JudikaturJustiz12Os154/11f

12Os154/11f – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Potmesil als Schriftführer in der Strafsache gegen Paul M***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. April 2011, GZ 43 Hv 37/11s 52, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, und des Verteidigers Dr. Rumpf zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. April 2011, GZ 43 Hv 37/11s 52, verletzt das Gesetz

1./ im Schuldspruch I./1./ in § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG und §§ 270 Abs 2 Z 4 iVm 260 Abs 1 Z 2 StPO;

2./ im Schuldspruch I./2./ in § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG;

3./ im Schuldspruch II./ in § 30 Abs 1 achter Fall SMG;

4./ im Verfallserkenntnis in §§ 1, 61, 20 Abs 1 StGB.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen I./1./, I.2./ und II./ sowie im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) und im Verfallserkenntnis aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

Paul M***** wurde mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. April 2011, GZ 43 Hv 37/11s 52, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG (I./1/) sowie der (jeweils mehreren) Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (I./2./), des unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 achter Fall SMG (II./) und der Urkundenfälschung nach § 223 (Abs 1) StGB (III./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gemäß § 20 Abs 1 StGB wurde der Betrag von 27.353,64 Euro für verfallen erklärt (US 4).

Danach hat er in Wien und Innsbruck, soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes von Bedeutung,

I./ vorschriftswidrig Suchtgift

1./ gewerbsmäßig in einer das 25 fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, nachdem er schon einmal wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war, indem er von Mai 2009 bis 16. September 2010 an im Urteil genannte gesondert verfolgte Personen insgesamt mindestens 11.820 Mundidol Kapseln 200 mg gewinnbringend veräußerte;

2./ von Februar 2009 bis 16. September 2010 erworben und besessen, indem er ca 4.920 Mundidol Kapseln 200 mg und eine nicht mehr festzustellende Anzahl, „jedoch etliche Flaschen à 3,5 g Morphium Hydrocloricum konsumierte“;

II./ im Sommer 2009 vorschriftswidrig psychotrope Stoffe anderen überlassen, indem er eine nicht mehr festzustellende Menge Somnubene 1 mg Filmtabletten an eine im Urteil genannte gesondert verfolgte Person gewinnbringend veräußerte.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29. April 2011, GZ 43 Hv 37/11s 52, steht, wie die Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu Recht ausführt, mit dem Gesetz in mehreren Punkten nicht im Einklang:

1. Die Entscheidungsgründe enthalten keine Feststellungen über Wirkstoff und Menge von Suchtgift (zu I./) und psychotropen Stoffen (II./). Die hier vorliegende bloße Bezeichnung mit Marken oder Handelsnamen und die bloße Nennung der Anzahl und Bezeichnung von (allenfalls ein Suchtgift oder einen psychotropen Stoff enthaltenden) Tabletten genügt nicht (RIS Justiz RS0114428; vgl US 5: „Mundidol Kapseln“, „Morphium Hydrocloricum 3,5“; US 6: „Somnubene 1 mg“). Auch wenn Tatsachen notorisch sind müssen sie, um einen Schuldspruch zu tragen, in den Entscheidungsgründen festgestellt werden ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 600).

2./ Der Schuldspruch I./1./ (§§ 270 Abs 2 Z 4 iVm 260 Abs 1 Z 2 StPO) erstreckt sich zum Vorteil des Angeklagten nicht auf die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, obwohl entsprechende Feststellungen getroffen wurden (US 7; vgl § 70 StGB).

3./ Der vom Schuldspruch I./2./ erfasste Erwerb und Besitz von Suchtgift dadurch, dass der Angeklagte „ca 4.920 Stück Mundidol Kapseln 200 mg und eine unbekannte Menge Morphium Hydrocloricum konsumierte“, wurde vom Schöffengericht § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG unterstellt. Dabei blieb unbeachtet, dass Erwerb und Besitz von Suchtgift wie konstatiert in einzelnen Fällen ausschließlich für den eigenen Konsum stattfanden (US 5), was in Ansehung dieser Taten zur Privilegierung nach § 27 Abs 2 SMG führt (RIS Justiz RS0126214).

4./ Zum für verfallen erklärten Geldbetrag von 27.353,64 Euro wird aus den Entscheidungsgründen im Tatsächlichen nicht klar, wie sich dieser errechnet. Weiters ist zu berücksichtigen, dass die Verfallsbestimmungen des StGB durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 grundlegend geändert worden sind. Da dieses Gesetz mit 1. Jänner 2011, somit zwar vor dem Urteilszeitpunkt, aber nach Vollendung der gegenständlichen Taten, in Kraft getreten ist (Art 5 BGBl I 2010/108), durfte der Angeklagte durch die Anwendung der Neufassung nicht schlechter gestellt werden als nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage (§ 1 Abs 2 StGB). Diese sah als vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die Abschöpfung der Bereicherung vor (§ 20 StGB aF), von der abzusehen war, soweit die Zahlung des Geldbetrags das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschweren oder ihn unbillig hart treffen würde, insbesondere weil die Bereicherung im Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr vorhanden ist, wobei aus einer Verurteilung erwachsende andere nachteilige Folgen zu berücksichtigen waren (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB aF). Diesbezügliche Erwägungen sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen (vgl jüngst 13 Os 45/11h).

Weil nicht auszuschließen ist, dass sich (mit Ausnahme der Nichtannahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG) die Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, waren deren Feststellungen mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO; siehe zur Bedeutung des Verschlechterungsverbots im weiteren Verfahren Ratz , WK-StPO § 290 Rz 31).