JudikaturJustiz12Os127/22a

12Os127/22a – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Lonin in der Strafsache gegen * F* und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten * F* und * W* sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 18. Mai 2022, GZ 65 Hv 19/21h 73, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Den Angeklagten * F* und * W* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten * F* und * W* jeweils des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie vom Februar 2018 bis zum Oktober 2018 in W* und andernorts im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Mag. * Wa* und * Wi* als Geschäftsführer bzw Verantwortliche der P* GmbH durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch Vortäuschung, von diesen einbezahlte Gelder im Zusammenhang mit Stipendien für Flugschüler würden auf einem Treuhandkonto der U* AG sicher angelegt und im Fall der Rückforderung durch die P* GmbH von der U* AG zurückbezahlt werden, zur Überweisung von Geldbeträgen verleitet, wodurch die P* GmbH in dem 300.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt 445.000 Euro am Vermögen geschädigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten * F* und * W*, die jeweils auf § 281 Abs 1 Z 5, „5 lit. a“, 8 und 9 lit a StPO gestützt werden.

Zur „Präambel“ der Nichtigkeitsbeschwerde des * F*:

[4] Entgegen dem Vorbringen des Rechtsmittelwerbers (der Sache nach Z 9 lit b) erfolgte nach der Aktenlage (vgl ON 1 S 11) am 30. April 2021 keine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen ihn wegen der anklagegegenständlichen Vorwürfe (siehe dazu im Übrigen auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Linz vom 22. September 2022 über den Anklageeinspruch des Beschwerdeführers, AZ 9 Bs 142/21b [ON 41, insbesondere S 3]).

[5] Soweit die „Nichtbeachtung“ (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) der Verantwortung des Beschwerdeführers „zu dem Deckungsfonds Nickeldraht in Absicherung der Überweisungen der Privatbeteiligten“, des Wertgutachtens über den Nickeldraht und des „vom Erstgericht beantragten Schriftgutachtens“ kritisiert wird, lässt die Beschwerde offen, welche Feststellung einer entscheidenden Tatsache von diesen behaupteten Mängeln betroffen wäre und verfehlt bereits deshalb ihr Ziel (RIS Justiz RS0130729).

[6] Zu einer Erörterung des „relevanten Vorbringens des Verteidigers“ war das Erstgericht entgegen der Beschwerdeauffassung schon deshalb nicht verhalten, weil dieses kein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnis darstellt.

[7] Die Kritik, die „Urkunde E2 [sei] niemals offiziell im Strafverfahren vorgelegt“ worden, lässt keinen Bezug zu den Nichtigkeitsgründen der StPO erkennen.

Zu den inhaltsgleich – großteils sogar wortgleich – ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten:

[8] Soweit die Mängelrügen (Z 5 erster, zweiter und vierter Fall) nicht deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1, 285a Z 1 StPO) konkrete Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS Justiz RS0117499), sondern – jeweils isoliert – einzelne der angestellten beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter (zum Abschluss der Reservierungsverträge [US 6, 10 und 18], zur Verwendung eines Treuhandkontos [US 10] und zur Existenz und Werthaltigkeit des Nickeldrahts [US 8]) bekämpfen, verfehlen sie von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (erneut RIS Justiz RS0130729 [insbesondere T2]).

[9] Gleiches gilt, soweit sich (auch) die Tatsachenrügen (Z 5a) gegen die Erwägungen des Schöffensenats zu den Reservierungsverträgen und zur Existenz und Werthaltigkeit des Nickeldrahts wenden (vgl RIS Justiz RS0117499, RS0106268 [insbesondere T7]).

[10] Vielmehr erschöpft sich das weitwendige Vorbringen insoweit in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer in kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[11] Ob das Urteil die Anklage überschreitet, ist anhand des prozessualen Tatbegriffs zu beurteilen. Meinen Anklage und Urteil denselben Sachverhalt, dieselbe Tat, liegt Anklageüberschreitung nicht vor (RIS Justiz RS0113142). Dies verkennen die – zu Recht – Identität von Anklage und Urteilssachverhalt gar nicht nicht bestreitenden, auf Z 8 gestützten Beschwerden, die der Sache nach lediglich kritisieren, die Tatrichter seien der Verantwortung der Angeklagten in Bezug auf die Reservierungsverträge nicht gefolgt.

[12] Zudem behaupten die Rügen eine Verletzung des „Überraschungsverbots“, also eine Abweichung in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts ohne vorherige Information der Angeklagten (vgl RIS Justiz RS0113755 und RS0121419 [insbesondere T9 und T11]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 545). Dieser – im Übrigen ohne konkretes Vorbringen lediglich unsubstantiiert erhobene – Einwand ist im Hinblick auf die bereits in der Anklageschrift vorgenommene rechtliche Beurteilung der anklagegegenständlichen Taten als Verbrechen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (ON 33 S 2) schlicht unverständlich.

[13] Soweit die Rechtsrügen (Z 9 lit a) geltend machen, Rechtsgrund für die inkriminierten Zahlungen seien die gültig zustande gekommenen Reservierungsverträge gewesen, argumentieren sie nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (US 3) und verfehlen solcherart den Bezugspunkt der geltend gemachten materiell rechtlichen Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

[14] Weshalb Feststellungen zur Existenz und zur Werthaltigkeit des Nickeldrahts für die rechtsrichtige Subsumtion als Betrug erforderlich wären, legen die Rechtsrügen nicht dar (RIS Justiz RS0119884 [T1 und T2]).

[15] Die (substanzlose) Behauptung des Vorliegens eines Tatbildirrtums bei beiden Angeklagten ist mangels Orientierung an den Feststellungen zu deren subjektiver Tatseite (US 4) nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (RIS Justiz RS0099810, vgl auch RS0088950).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

[17] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
4
  • RS0121419OGH Rechtssatz

    28. März 2023·3 Entscheidungen

    Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken.

  • RS0113755OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Beurteilt ein Gericht nicht nur die im Anklagetenor genannte Tat in rechtlicher Hinsicht abweichend von der Anklage, spricht es den Angeklagten vielmehr - wenngleich ohne Abgehen von dem der Anklage (als Gesamtheit) zugrunde liegenden Sachverhalt - statt der im Anklagetenor genannten Tat einer anderen Tat schuldig, muss mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zugunsten des Angeklagten dem Schutzzweck des § 262 StPO zuvor entsprochen worden sein. Dabei steht die strikte Einhaltung der von § 262 StPO beschriebenen Form als solche nicht unter der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 8 StPO. So wird etwa eine abweichende Beurteilung durch den Ankläger in der Hauptverhandlung dem grundrechtlich geschützten Ziel, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung zu verfügen (Art 6 Abs 3 lit b MRK), durchaus gerecht, weil es dem Angeklagten solcherart offensteht, sich dazu zu äußern sowie Fragen und Anträge zu seiner Verteidigung zu stellen, deren Missachtung einen Verfahrensmangel (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) begründen kann. Die in einer - danach mehrfach wegen Zeitablaufes und Richterwechsels (§ 276a StPO) wiederholten - Hauptverhandlung gestellte Frage des Vorsitzenden (§ 245 Abs 1 erster Satz StPO): "Haben sie in Österreich Zigaretten erworben, bei denen die Eingangsabgaben nicht bezahlt waren?" für sich allein genügt aber nicht.