JudikaturJustiz12Os54/20p

12Os54/20p – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Mai 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Mai 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Walter in der Strafsache gegen Abdul Ö***** wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 29. November 2019, GZ 43 Hv 53/19y 63, und den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Februar 2020, AZ 17 Bs 17/20d, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, und des Verteidigers Mag. Moser zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 43 Hv 53/19y des Landesgerichts Wiener Neustadt verletzen

1./ das Urteil dieses Gerichts vom 29. November 2019 in seinem Strafausspruch § 43a Abs 3 StGB;

2./ der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. Februar 2020, AZ 17 Bs 17/20d, im Unterlassen der amtswegigen Wahrnehmung der dem Strafausspruch des zu 1./ genannten Urteils nach § 489 Abs 1 iVm § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO anhaftenden Nichtigkeit § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm §§ 471, 489 Abs 1 StPO.

Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 29. November 2019, GZ 43 Hv 53/19y 63, das im Übrigen unberührt bleibt, wird im Ausspruch über die bedingte Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Von der über Abdul Ö***** verhängten Freiheitsstrafe von 15 Monaten wird gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von zehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der durch den Eintritt der Rechtskraft bereits in Gang gesetzte Lauf der Probezeit wird durch diese Entscheidung nicht berührt.

Text

Gründe:

Mit Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 29. November 2019, GZ 43 Hv 53/19y 63, wurde – soweit hier von Bedeutung – Abdul Ö***** der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG (I./A./) und nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (I./B./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43a Abs 3 StGB wurde (versehentlich – US 16) ein Strafteil von fünf Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Da der Angeklagte die gegen dieses Urteil gerichtete (und sodann auch ausgeführte) Berufung verspätet angemeldet (ON 65) hatte, wies das Oberlandesgericht dieses Rechtsmittel mit Beschluss vom 17. Februar 2020, AZ 17 Bs 17/20d, zurück.

Hinsichtlich des erstgerichtlichen Strafausspruchs kündigte das Berufungsgericht an, bei der Generalprokuratur im Hinblick auf die „auch schon von der Einzelrichterin und der Berufung aufgezeigte Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO“ eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes anzuregen (BS 2).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt, stehen das Urteil der Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 29. November 2019, GZ 43 Hv 53/19y 63, und der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 17. Februar 2020, AZ 17 Bs 17/20d, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Gemäß § 43a Abs 3 StGB darf bei bedingter Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe nicht mehr als ein Drittel der Strafe betragen. Bei (hier erfolgter) Verhängung einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten hätte der zu verbüßende Strafteil höchstens fünf Monate betragen dürfen. Indem das Erstgericht diesen mit zehn Monaten bemessen hat, hat es seine Strafbefugnis zum Nachteil des Verurteilten überschritten (vgl RIS Justiz RS0091988).

2./ Nach der im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts sinngemäß geltenden (§ 489 Abs 1 iVm § 471 StPO) Vorschrift des § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO hat das Berufungsgericht in Bezug auf ein Urteil, das mit materieller Nichtigkeit (§§ 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO) zum Nachteil des Angeklagten behaftet ist, so vorzugehen, als wäre der in Frage kommende Nichtigkeitsgrund geltend gemacht worden.

Diese Verpflichtung gilt auch für unzulässige Berufungen im Sinn des § 470 Z 1 (§ 489 Abs 1 zweiter Satz) StPO (vgl RIS Justiz RS0100087, Ratz , WK StPO § 290 Rz 14/1), soweit dem Berufungssenat ein relevanter Fehler (wie hier – BS 2) im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO auffällt ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 18). Dieser ist dann so zu behandeln, als wäre er in einer zulässigen Berufung geltend gemacht worden (vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 9.254).

Damit hätte das Oberlandesgericht der Nichtigkeit des erstgerichtlichen Sanktionsausspruchs von Amts wegen Rechnung tragen müssen.

Bleibt anzumerken, dass § 467 Abs 3 (§ 489 Abs 1) StPO auf ein solcherart amtswegig zu behandelndes Rechtsmittel nicht anzuwenden ist. Denn durch die Unzulässigkeit der Berufung wird die gesetzliche Vermutung dieser Vorschrift – gleich einer gegenteiligen Parteienerklärung (RIS Justiz RS0101928; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 10.182; Fabrizy , StPO 13 § 467 Rz 2) – widerlegt.

Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten auswirkten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO) und den Ausspruch bedingter Strafnachsicht wie im Spruch ersichtlich zu treffen.

Der Lauf der bereits begonnenen Probezeit für den bedingt nachgesehenen Teil der Freiheitsstrafe wird durch diese Entscheidung nicht berührt (RIS Justiz RS0118011).