JudikaturJustiz12Os48/22h

12Os48/22h – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * Z* und andere Angeklagte wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 26 U 11/21m des Bezirksgerichts Neunkirchen, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 14. Dezember 2021, GZ 26 U 11/21m 13, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Geymayer und der Angeklagten * Z* , * V* und * G* zur Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom 14. Dezember 2021, GZ 26 U 11/21m 13, verletzt § 129 Abs 1 Z 2 StGB sowie § 450 StPO iVm § 30 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Neunkirchen die Durchführung des Strafverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

[1] Im Strafverfahren AZ 26 U 11/21m des Bezirksgerichts Neunkirchen legte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt * Z*, * M*, * V* und * G* mit Strafantrag vom 2. Dezember 2021 als Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB sowie des Diebstahls nach § 127 StGB beurteilte Verhaltensweisen zur Last (ON 7).

[2] Das Bezirksgericht Neunkirchen fasste am 14. Dezember 2021 den Beschluss, zur Führung des Verfahrens „sachlich unzuständig“ zu sein (ON 13). Danach ergebe sich aufgrund des Anklagesachverhalts und des Akteninhalts der Vorwurf, es hätten

I./ * Z*, * M* und * G* im bewussten und gewollten Zusammenwirken am 30. Jänner 2021 in G* einen Warenautomaten zum Nachteil des Unternehmens * S* von seinem Standort abtransportiert, diesen sodann aufgebrochen und das darin befindliche Bargeld in Höhe von 20 Euro weggenommen;

II./ * Z*, * M* und * V* im bewussten und gewollten Zusammenwirken am 13. Mai 2021 in P* einen Warenautomaten zum Nachteil des Unternehmens Automaten Vo* von seinem Standort abtransportiert, diesen sodann aufgebrochen und das darin befindliche Bargeld von 20 Euro weggenommen.

[3] Diese „Tat“ sei – zufolge Aufbrechens eines Behältnisses – (auch) § 129 Abs 1 Z 2 StGB zu subsumieren, zumal die Angeklagten angaben, sie hätten das Geld aus dem Warenautomaten erlangen wollen; eine (von der Staatsanwaltschaft angenommene) „Sachbeschädigung“ sei lediglich Begleiterscheinung. Da das Vergehen des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen nach § 129 StGB „mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren bedroht“ sei, bestehe gemäß § 31 Abs 4 StPO iVm § 27 Abs 2 JGG die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters des Landesgerichts. Die sachliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichts sei mit Beschluss gemäß § 450 StPO auszusprechen.

[4] Dieser Beschluss blieb unbekämpft (vgl ON 1.6, 2; ON 13 S 3).

Rechtliche Beurteilung

[5] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzt der bezeichnete Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen das Gesetz.

[6] Die Qualifikation des § 129 Abs 1 Z 2 StGB erfordert, dass der für den Diebstahl deliktsspezifische Gewahrsamsbruch durch das Aufbrechen oder das Öffnen des Behältnisses mit einem der in § 129 Abs 1 Z 1 StGB genannten Mittel unmittelbar am Tatort erfolgt; nimmt aber der Dieb das versperrte Behältnis als solches vom Tatort weg, um es später aufzubrechen und sich den Inhalt zuzueignen, so ist die Qualifikation des § 129 Abs 1 Z 2 StGB nicht gegeben (RIS Justiz RS0094099; Stricker in WK 2 StGB § 129 Rz 82; Fabrizy , StGB 13 § 129 Rz 2; jeweils mwN).

[7] Ausgehend von den Verdachtsannahmen, wonach die Angeklagten die Warenautomaten jeweils von ihrem Standort abtransportierten und diese erst danach (demnach nach der Sachwegnahme) aufbrachen, um das darin befindliche Bargeld zu entnehmen, war der Gewahrsamsbruch bereits vor dem Aufbrechen des Behältnisses vollzogen und somit der Diebstahl (§ 127 StGB) bereits vollendet; eine rechtliche Beurteilung dieses Verhaltens (auch) nach § 129 Abs 1 Z 2 StGB scheidet auf Basis der vom Bezirksgericht angenommenen Verdachtslage aus.

[8] Gemäß § 30 Abs 1 StPO obliegt dem Bezirksgericht – mit taxativ angeführten Ausnahmen – das Hauptverfahren wegen Straftaten, die nur mit einer Geldstrafe oder mit einer Geldstrafe und einer ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafe oder nur mit einer solchen Freiheitsstrafe bedroht sind.

[9] Das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB sieht als Strafdrohung die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder einer Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen vor. Der Ausspruch der sachlichen Unzuständigkeit des Bezirksgerichts widerspricht daher – zumal es auch für die Aburteilung der weiters zur Last gelegten Sachbeschädigung (§ 125 StGB) zuständig ist – § 450 StPO iVm § 30 Abs 1 StPO.

[10] Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil der Angeklagten auswirkt (RIS Justiz RS0108369), sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).