JudikaturJustiz12Os29/16f

12Os29/16f – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Serdar A***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Juli 2015, GZ 21 Hv 37/14h 121, sowie über deren Beschwerde gegen einen zugleich gefassten Beschluss auf Vorbehalt des Widerrufs bedingter Strafnachsichten nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde, die „Berufung wegen Schuld“ und die Beschwerde werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen Schuldspruch und weitere Freisprüche des Angeklagten enthaltenden Urteil wurde Serdan A***** (soweit vorliegend von Bedeutung) von der Anklage, er habe eine längere Zeit hindurch, nämlich vom 18. Juli 2011 bis 5. Jänner 2014 in F***** „gegen Suna C***** fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie durch die Androhung, ihren Eltern zu erzählen, dass sie eine Beziehung mit ihm führe, mithin durch gefährliche Drohung, am 18. Juli 2011, dazu nötigte, in seinen Pkw zu steigen, sowie im Zeitraum Juli 2011 bis Mitte 2012 wiederholt zu einem Treffpunkt im Bereich N an der Donau zu kommen, ihr wiederholt Schläge mit der flachen Hand, Faustschläge und Fußtritte versetzte, sie kratzte und biss und an den Haaren zog und dadurch zum Teil auch am Körper verletzte, zuletzt am 5. Jänner 2014, wobei die Tat einen knöchernen Ausriss an der vierten Zehe links, multiple Blutergüsse im Bereich des Brustkorbes, der Ober und Unterarme sowie des rechten Gesäßes, ein beidseitiges Brillenhämatom, einen Bluterguss am rechten Augapfel sowie einen Tinnitus und eine Prellung des linken Ohres zur Folge hatte,“ gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft schlägt fehl.

Gründet das Gericht den

Freispruch auf die Annahme, dass ein Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt sei, und trifft es nicht Feststellungen zu allen übrigen, reicht es unter dem Aspekt erfolgreicher Urteilsanfechtung nicht, allein die den Freispruch begründende Annahme (aus Z 5) zu bekämpfen. Vielmehr ist überdies hinsichtlich jener Tatbestandsmerkmale, zu denen

das Urteil keine Konstatierungen enthält, ein Feststellungsmangel (Z 9 lit a) geltend zu machen. Fehlen die dafür nötigen Indizien, bedarf es der Geltendmachung darauf bezogener Anträge aus Z 4, wurden die fehlenden Tatbestandsmerkmale verneint, ist insoweit ein Begründungsmangel geltend zu machen (RIS Justiz RS0127315).

Vorliegend verneinte das Erstgericht bereits in objektiver Hinsicht § 107b Abs 1 StGB subsumierbare Tathandlungen (US 6, 7) und traf (demgemäß) zum Vorsatz des Angeklagten keine Konstatierungen. Indem es die Beschwerde unterlässt, einen Feststellungsmangel in Betreff der nicht im Urteil enthaltenen subjektiven Tatbestandselemente (vgl dazu Kienapfel/Schroll , BT I 4 § 107b Rz 11; Winkler SbgK § 107b Rz 112 ff) geltend zu machen, spricht sie keine entscheidenden Tatsachen an. Ein Eingehen auf die Argumentation der Mängelrüge erübrigt sich damit.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen Schuld bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO; vgl RIS Justiz RS0130018 [T2, T3]).

Ebenso war mit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Unterbleiben einer Widerrufsentscheidung iSd § 494a Abs 1 Z 4 StPO zu verfahren. Denn die genannte Bestimmung sieht eine erstinstanzliche Entscheidungskompetenz des Rechtsmittel-gerichts im Widerrufsverfahren nicht vor. Konnte (wie hier [vgl ON 120 S 11]) über den Widerruf bedingter Strafnachsichten mangels Aktenkundigkeit nicht schon in erster Instanz entschieden werden, kommt eine Entscheidung nach § 494a StPO durch das zwischenzeitig Kenntnis erlangende Rechtsmittelgericht nicht in Betracht (EvBl 1988/63; 12 Os 174, 175/95; Jerabek , WK StPO § 498 Rz 9).

Bleibt der Vollständigkeit halber anzumerken, dass es der Fassung eines „Vorbehaltsbeschlusses“ (§ 494a Abs 2 letzter Satz StPO) gar nicht bedurfte. Denn bei Unmöglichkeit einer Widerrufsentscheidung nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO wegen fehlender Entscheidungsgrundlagen iSd § 494a Abs 3 StPO geht die Entscheidungskompetenz schon ex lege auf das in § 495 Abs 1 StPO bezeichnete Gericht über (RIS Justiz RS0101952 [T1], Jerabek , WK StPO § 494a Rz 10).

Rechtssätze
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