JudikaturJustiz12Os66/20b

12Os66/20b – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. September 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Weinhandl in der Strafsache gegen Kevin S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 26. November 2019, GZ 37 Hv 61/19a 72, und die Beschwerde des Angeklagten gegen einen zugleich gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch A./I./1./ und 2./ umfassten Taten des Angeklagten jeweils nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, im Schuldspruch C./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung und des Widerrufsbeschlusses) sowie im Verfallsausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Salzburg verwiesen.

Auf diese Entscheidung werden der Angeklagte mit dem auf die Subsumtion der vom Schuldspruch A./I./1./ und 2./ umfassten Taten nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG bezogenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde, seiner Berufung und seiner Beschwerde sowie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige (verfehlt sich auch auf die Subsumtion beziehende – vgl Lendl , WK StPO § 259 Rz 1 f mwN) Freisprüche enthaltenden Urteil wurde Kevin S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (A./I./1./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG (A./I./2./b./ und c./), des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (A./III./), des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (A./IV./) sowie des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach hat er in S***** und an anderen Orten

A./ vorschriftswidrig Suchtgift

I./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge ein- und ausgeführt (1./) sowie anderen überlassen (2./), wobei er die Straftaten nach § 28a Abs 1 SMG gewerbsmäßig beging und schon einmal wegen einer solchen Straftat verurteilt wurde, und zwar

1./ von 3. Juli 2018 bis 2. November 2018 bei zumindest sieben Bestellungen einen unbekannten Täter via Darknet dazu bestimmt, 5 Gramm Heroin mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 20 %, 100 Gramm Speed (Wirkstoff: Amphetamin) mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 20 %, 35,01 Gramm Crystal Meth (Wirkstoff: Methamphetamin) mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 77,32 % sowie unbekannte Mengen an Kokain und MDMA mit einem Reinheitsgehalt von jeweils 20 % aus den Niederlanden sowie Kanada nach Österreich zu transportieren,

2./ bei einer Vielzahl an Übergaben insgesamt 24 Gramm Heroin mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 20 %, insgesamt 4 Gramm Crystal Meth (Wirkstoff: Methamphetamin) mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von 77,32 % sowie „unbekannte Mengen an Suchtgiften“ anderen Personen gewinnbringend überlassen, und zwar:

b./ von Juli 2018 bis September 2018 insgesamt 24 Gramm Heroin an Ahmet G***** zum Preis von 60 Euro pro Gramm;

c./ von Juli 2018 bis Oktober 2018 bei vier Übergaben insgesamt 4 Gramm Crystal Meth an Melitta P***** zum Preis von 100 Euro pro Gramm;

III./ zu einem unbekannten Zeitpunkt im August 2017 500 Gramm Speed (Wirkstoff: Amphetamin) und 20 Gramm Crystal Meth (Wirkstoff: Methamphetamin) mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von jeweils zumindest 20 % mit dem Vorsatz erworben und besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde;

IV./ in einem unbekannten Zeitraum bis 2. November 2018 4 Gramm Kokain erworben und besessen;

C./ zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 26. Oktober 2018 eine inländische öffentliche Urkunde, nämlich einen durch Einsetzen eines falschen Namens verfälschten österreichischen Führerscheins, lautend auf „Michaela Maria B*****“, zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof zunächst davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass das angefochtene Urteil einen dem Angeklagten zum Nachteil unterlaufenen Subsumtionsfehler (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) in Bezug auf die Annahme gewerbsmäßiger Tatbegehung (§ 28a Abs 2 Z 1 SMG) enthält. Denn das Schöffengericht ließ (ebenso wie die Staatsanwaltschaft; vgl ON 46 S 6 und 9) die bereits vor einigen Jahren durch die Entscheidung des verstärkten Senats zu 12 Os 21/17f geänderte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS Justiz RS0131856) unberücksichtigt.

Danach genügen bloße Teilakte von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG als Bezugspunkt für wiederkehrende Begehung (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) nicht (mehr). Der zur früheren ständigen Rechtsprechung gewordene Ansatz, welcher auf exakter Abgrenzbarkeit einzelner Grenzmengen zueinander beruhte und durch den § 28a Abs 1 SMG auf diese Weise mehrfach begründet werden konnte (vgl RIS Justiz RS0112225 [T11, T14], RS0124018), wurde vom Obersten Gerichtshof aufgegeben, weil Bezugspunkt des Suchtgifthandels eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge ist, somit eine gesetzliche (auf exakt eine Grenzmenge bezogene) Abtrennungsregel für ihrerseits und im Verhältnis zueinander sukzessiv begangene Taten nach § 28a Abs 1 SMG im geltenden Recht nicht aufzufinden ist. Lediglich der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass Suchgifthandel durch je für sich große Mengen Bezugspunkt für wiederkehrende Begehung (§ 70 StGB) sein kann und eine Zusammenfassung für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigender Suchtgiftquanten zur Begründung von Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG aufgrund von Additionsvorsatz (RIS Justiz RS0124018) weiterhin möglich ist (vgl zum Ganzen neuerlich 12 Os 21/17f [verstärkter Senat]; Hinterhofer/Oshidari in Hinterhofer SMG 2 § 28b Rz 26 ff).

Somit tragen die Feststellungen, wonach sich die Suchgiftmanipulationen (A./I./1./ und A./I./2./) des – mit Additionsvorsatz handelnden – Angeklagten jeweils auf Teilmengen eines Quantums im Sinn des § 28b SMG bezogen (US 7), die Annahme gewerbsmäßiger Begehung nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG von Vornherein nicht.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die darauf bezogene (im Übrigen erfolgversprechende) Rechtsmittelargumentation des Angeklagten.

Zudem war in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 11 StPO der mit einem Rechtsfehler mangels Festellungen behaftete Ausspruch über den Verfall von 5.000 Euro (US 3) zu kassieren. Denn das Erstgericht stellte insoweit bloß fest, dass das Guthaben des Angeklagten auf seinem Konto in der Zeit vom 13. Oktober bis zum 23. Oktober 2018 von 310,27 Euro auf 5.153,52 Euro stieg (US 7, 15). Eine Aussage, dass der Angeklagte diese Vermögenswerte für die Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder durch sie erlangt hat, findet sich im Urteil hingegen nicht.

Im Übrigen ist die gegen die Schulds-prüche A./I./1./, A./I./2./ und C./ aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teilweise berechtigt.

Unvollständig (§ 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche , in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (RIS Justiz RS0118316).

In seiner Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) vermisst der Beschwerdeführer zum Schuldspruch A./I./1./ beweiswürdigende Erwägungen zu den Angaben der Zeuginnen Johanna H***** und Claudia M***** mit Blick auf den Verdacht der Suchtmittelbestellungen durch Roland S***** Auf deren – teilweise widersprüchlichen Angaben – hatte das Gericht jedoch nicht einzugehen, weil diese hinsichtlich der Person, die die Suchtmittel bestellte, bloß Vermutungen anstellten, Schlüsse aus einer Anfrage beim Angeklagten zogen sowie Spekulationen dahingehend, welche Handlungen welchen Personen zuzutrauen seien, äußerten, nicht jedoch von sinnlichen Wahrnehmungen betreffend ein Suchtgiftgeschäft des Roland S***** berichten konnten. Thema des Zeugenbeweises stellen aber weder Schlussfolgerungen noch Meinungen, sondern nur sinnliche Wahrnehmungen dar ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 352; RIS Justiz RS0097540).

Indem der Beschwerdeführer die Verfahrensergebnisse in Bezug auf die Bestellung der verbotenen Substanzen eigenständig dahin interpretiert, dass tatsächlicher Auftraggeber der die Polizei verständigende „anonyme Hinweisgeber“ und nicht der Angeklagte sei, bekämpft er bloß die gegenteiligen Annahmen des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Gleiches gilt, soweit er die Richtigkeit seiner als unglaubwürdig verworfenen Einlassung hervorkehrt und den Beweiswert der bei ihm sichergestellten Bestellliste ebenso bezweifelt wie jenen der belastenden Angaben des Zeugen Andria E*****.

Entgegen der zum Schuldspruch A./I./2./ erhobenen Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) hat sich das Erstgericht ohnedies mit dem den Angeklagten entlastenden Teil der Angaben des Zeugen Ahmet G***** auseinandergesetzt (US 12 f).

Entsprechend dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) bedurfte es jedoch nicht der Erörterung jener Details der Depositionen dieses Zeugen, wonach er in einem Fall um 200 Euro, die er vom Angeklagten geliehen hatte, bei einem Bekannten Heroin gekauft und dieses somit nicht beim Angeklagten bezogen habe.

Die Kritik an den Überlegungen des Schöffengerichts zum körperlichen und geistigen Zustand des Zeugen G***** anlässlich seiner Vernehmung vor der Polizei präsentiert sich als erneuter Angriff auf die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Aufgrund der somit erfolglos in Frage gestellten Suchtgiftübergaben an Ahmet G***** (A./I./2./a./), die bereits für sich den zu A./I./2./ erfolgten Schuldspruch nach § 28a Abs 1 SMG tragen, spricht das zu A./I./2./b./ erstattete Vorbringen keinen entscheidenden Umstand an, womit sich ein Eingehen darauf erübrigt.

Hingegen zeigt die weitere Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) des Angeklagten zutreffend eine offenbar unzureichende Begründung der zum Schuldspruch C./ getroffenen Feststellungen auf.

Nach den wesentlichen Konstatierungen erwarb der Angeklagte einen verfälschten Führerschein im Internet und verwendete diesen zur Eröffnung eines Kundenkontos (US 8). In der Beweiswürdigung stützte sich das Gericht auf den Anlassbericht des B***** (ON 13). Daraus ergibt sich aber, dass der Angeklagte nur eine Bilddatei eines verfälschten Dokuments herunterlud und diese Datei zur Anmeldung eines Kundenkontos verwendete (ON 13 S 8). Gedankenerklärungen, die sich auf Datenträgern befinden, erfüllen aber mangels schriftlicher Verkörperung den Urkundenbegriff des § 74 Abs 1 Z 7 StGB nicht (vgl RIS Justiz RS0130519; Kienapfel/Schroll in WK 2 StGB § 223 Rz 30 ff mwN).

Damit war – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil in teilweiser Stattgebung und aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten in dem im Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben, worauf der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren weiteren Rechtsmitteln zu verweisen waren.

Bleibt lediglich der Vollständigkeit halber anzumerken, dass auch der – dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgende (ON 46 S 3) – Widerruf einer bedingten Entlassung (US 3) verfehlt war, weil der Angeklagte wegen keiner innerhalb der Probezeit begangenen strafbaren Handlung (vgl § 53 Abs 1 StGB) verurteilt wurde.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).