitierten Gesetzesstelle, daß dem Erstgericht bei Beurteilung des zur Verwirklichung des Delikts nach § 218 StGB. erforderlichen Tatbestandsmerkmals der öffentlichen Begehung der ihm zur Last gelegten unzüchtigen Handlungen ein Rechtsirrtum unterlaufen und das angefochtene Urteil - als Folge dieser verfehlten Rechtsansicht - mit Feststellungsmängeln objektiver und subjektiver Natur behaftet sei. Diese Rüge ist begründet.

Eine Handlung ist gemäß § 69 StGB. dann öffentlich begangen, wenn sie unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann. Der Begriff der öffentlichen Begehung erfordert zwar nicht, daß die Handlung tatsächlich (von einem größeren Personenkreis) wahrgenommen wurde (ÖJZ-LSK. 1977/270), es genügt aber anderseits auch nicht die bloß abstrakte Möglichkeit ihrer Wahrnehmung, vielmehr ist konkrete Wahrnehmbarkeit durch einen größeren Personenkreis erforderlich, die nur dann gegeben ist, wenn eine Wahrnehmung im Bereich naher Möglichkeit liegt (Pallin, Wiener Kommentar zum StGB., RN. 7 zu § 218 StGB.; Foregger-Serini2, Anm.

zu § 69 StGB. und Anm. II zu § 218 StGB.; Leukauf-Steininger2 RN 5 zu § 69 StGB.).

Der - im übrigen nur im Urteilssatz enthaltene - Hinweis des Erstgerichtes, daß der Angeklagte die ihm als das in Rede stehende Vergehen zugerechneten Tathandlungen in einer 'besetzten Schulklasse' beging, in der sich nach den Verfahrensergebnissen (vgl. Zeugin B, S. 17 d.A., und Verantwortung des Angeklagten, S. 62 d. A.) zur Tatzeit etwa 32 Mitschüler und eine Lehrerin aufgehalten hatten, reicht nach dem Vorgesagten zur Annahme einer öffentlichen Begehung noch nicht aus. Wenn auch eine solche Personenmehrheit an sich schon als 'größerer Personenkreis' im Sinne des § 69 StGB. gewertet werden kann (vgl. hiezu Leukauf-Steininger2 RN 3 zu § 69 StGB. und die dort zitierte Judikatur sowie das dort angeführte Schrifttum; ferner Foregger-Serini2, Anm. zu § 69 StGB.), bleibt im Ersturteil letztlich doch völlig offen, ob über die drei Mitschülerinnen D, C und B hinaus (bei denen das Erstgericht eine konkrete Wahrnehmbarkeit der urteilsgegenständlichen unzüchtigen Handlungen ersichtlich bejahte) auch für die übrigen im Klassenzimmer anwesenden Personen oder zumindest für einen größeren Teil davon eine solche (konkrete) Wahrnehmungsmöglichkeit bestand. Nähere Feststellungen hiezu wären im Ersturteil umso mehr erforderlich gewesen, als der Angeklagte nach den bisherigen Verfahrensergebnissen (vgl. S. 14, 15, 17, 64 und 65 d.A.) in dem Zeitpunkt, als er sein Glied entblößte, hinter einem Schultisch auf einem Sessel saß, sodaß in Anbetracht der nach seiner Verantwortung bis zu seinem Bauch reichenden Tischhöhe (S. 62 d. A.) eine Sichtbehinderung zumindest für einen Großteil der übrigen im Klassenraum anwesenden Personen auf den vom Angeklagten solcherart zur Schau gestellten Geschlechtsteil nicht ausgeschlossen werden kann, wozu noch kommt, daß das entblößte Glied des Angeklagten nach der Darstellung der Zeugin Susanne D vor der Polizei (vgl. S. 14 d.A.) nur einige Augenblicke sichtbar war und sich damals im Klassenzimmer hinter dem Angeklagten keine weiteren Personen aufgehalten haben sollen (vgl. Zeugin B S. 65 d.A. und Zeugin C, S. 66 d.A.), was darauf hinweist, daß sich der gesamte urteilsgegenständliche Vorfall hinter dem Rücken der übrigen (vor dem Angeklagten sitzenden) Mitschüler zugetragen haben könnte. Für die nach den Urteilsfeststellungen vom Angeklagten gegenüber Susanne D abgegebene und nach seiner Verantwortung nur für sie bestimmte mündliche Äußerung 'jetzt pudere ich dich nieder und dann blast du mir einen', die infolge ihrer sinnfälligen Sexualbezogenheit - wie auch das Erstgericht zutreffend erkannte - an sich als weitere, objektiv geeignete Tathandlung im Sinne des § 218 StGB. in Betracht kommt (vgl. hiezu Leukauf-Steininger2 RN 4 zu § 218 StGB.; Foregger-Serini2 Anm. I zu § 218 StGB. und SSt. 24/59), gelten in bezug auf das Tatbestandserfordernis der öffentlichen Begehung die hiezu bereits dargelegten Kriterien im gleichen Maß. Zur Beurteilung der konkreten Wahrnehmbarkeit dieser Äußerung durch einen größeren Personenkreis (die nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nur von der Zeugin D vernommen wurde; vgl. hiezu die Aussage dieser Zeugin, S. 14 und 64 d.A. sowie die Darstellung der Zeugin B, S. 65 d.A.) ist aber vor allem die Lautstärke entscheidend, mit der der Angeklagte diese Äußerung von sich gab. Hiezu läßt das Ersturteil gleichfalls jede Feststellung vermissen.

Neben den aufgezeigten, das objektive Tatbildmerkmal der öffentlichen Begehung berührenden Feststellungsmängel weist das Ersturteil aber auch noch solche zur subjektiven Tatseite des dem Angeklagten angelasteten Delikts nach § 218

StGB. auf. Die Verwirklichung dieses Vergehenstatbestandes setzt nämlich ein sämtliche Tatbestandsmerkmale umfassendes vorsätzliches Handeln des Täters voraus, wobei bedingter Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB.) ausreicht. Dem Täter muß daher unter anderem auch die konkrete Wahrnehmbarkeit (der unzüchtigen Handlung, die auch - wie bereits dargelegt - in einer mündlichen Äußerung bestehen kann) durch einen größeren Personenkreis bewußt sein, zumindest muß er dies als eine ernste Möglichkeit erkannt und sich damit abgefunden haben (Leukauf-Steininger2, RN 9 zu § 218 StGB. und Pallin, Wiener Kommentar zum StGB., RN 10 zu § 218 StGB.). In diesem Belang fehlt im Ersturteil gleichfalls jede - gerade auf Grund der vor allem in diesem Punkt leugnende Verantwortung des Angeklagten (vgl. S. 62 d.A.) gebotene - Feststellung.

Die aufgezeigten Feststellungsmängel machen eine Aufhebung des angefochtenen Schuldspruchs und die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung unvermeidlich, sodaß sich ein weiteres Eingehen auf das Beschwerdevorbringen zum Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. erübrigt. Zu der weiteren, auf den Nichtigkeitsgrund der Z. 9 lit. b der vorzitierten Gesetzesstelle gestützten Rüge, derzufolge sich der Beschwerdeführer auf den - seiner Meinung nach vom Erstgericht zu Unrecht unberücksichtigt gebliebenen - sachlichen Strafausschließungsgrund des § 42 StGB. infolge mangelnder Strafwürdigkeit der von seinem Schuldspruch erfaßten Tat beruft, ist nur der Vollständigkeit halber zu bemerken, daß nach den besonderen Tatumständen (Begehung der unzüchtigen Handlungen im Klassenzimmer in Gegenwart der Lehrkraft) die Schuld des Angeklagten ungeachtet seines jugendlichen Alters nicht mehr als gering einzustufen ist, weil hier von einem erheblichen Zurückbleiben des tatbildmäßigen Verhaltens hinter dem in der Strafdrohung des § 218 StGB. typisierten Unrechtsund Schuldgehalts nicht mehr gesprochen werden kann, sodaß es schon an der in der Z. 1 des § 42 Abs. 1 StGB. normierten Voraussetzung zur Anwendung dieser Gesetzesstelle fehlt. Es war sohin der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben, das angefochtene Urteil, das in seinem - unangefochten gebliebenen - freisprechenden Teil (Punkt B/ des Urteilssatzes) unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch (Punkt A/ des Urteilssatzes) und demzufolge auch in seinem Ausspruch gemäß § 13 Abs. 1 JGG. 1961 aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückzuverweisen.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.