JudikaturJustiz12Os54/06t

12Os54/06t – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juli 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schwab, Dr. Lässig, Dr. Solé und Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 27. Februar 2006, GZ 442 Hv 1/06y-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Altmann zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte Christian P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 18. Mai 2005 in Wien Barbara H***** dadurch mit Gewalt und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben zur Vornahme und Duldung eines Beischlafes und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen, nämlich eines Oral- und eines Analverkehrs, genötigt, dass er sie fesselte und ihr für den Fall, dass sie sich wehren oder schreien sollte, mit dem Tod drohte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung in der Form einer schweren posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatte. Die Geschworenen hatten die anklagekonform gestellte Hauptfrage wegen des Verbrechens der Vergewaltigung einstimmig bejaht. Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Die Fragenrüge (Z 6) reklamiert die Stellung einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) und einer Eventualfrage in Richtung des § 287 Abs 1 StGB, weil nach der (in isolierten Aussagepassagen wiedergegebenen) Verantwortung des Angeklagten, er sei durch Alkohol- und Medikamenteneinnahme schwer beeinträchtigt („bumm zu") gewesen und könne sich an den genauen Tathergang nicht erinnern, das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustandes indiziert gewesen sei. Gemäß § 313 StPO ist eine Zusatzfrage nach Strafausschließungsgründen nur zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausschließen würden. Auch die Stellung einer Eventualfrage (wie hier: zu Gunsten des Angeklagten) setzt nach § 314 Abs 1 StPO ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus, nach dem, sollte es als erwiesen angenommen werden, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Ebenso wie bei der pflichtgemäßen Beurteilung der rechtlichen Erheblichkeit der vorgebrachten Tatsachen durch den Schwurgerichtshof hat sich der auf ein in der Verantwortung des Angeklagten gelegenes Tatsachenvorbringen gestützte Einwand zu Unrecht unterbliebener Fragestellung (Z 6) nicht bloß an einzelnen, isoliert aus dem Kontext herausgelösten Aussagepassagen zu orientieren, sondern vielmehr die Verantwortung in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen (11 Os 30/02, 15 Os 201/98; Mayerhofer StPO5 § 313 E 25).

In seinen in der Hauptverhandlung verlesenen (S 243/II) und somit in die Betrachtung einzubeziehenden (12 Os 109/04 ua = RIS-Justiz RS0100930), von der Beschwerde aber vernachlässigten Aussagen vor der Sicherheitsbehörde und der Untersuchungsrichterin (ON 25, 27) vermochte der Angeklagte aber nicht nur Begebenheiten am Abend und in den Nachtstunden vor der Tat sowie seinen Weg zum Tatort und nach der Tat zur Justizanstalt Gerasdorf lückenlos und in Einzelheiten (Besuche von Bekannten und eines Lokals, Alkohol- und Medikamentenkonsumationen; Geh- und Fahrtrouten; Vergessen der Tasche des Tatopfers in einem Autobus) zu schildern, sondern machte auch zu seinen Wahrnehmungen unmittelbar vor der Tat (räumliche Verhältnisse im Tatortbereich; Beobachtung des Tatopfers) exakte Angaben und führte insbesondere - wenngleich ohne Erinnerung an den genauen Tathergang - wiederholt dezidiert aus, er habe die Frau „vergewaltigt", wobei er (vor der Polizei) konkret dazu befragt deponierte, er habe dabei kein Kondom verwendet (S 421/I). Diesen Bekundungen substantiell zuwiderlaufende Angaben zu seinem Erinnerungsvermögen brachte der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht vor (S 213 ff/II); die in der Beschwerde zusammenhanglos relevierte Behauptung fehlender Erinnerung bezog sich auf den an den Angeklagten gerichteten - von ihm auch im Vorverfahren gleichlautend beantworteten (S 419 f, 439/I) - Vorhalt, mit dem Tatopfer gesprochen zu haben (S 217/II).

Nach der Verantwortung des Angeklagten in ihrer Gesamtheit war daher die rechtliche Annahme einer tataktuellen rauschbedingten Ausschaltung der Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit (§§ 11, 287 Abs 1 StGB) - die in tatsächlicher Hinsicht typischerweise eine zur Tatzeit vorgelegene ungenügende Orientierung in Zeit und Raum, einen völligen Erinnerungsverlust hinsichtlich des Tatablaufes und fehlende Einsicht in den Sinngehalt des Tatverhaltens voraussetzt (Leukauf/Steininger Komm3 § 11 RN 28, § 287 RN 9; Steininger in WK2 § 287 Rz 14) - nicht indiziert.

Auch die sonstigen Verfahrensergebnisse, nämlich das die medizinischen Voraussetzungen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausches verneinende gerichtsmedizinische Sachverständigengutachten (S 103/II, 231 ff/II) und die ein planvoll-zielgerichtetes Täterverhalten schildernden Angaben des Tatopfers Barbara H***** (AS 55 ff/I, ON 31), bieten keine Anhaltspunkte für eine tataktuelle volle Berauschung. Auf Ausführungen in der Entscheidungsbegründung rekurrierendes Beschwerdevorbringen bezieht sich nicht auf ein Tatsachenvorbringen (§§ 313, 314 Abs 1 StPO) und entzieht sich damit einer sachbezogenen Erwiderung.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten nach § 201 Abs 2 erster Strafsatz StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Jahren und ordnete seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB an.

Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die (drei) einschlägigen, theoretisch die Voraussetzungen des § 39 StGB erfüllenden Vorstrafen, die Tatbegehung in einer für das Opfer qualvollen Weise und die Delinquenz während eines Hafturlaubes, als mildernd hingegen die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres, das reumütige Geständnis, den abnormen Geisteszustand infolge Persönlichkeitsstörung und die vernachlässigte Erziehung.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, die sowohl eine Reduktion der verhängten Freiheitsstrafe als auch die Aufhebung der Anordnung der Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB anstrebt; sie erweist sich in keiner Richtung als berechtigt.

Der Einwand, dem Angeklagten sei sein Handeln in einer für das Opfer qualvollen Weise nicht begreiflich gewesen, vernachlässigt die dem Schuldspruch wegen Vergewaltigung immanente vorsätzliche Tatbegehung, die sich nach gewaltsamer Fesselung und Entkleidung der auf ihre Jungfräulichkeit hinweisenden Barbara H***** (S 51, 53, 59/I) nicht nur in der Durchführung des Beischlafes, sondern auch eines Oral- und eines Analverkehrs manifestierte. Ferner übergeht er den Umstand, dass der infolge Persönlichkeitsstörung abnorme Geisteszustand ohnedies als mildernd gewertet wurde.

Dass der Angeklagte die - wie die Berufung vermeint „nur" durch schwere psychologische Probleme begründete - Qualifikation nicht vorhergesehen und auch nicht gewollt habe, vermag einen Milderungsgrund jedenfalls nicht zu begründen.

Die drei einschlägigen Vorstrafen wegen gefährlicher Drohung, Körperverletzung und minderschweren Raubes wurden vom Erstgericht zu Recht als erschwerend gewertet und offenbaren trotz ihres, in Relation zu dem hier zu beurteilenden deliktischen Verhalten vergleichsweise geringeren sozialen Störwerts die dem zum Tatzeitpunkt erst 19-jährigen Angeklagten eigene gleichgültige Einstellung gegenüber der körperlichen Integrität und Willensfreiheit Dritter.

Angesichts des hohen Schuld- und Unrechtsgehaltes der durch überdurchschnittliche Brutalität gekennzeichneten Tathandlungen und der schweren, bei ungünstiger Prognose einer (vollständigen) Heilung, noch Monate nach der Tat unverändert fortdauernden seelischen Beeinträchtigung der bis zum Tatzeitpunkt gesunden jungen Frau (vgl S 239 bis 243/II) erweist sich die Verhängung einer Sanktion im oberen Bereich des Strafrahmens von 1 bis 15 Jahren (§ 36 StGB) als nicht überhöht, sodass der begehrten Strafreduktion nicht nähergetreten werden konnte.

Der Berufungswerber vermeint, die vom Geschworenengericht - im Übrigen mit zureichender Begründung - angenommene Befürchtung, der Angeklagte werde ohne seine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen, stehe im Widerspruch zur Höhe der verhängten Freiheitsstrafe, hätte diese bei Zutreffen des prognostizierten weiteren Täterverhaltens doch keinerlei bessernde Wirkung. Er verkennt jedoch, dass die vor der Freiheitsstrafe zu vollziehende Maßnahme (§ 24 Abs 1 StGB) der Gefährlichkeit des Täters entgegenwirken und daher streng von der schon von ihrem Wesen und Zweck verschiedenen Strafe zu trennen ist (vgl 10 Os 82/75, 15 Os 135/00). Schließlich muss daher auch sein Versuch scheitern, aus der zugleich angeordneten Anstaltsunterbringung die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe in Frage zu stellen (9 Os 177/83, 15 Os 135/00).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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