JudikaturJustiz12Os279/62

12Os279/62 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. September 1962

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 1962 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Estl, Dr. Müller, Dr. Fehrenkampf und Dr. Hartmann als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Gutschreiter als Schriftführers in der Strafsache gegen Heinrich M***** wegen des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung nach dem § 152 StG über die von der Generalprokuratur gegen die Vorgangsweise des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom 9. April und 24. April 1962, GZ Hs 37/62 und Hs 46/62, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters - Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Fehrenkampf und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Lustig, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Vorgangsweise des Bezirksgerichtes Purkersdorf vom 9. April 1962, Hs 37/62, und vom 24. April 1962, Hs 46/62, womit es die Rechtshilfeersuchen des Einzelrichters beim Kreisgericht St.Pölten um Abhörung des Beschuldigten Heinrich M***** (nach Einbringung eines Strafantrages im vereinfachten Verfahren gegen diesen und vor Anordnung einer Hauptverhandlung) als gesetzlich nicht zulässig bzw. gesetzwidrig ablehnte, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 26, 220 und 488 StPO.

Text

Gründe:

Aus den angeschlossenen Akten 7 E Vr 114/62 des Kreisgerichtes St.Pölten und 9 Ns 1013/62 Oberlandesgerichtes Wien ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Das Gendarmeriepostenkommando Neulengbach erstattete am 21. 12. 1961 gegen den staatenlosen, in Gablitz wohnhaften landwirtschaftlichen Hilfsarbeiter Heinrich M***** die Anzeige wegen des Verbrechens der schweren körperlichen Beschädigung nach dem § 152 StG (ONr 2 des Aktes 7 E Vr 114/62 des Kreisgerichtes St.Pölten), worauf die Staatsanwaltschaft St.Pölten am 28. 12. 1961 unter 3 St 3581/61 gegen den Genannten einen Strafantrag im vereinfachten Verfahren wegen des Verbrechens nach dem § 162 StG stellte (ONr. 3), ohne dass eine gerichtliche Voruntersuchung oder auch nur Vorerhebungen vorangegangen waren.

Am 14. 3. 1962 übermittelte der Einzelrichter beim Kreisgericht St.Pölten die Akten dem Bezirksgericht Purkersdorf mit dem Ersuchen, dem Beschuldigten eine Gleichschrift des Strafantrages im vereinfachten Verfahren nachweislich auszuhändigen und ihn hiezu abzuhören (S. 1). Das Bezirksgericht Purkersdorf verfügte zwar am 22. 3. 1962 unter Hs 37/62 die Vorladung des Beschuldigten für den 9. 4. 1962, mittelte jedoch, als der Beschuldigte nicht erschienen war, die Akten dem Kreisgericht St.Pölten am 9. 4. 1962 unerledigt mit der Stellungnahme zurück, eine Abhörung des Beschuldigten erscheine gemäß dem § 488 Z 4 StPO nicht zulässig, die Zustellung des Strafantrages müsste mit erheblichem Zeitaufwand durch einen Vollstrecker erfolgen, weshalb sie zweckmäßig durch die Post vorgenommen werden solle (S. 2). Am 12. 4. 1962 wiederholte der Einzelrichter beim Kreisgericht St.Pölten das Rechtshilfeersuchen an das Bezirksgericht Purkersdorf und führte dabei aus, dass die Vernehmung des Beschuldigten deshalb erfolgen solle, um allenfalls eine Durchführung der Hauptverhandlung in dessen Abwesenheit zu ermöglichen (S. 2). Das Bezirksgericht Purkersdorf lehnte unter Hs 46/62 am 24. 4. 1962 das Rechtshilfeersuchen unter Hinweis auf die erfolgte Erhebung des Strafantrages im vereinfachten Verfahren und auf die Bestimmung des § 487 StPO erneut als gesetzwdrig ab und gab seiner Meinung dahin Ausdruck, dass somit auch die Zustellung des Strafantrages durch das Bezirksgericht Purkersdorf entbehrlich erscheine. Der Einzelrichter beim Kreisgericht St.Pölten legte daraufhin die Akten am 26. 4. 1962 dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung gemäß dem § 64 StPO über den aus diesem Sachverhalte sich ergebenden negativen Kompetenzkonflikt zwischen dem Kreisgericht St.Pölten und dem Bezirksgericht Purkersdorf vor (S. 3).

Das Oberlandesgericht Wien vertrat in seiner an die Oberstaatsanwaltschaft Wien gerichteten Zuschrift vom 10. 5. 1962, 9 Ns 1013/62, die Auffassung, dass es sich im vorliegenden Falle nicht um einen negativen Kompetenzkonflikt im Sinne des § 64 StPO handle, sondern um die Frage der Gesetzmäßigkeit der Ablehnung des am 14. 3. 1962 gestellten und am 12. 4. 1962 wiederholten Rechtshilfeersuchens des Kreisgerichtes St.Pölten durch das Bezirksgericht Purkersdorf. Eine Prüfung zeigt, dass die Ablehnung der Ersuchen des Einzelrichter beim Kreisgericht St.Pölten um Abhörung des Beschuldigten durch das Bezirksgericht Purkersdorf mit dem Gesetze nicht im Einklang steht. Gemäß § 26 StPO sind die Strafgerichte in allem, was zu ihrem Verfahren gehört, berechtigt, mit allen Bundes-, Landes- und Gemeindebehörden der Republik Österreich unmittelbares Einvernehmen durch Ersuchschreiben zu pflegen. Alle Bundes-, Landes- und Gemeindebehörden sind verbunden, den Strafgerichten hilfreiche Hand zu bieten und deren an sie gelangten Ersuchen mit möglichster Beschleunigung zu entsprechen oder den Strafgerichten die entgegenstehenden Hindernisse sogleich anzuzeigen.

Gemäß dem § 483 Abs 2 StPO soll der Staatsanwalt den Antrag auf Bestrafung im vereinfachten Verfahren nur stellen, wenn der Beschuldigte von einer öffentlichen Behörde oder einer der im § 68 des Strafgesetzes erwähnten Personen auf Grund ihrer eigenen dienstlichen Wahrnehmung oder eines vor ihr abgelegten Geständnisses angezeigt oder mit Gegenständen, die auf seine Teilnahme an der strafbaren Handlung hinweisen, betreten worden ist oder sonst der Beweis seiner Schuld voraussichtlich leicht erbracht werden kann. Daraus erhellt, dass der Antrag auf Bestrafung im vereinfachten Verfahren auch dann erfolgen kann, wenn weder gerichtliche Vorerhebungen noch eine Voruntersuchung stattgefunden hat. Gemäß dem § 487 StPO ist die Hauptverhandlung anzuordnen, wenn gegen die Anträge des Staatsanwaltes keine Bedenken bestehen oder die erhobenen Bedenken durch die Entscheidung der Ratskammer oder des Gerichtshofes zweiter Instanz bestätigt sind.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß dem § 488 StPO gelten für die Vorbereitungen zur Hauptverhandlung dem Sinne nach die Bestimmungen des XVII. und XVIII.Hauptstückes (§§ 220 bis 279) mit den dort angeführten Abweichungen und Ergänzungen nach Z 4 sind die Bestimmungen der §§ 224 und 276 über die Vornahme von Erhebungen oder Untersuchungshandlungen durch den Untersuchungsrichter nur anwendbar, wenn die Beweise nicht in der Hauptverhandlung aufgenommen werden können, und dass der Untersuchungsrichter, wenn er diese Voraussetzungen nicht für gegeben hält, die Entscheidung der Ratskammer einzuholen hat; nach der Z 6 hat der Einzelrichter die Befugnisse und Obliegenheiten des Vorsitzenden des Gerichtshofes. Gemäß dem § 220 Abs 1 StPO ist ein Angeklagter, soferne die Anklage auf eines der dem Geschwornengerichte zur Aburteilung zugewiesenen Verbrechens gerichtet ist, vom Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes zu vernehmen; nach dem Abs 3 hat der Vorsitzende des Schöffengerichtes Vorkehrungen zur Bestellung eines Verteidigers zu treffen, wenn die Anklage wegen einer Handlung erhoben ist, die mit einer 5 Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist. Die Vernehmung des Angeklagten vor der Hauptverhandlung ist somit lediglich dem Vorsitzenden des Schwurgerichtes zur Pflicht gemacht. Diese dem französischen Rechte nachgebildete Bestimmung soll ein Mittel für den Vorsitzenden sein, den Angeklagten kennen zu lernen, sich selbst die Leitung der Verhandlung zu erleichtern, die Lage des Verfahrens gehörig zu beurteilen und zu ersehen, ob kein Verteidigungsmittel unbenützt geblieben ist. Dem Angeklagten wird die Möglichkeit geboten, sich über die gegen ihn erhobene Anklage noch besser zu erklären und den Vorsitzenden auf neue Beweise, deren Erhebung dieser anordnen kann, aufmerksam zu machen (Mayer, Pkt. 5 und 10 zu § 220). Der einleuchtende Zweck einer solchen Vernehmung führte zum Ergebnis, dass sie hinsichtlich eines Angeklagten, gegen den eine Anklage wegen nicht in die Zuständigkeit des Geschwornengerichtes fallender Verbrechen, Vergehen und Übertretungen erhoben wurde, nicht schlechthin unzulässig oder gar gesetzwidrig sein kann, wie denn auch Tlapek-Serini in ihrer Ausgabe der StPO, Anmerkung 1 zu § 220, zutreffend bemerkten, eine derartige Vernehmung des Angeklagten (Beschuldigten) außerhalb des Geschwornengerichtsverfahrens sei weder vorgeschrieben noch unzulässig.

Der Einzelrichter beim Kreisgericht St.Pölten war nach diesen Überlegungen somit befugt, nach Einbringung des Strafantrages im vereinfachten Verfahren vor Anordnung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung derselben die gerichtliche Vernehmung des vom Gerichte noch nicht vernommenen Beschuldigten Heinrich M***** anzuordnen. Gemäß dem § 26 StPO war er berechtigt, in diesem Sinne ein Rechtshilfeersuchen an das Bezirksgericht Purkersdorf zu richten. Eine Untersuchungshandlung im Sinne des § 224 StPO stellt eine solche lediglich der Vorbereitung der Hauptverhandlung dienende Vernehmung des Beschuldigten nicht dar, sodass für die Frage, ob die Voraussetzungen nach dem § 488 Z 4 StPO vorliegen, kein Raum ist; die Berufung des Bezirksgerichtes Purkersdorf auf die Bestimmung des § 487 StPO geht schon deshalb fehl, weil seine Bedenken nicht gegen die Anträge des Staatsanwaltes (das ist der Strafantrag im vereinfachten Verfahren), sondern gegen die vom Einzelrichter ersuchte Vernehmung des Beschuldigten gerichtet waren.

Vor allem kommt aber dazu folgendes: Ein Rechtshilfegericht ist zwar berechtigt und verpflichtet, sich von der rechtlichen Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens zu überzeugen. Sein Prüfungsrecht ist jedoch insoweit begrenzt, als es das Ersuchen nur zurückweisen darf, wenn die beantragten Handlungen nach den für seinen Bereich - man denke an Rechtshilfeersuchen ausländischer Gerichte - geltenden gesetzlichen Bestimmungen unzulässig sind. Ist also die Prozesshandlung, um deren Vornahme das Rechtshilfegerichte ersucht wurde, an sich zulässig, dann ist es nicht berechtigt zu prüfen, ob diese Prozesshandlung mit den für das ersuchende Gericht maßgeblichen Verfahrensvorschriften im Einklange steht, wie es denn ebensowenig zu einer Prüfung befugt ist, ob die Prozesshandlung geboten, zweckmäßig oder angemessen ist (Mayer Pkt 9, 10 und 11 zu § 26 StPO, Roeder S. 72 Anm 1). Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass dem Rechtshilfegerichte gleichsam eine Kontrollbefugnis gegenüber dem ersuchenden Gerichte - im gegenständlichen Falle noch dazu einem Gerichte höherer Ordnung - eingeräumt wird. Davon, dass die Vernehmung des Beschuldigten Heinrich M***** nach Einbringung des Strafantrages im vereinfachten Verfahren und vor Anordnung einer Hauptverhandlung unzulässig ist, kann nach dem oben Gesagten keine Rede sein.

Es war daher der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und festzustellen, dass die erwähnte Vorgangsweise des Bezirksgericht Purkersdorf das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 26, 220 und 488 StPO verletzt.