JudikaturJustiz12Os77/23z

12Os77/23z – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. September 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Besic in der Rechtshilfesache gegen unbekannte Täter wegen Verbrechen des Gewaltmissbrauchs nach Art 28 des ukrainischen Strafgesetzbuchs und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 19 HSt 7/21m der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Jänner 2023, GZ 334 HR 243/22w 58, und den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 17. März 2023, AZ 22 Bs 32/23a, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, und des Vertreters Mag. Marsch zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 19 HSt 7/21m der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption verletzen die Beschlüsse

1./ des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. Jänner 2023, GZ 334 HR 243/22w 58, und

2./ des Oberlandesgerichts Wien vom 17. März 2023, AZ 22 Bs 32/23a, § 1 ARHG iVm Art 1 Abs 1 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959.

Text

Gründe:

[1] In der Rechtshilfesache gegen unbekannte Täter (Verantwortliche der ukrainischen „U*“) wegen Verbrechen des Gewaltmissbrauchs nach Art 28 des ukrainischen Strafgesetzbuchs und des Missbrauchs der Amtsgewalt oder dienstlicher Befugnisse nach Art 364 des ukrainischen Strafgesetzbuchs, AZ 19 HSt 7/21m der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), wies das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 20. Jänner 2023, GZ 334 HR 243/22w 58, den aufgrund der Rechtshilfeersuchen des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine vom 4. Oktober 2017 (ON 2), 3. Mai 2018 (ON 5), 3. Jänner 2019 (ON 7) und 6. Oktober 2021 (ON 32) gestellten Antrag der WKStA vom 2. August 2022 (ON 51) auf gerichtliche Bewilligung der „Durchsuchung beim Unternehmen B* AG“ „gemäß §§ 117 Z 2 lit b (und aus Eigenem gem lit a), 119 Abs 1, 120 Abs 1 erster Satz StPO“ betreffend näher bezeichnete Räumlichkeiten in W* ab.

[2] Der von der WKStA dagegen erhobenen Beschwerde (ON 60) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 17. März 2023, AZ 22 Bs 32/23a, nicht Folge (ON 65), wobei es sich im Wesentlichen der Argumentation des Erstgerichts anschloss.

[3] Nach den wesentlichen Beschlussannahmen (BS 2–7) sei mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR (RIS Justiz RS0126839 [T2]) eine Auslieferung von Personen an die Ukraine wegen des dort herrschenden Kriegszustands derzeit unzulässig, womit gemäß § 51 Abs 1 Z 2 (iVm § 19 Z 1 und 2) ARHG auch die Leistung von Rechtshilfe für diesen Staat nicht in Betracht komme.

Rechtliche Beurteilung

[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen diese Beschlüsse mit dem Gesetz nicht im Einklang.

[5] Gemäß § 1 ARHG finden die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes nur insoweit Anwendung, als in zwischenstaatlichen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist.

[6] Nach § 1 des – auch von der Ukraine ratifizerten – Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe (EuRHÜb) ist Österreich (abgesehen von hier nicht in Rede stehenden Verweigerungsgründen im Sinn des Art 2 EuRHÜb) verpflichtet, so weit wie möglich Rechtshilfe zu leisten.

[7] Gemäß § 5 Abs 1 EuRHÜb kann sich jede Vertragspartei das Recht vorbehalten, die Erledigung von Rechtshilfeersuchen um Durchsuchung oder Beschlagnahme von Gegenständen den in lit a bis c leg cit geregelten Bedingungen zu unterwerfen. Davon hat Österreich (nur) im Umfang des § 5 Abs 1 lit c EuRHÜb (betreffend die Vereinbarkeit des Rechtshilfeersuchens mit dem Recht des ersuchten Staats) Gebrauch gemacht. Hingegen hat Österreich eine solche Erklärung zu § 5 Abs 1 lit b EuRHÜb, wonach die dem Rechtshilfeersuchen zugrunde liegende strafbare Handlung im ersuchten Staat auslieferungsfähig sein muss, gerade nicht abgegeben (vgl zum Ganzen BGBl 1969/41). Damit kommt es im Bereich der (allgemeinen) Rechtshilfe auf den – von den Vorinstanzen bejahten (so auch Soyer/Caspar Bures in deren Glosse zur vorliegend bekämpften Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, JSt 2023, 238 f) und von der WKStA in Zweifel gezogenen – Umstand, ob die aktuelle Situation in der Ukraine eine Auslieferung von Personen an diesen Staat generell verbieten würde, gar nicht an.

[8] Vielmehr kommt die eingangs erwähnte vertragliche Verpflichtung nach Art 1 Abs 1 EuRHÜb zum Tragen, welche als zwischenstaatliche Vereinbarung Vorrang gegenüber den bloß subsidiär anwendbaren Bestimmungen des ARHG genießt ( Martetschläger in WK 2 ARHG § 1 Rz 4; Schwaighofer , Auslieferung und internationales Strafrecht, 42; vgl auch RIS Justiz RS0111531, RS0102167).

[9] Die Ablehnung der von der Staatsanwaltschaft beantragten Rechtshilfemaßnahmen hätte daher nicht auf § 51 Abs 1 Z 2 ARHG gestützt werden dürfen, womit das Gesetz wie im Spruch ersichtlich verletzt wurde.

[10] Dieser Gesetzesverstoß war mangels Nachteils für die Beschuldigten festzustellen (§ 292 vorletzter Satz StPO).