JudikaturJustiz12Os77/22y

12Os77/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen * K* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten K* gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 14. März 2022, GZ 63 Hv 6/21g 132, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten K* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Relevanz – * K* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (I./1/) und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I./3/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 27. Juli 2020 in S* * G*

I./1/ eine schwere Körperverletzung, nämlich eine operativ zu versorgende, 25 Zentimeter lange Stichverletzung am rechten Oberschenkel mit Teildurchtrennung des vierköpfigen Oberschenkelmuskels und Beschädigung einer Sehne (US 13), absichtlich zugefügt, indem er dem Genannten mit einem Messer einen Stich in den Oberschenkel versetzte und das Messer „nach oben“ zog;

I./3/ mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, nämlich zur Rückgabe einer weggenommenen Tasche samt Cannabisprodukten (US 11 und 19), genötigt, indem er ihm mit einem Messer nachlief, dadurch eine Verletzung am Körper androhte und dann (zunächst) versuchte, auf den Genannten mit einem Messer einzustechen, ehe er ihm den zu I./1/ dargestellten Stich in den Oberschenkel versetzte (US 11 und 19).

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten K* ist nicht im Recht.

Zum Schuldspruch I./1/

[4] Der Kritik unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellung zur subjektiven Tatseite zuwider, waren die Tatrichter nicht dazu verhalten, Spekulationen des Mitangeklagten * Ko* darüber zu erörtern, ob der Beschwerdeführer mit Absicht zugestochen hat (ON 131 S 33; vgl RIS Justiz RS0097540 [T17, T18, T19]). Gleiches gilt für den behaupteten Widerspruch zwischen den Aussagen des Mitangeklagten G* über seine Einschätzungen zur subjektiven Tatseite des K* (ON 8 S 85, ON 131 S 17; vgl RIS Justiz RS0097540).

[5] Welche – dem Vorbringen zufolge nicht gewürdigte (vgl aber US 16 ff) – Aussage des G* dem konstatierten Nichtvorliegen eines Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des K* (US 11 f) erörterungsbedürftig entgegenstehen soll (vgl RIS Justiz RS0098646), bezeichnet die Beschwerde (zu II./1/b/ der Beschwerdeschrift) nicht deutlich und bestimmt. Der damit im Zusammenhang stehenden Kritik unterlassener Auseinandersetzung mit der Aussage der Zeugin * A* zuwider waren deren Mutmaßungen darüber, ob Gr* mit einem Helm beworfen wurde (ON 131 S 54), sowie ihre aus der „Geräuschkulisse“ gezogenen Schlussfolgerungen auf die Anzahl anwesender Personen (ON 131 S 53) nicht zu erörtern (RIS Justiz RS0097545 [T14], RS0097540 [T2]).

[6] Die Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, die erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus Z 5 nicht bekämpft werden, soweit diese keine notwendige Bedingung für die Festellung einer entscheidenden Tatsache darstellen (RIS Justiz RS0116737). Die Tatrichter stützten die Feststellung zum Nichtvorliegen eines Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des K* (US 11 f) auf die als glaubwürdig bewerteten Aussagen der Mitangeklagten, entgegen der Behauptung des Genannten keine Waffen mit sich geführt zu haben, der Aussage der Zeugin A*, keine Waffen wahrgenommen zu haben, auf die Ausführung des Diebstahls zum Nachteil des K* von bloß zwei und nicht (wie von ihm behauptet) allen Mitangeklagten sowie auf die – (von der Beschwerde übersehen) unter anderem mit dem Sachverständigengutachten begründete (US 18) – Verursachung der Kopfverletzung des K* durch einen Schlag mit einem Motorradhelm im Zuge seiner Verfolgung durch zwei Mitangeklagte nach Ausführung der Tat (US 18). Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) eine unvollständige Begründung des letztgenannten Umstands mit der Kritik unterbliebener Erörterung der Aussage des Mitangeklagten I*, wonach er K* nicht mit dem Motorradhelm geschlagen, sondern ihn damit beworfen habe, geltend macht, bezieht sie sich lediglich auf eine einzelne erhebliche Tatsache, die für sich nicht notwendige Bedingung für die Verneinung eines Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des K* war.

[7] Entgegen dem weiteren Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) gingen die Tatrichter auf die fragliche Übereinstimmung der Verantwortung des G* mit den Spuren am Tatort ein, anders als die Beschwerde erachteten sie seine Schilderung des Tathergangs aber als glaubwürdig (US 16 ff, insbes US 18; vgl RIS Justiz RS0106588 [va T4, T13]). Auch mit dem Umstand, dass G* im Ermittlungsverfahren zunächst angab, von einem Unbekannten verletzt worden zu sein (ON 8 S 79), setzte sich das Erstgericht der weiteren Rüge zuwider auseinander (US 17).

[8] Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Aussagen kann unter dem Gesichtspunkt einer Unvollständigkeit mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht dabei nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (RIS Justiz RS0119422 [T4]). Diesem Erfordernis wird die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall), soweit sie eine fehlende Erörterung von Widersprüchlichkeiten der Verantwortung des G* zum Fluchtverhalten unmittelbar nach dem Diebstahl behauptet, nicht gerecht, weil sie nicht deutlich und bestimmt bezeichnet, gegen welche (festgestellte) entscheidende Tatsache sie sich richtet.

[9] Gleiches gilt für das Vorbringen betreffend angebliche Widersprüche in den Aussagen der Mitangeklagten * Ku* und I* über ein zeitlich vor den Taten gelegenes Treffen zum Baden.

[10] Der weitere Einwand fehlender Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Angaben dieser Angeklagten über ihren Standort im Tatzeitraum und den Zeitpunkt ihrer Rückkehr zum Tatort lässt nicht erkennen, auf welche Feststellung entscheidender Tatsachen er sich bezieht (vgl RIS Justiz RS0099563).

[11] Die von der Rüge zudem vermisste Auseinandersetzung mit der Aussage des Zeugen * Go* findet sich auf US 21.

[12] Mit dem Einwand, dass die Feststellungen im Widerspruch zu den Verantwortungen des Mitangeklagten Ko* über den Zeitpunkt der Beteiligung des I*, des Letztgenannten über die Ursache der Verletzung des Beschwerdeführers und des G* (ebenfalls) über den Zeitpunkt der Beteiligung des I* sowie zu einem Sachverständigengutachten über die möglichen Ursachen der Verletzung am Oberschenkel des G* stünden, wird ein Widerspruch im Sinn des dritten Falls der Z 5 nicht bezeichnet, sondern bloß unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft (vgl RIS Justiz RS0119089 [T1, T7]).

[13] Die (zur Begründung der subjektiven Tatseite erfolgte) Bewertung der Aussage des Beschwerdeführers (siehe US 19) über die dem G* geleistete Hilfe (ON 85 S 15 iVm ON 131 S 67) und seine Beweggründe, das Suchtgift nicht einfach „rauszurücken“ (ON 85 S 37 iVm ON 131 S 67), immer ein Messer bei sich zu führen (ON 85 S 26 iVm ON 131 S 67) und mit dem Messer „Luftstiche“ ausgeführt zu haben (ON 85 S 12 iVm ON 131 S 67), ist – der weiteren Beschwerde (nominell Z 5 dritter Fall) zuwider – einer Anfechtung aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO entzogen (vgl RIS Justiz RS0099419). Gleiches gilt für die allgemeine Kritik an der Überzeugung von der Unglaubwürdigkeit des K* (vgl im Übrigen zur Behauptung, seine Verantwortung sei „übergangen“ worden RIS Justiz RS0098642 [T1]) und der Glaubwürdigkeit der Mitangeklagten hinsichtlich ihrer den Genannten belastenden Aussagen.

[14] Das Vorbringen, wonach die „Ausführungen“ des Erstgerichts zur Aussage der Zeugin A* „unverständlich“ und „denkgesetzwidrig“ wären, bringt den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO nicht prozessordnungskonform zur Darstellung (vgl erneut RIS Justiz RS0119089).

[15] Welcher Teil des Sachverständigengutachtens (unter anderem) zur Entstehung der Verletzung des G* im Urteil unrichtig wiedergegeben wurde, bezeichnet die Rüge (Z 5 fünfter Fall) nicht deutlich und bestimmt. Dass der Sachverständige die Schilderung des Tathergangs durch den Beschwerdeführer für nicht plausibel erachtete, ergibt sich aus Seite 61 des Protokolls der Hauptverhandlung vom 14. März 2022 (ON 131). Eine Passage, wonach die Tatrichter den Sachverständigen damit zitiert hätten, die vom Beschwerdeführer behauptete Entstehung der Verletzung „ausgeschlossen“ zu haben, findet sich im Urteil nicht.

[16] Auch den Teil der Aussage des Beschwerdeführers, den das Erstgericht unrichtig wiedergegeben haben soll, benennt die Rüge (der Sache nach Z 5 fünfter Fall, nominell Z 5 dritter Fall) nicht.

[17] Die von der Tatsachenrüge (Z 5a) kritisierte Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit des Angeklagten G* ist einer Anfechtung aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO entzogen (vgl RIS Justiz RS0099649, RS0099419).

[18] Soweit die Beschwerde weiters die Verantwortung der Mitangeklagten des K* über ein zeitlich vor der Tat liegendes Treffen zum Baden als unglaubwürdig kritisiert, bezieht sie sich nicht auf eine entscheidende Tatsache (vgl aber RIS Justiz RS0117499). Gleiches gilt für das die Entstehung der Verletzung des Beschwerdeführers betreffende Vorbringen.

[19] Dass der Angeklagte Ko* letztlich nicht anzugeben vermochte, wie viele Personen beim Diebstahl des Suchtgifts des Beschwerdeführers anwesend waren, die Zeugin A* aus der „Geräuschkulisse“ auf mehr als drei Personen schloss (vgl im Übrigen zum Gegenstand des Zeugenbeweises erneut RIS Justiz RS0097540), und sich die Mitangeklagten des K* die Beute teilten, vermag keine erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung zum Nichtvorliegen eines Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit des K* zu wecken.

[20] Ebenso wenig begründen die Vermutungen des Ko* und des G* über den Vorsatz des K* (vgl aber zum Gegenstand des Zeugenbeweises neuerlich RIS Justiz RS0097540 [T17, T19]), die Schlussfolgerungen der Rüge aus den „Luftstichen“ und die Behauptung, dass das Sachverständigengutachten der Verantwortung des Beschwerdeführers nicht widerspreche, derartige Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung zur subjektiven Tatseite und (abermals) zum Fehlen einer Notwehrsituation.

Zum Schuldspruch I./3/

[21] Nach den Urteilsfeststellungen (insbes US 11 f) verfolgte der Beschwerdeführer unter anderem G*, der ihm gemeinsam mit Ko* eine Tasche samt darin befindlichem Suchtgift weggenommen hatte. Er führte mit seinem Messer „Luftstiche“ in Richtung des G* aus und versuchte, auf ihn einzustechen. Mit diesem vom Erstgericht auch als „Gewalt“ beurteilten Verhalten drohte er eine Verletzung am Körper an, wobei er das Ziel verfolgte, den Willen des G* zu beugen und ihn dazu zu bewegen, die Tasche loszulassen. Als der Beschwerdeführer zu G* aufgeschlossen hatte, erfasste er die Tasche und riss an ihr, wodurch der deutlich jüngere und unbewaffnete (US 20) G* zum Stehen kam. Anstatt ihm einen – nach Beurteilung des Erstgerichts zur „endgültigen“ Erlangung seines Eigentums ausreichenden – kräftigen Stoß gegen den Oberkörper oder Fußtritt zu versetzen, stach er ihm mit dem Messer in den Oberschenkel und zog mit Kraft von unten nach oben. Dadurch fügte er G* absichtlich die eingangs angeführte Verletzung zu (US 11). Mit diesem Verhalten zielte der Beschwerdeführer (unter anderem) darauf ab, G* zur Rückgabe der Tasche und des Suchtgifts zu bewegen (US 11 und 19 [„deshalb {...} um“]). Er handelte nicht aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (US 12 und 20).

[22] Indem Mängelrüge (Z 5 dritter und fünfter Fall) und Tatsachenrüge (Z 5a) allein die Feststellungen zu den vor dem – als Gewalt iSd § 105 Abs 1 StGB zu beurteilenden – Stich in den Oberschenkel des G* gelegenen Drohungen und „Luftstichen“ (vgl zur Qualifizierung von gezielten, ihr Ziel verfehlenden Stichen als Gewalt Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 37) des Beschwerdeführers bekämpfen, richten sie sich bloß gegen jene Urteilskonstatierungen, die dem Tatmittel der gefährlichen Drohung zu subsumieren sind, sohin bloß gegen eine einzelne von mehreren Begehungsweisen eines alternativen Mischdelikts. Damit verfehlen sie den im Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen gelegenen Bezugspunkt der Anfechtung (RIS Justiz RS0116655 [T4, T16]; vgl zum Vorliegen echter Konkurrenz zwischen § 87 StGB und § 105 StGB Schwaighofer in WK² StGB § 105 Rz 100).

[23] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten folgt (§ 285i StPO).

[24] Bleibt der Vollständigkeit halber zu bemerken, dass der K* betreffende Strafausspruch zufolge Anwendung des § 19 Abs 1 JGG (US 6) und unterbliebener Anwendung des § 39a Abs 2 Z 4 (iVm § 39a Abs 1 Z 4) StGB mit – von der Staatsanwaltschaft unbekämpft gebliebener – Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist. Denn ausgehend von der in § 87 Abs 1 StGB angedrohten Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mehr als fünf Jahren wäre aufgrund Vorliegens der Voraussetzungen des § 19 Abs 4 Z 1 JGG nicht von einem nach unten erweiterten, sondern aufgrund der Verwendung einer Waffe im funktionalen Sinn (RIS Justiz RS0134002) von einem nach unten eingeengten Strafrahmen auszugehen gewesen (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 668/3). Dieser Rechtsfehler gereichte dem Angeklagten jedoch nicht zum Nachteil, weshalb kein Anlass zu einer amtswegigen Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) bestand.

[25] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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