JudikaturJustiz12Os112/22w

12Os112/22w – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 8. Juni 2022, GZ 39 Hv 29/22t 18, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe und Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte * S* je eines Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB ( I .) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (II.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in S* und andernorts

I. sich als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an einer terroristischen Vereinigung, nämlich der in der UN Sanktionsliste aufscheinenden Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS), sohin einem auf Jahre angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen (US 3 f), der auf die Ausführung von terroristischen Straftaten (§ 278c Abs 1 StGB), wie insbesondere die Ermordung tausender „Ungläubige[r]“ (US 4), ausgerichtet ist, auf andere Weise in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung fördert, indem er den Islamischen Staat durch das Betreiben von Propaganda unterstützte (US 4 f), und zwar dadurch, dass er

1. am 18. Oktober 2021 in der Landessonderschule S* während des Unterrichts seine Mitgliedschaft in einer Social Media Gruppe, der auch der „Attentäter von W*“ angehörte und worin Bauanleitungen für Bomben und Videos von Tötungen verschickt wurden, behauptete und

2. am 12. Oktober 2021 in einer Social Media Gruppe namens „Deutsch-Nasheed-Chat“ als Reaktion auf eine von einem anderen Gruppenteilnehmer geteilte, aus Lob- und Preisgesängen bestehende Audiodatei die eine „Sympathie- und Propagandaerklärung“ (US 4 f) darstellende Nachricht „Ma sha Allah“ samt Herz-Emoji und Tauhīd-Emoji versendete,

II. durch die unter Punkt I. beschriebenen Handlungen an der insbesondere in Syrien und im Irak agierenden, aus jedenfalls mehr als zehn Mitgliedern bestehenden Gruppierung „Islamischer Staat“, sohin an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, indem sie seit zumindest dem Jahr 2011, jedenfalls aber ab 29. April 2014 mit der Ausrufung des „Kalifats“ als „Islamischer Staat“ in den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und Syrien in den eroberten Gebieten Städte und Dörfer zerstört und unter Anwendung besonderer Grausamkeit durch terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB durch ihre Kräfte die Aufrechterhaltung des Kalifats in den eroberten Gebieten in Syrien und im Irak betreibt, wobei sie die sich nicht ihren Zielen unterordnende Zivilbevölkerung tötet und vertreibt, sich deren Vermögen aneignet, durch Geiselnahmen große Geldsummen erpresst, die vorgefundenen Kunstschätze veräußert und Bodenschätze zu ihrer Bereicherung ausbeutet, durch all diese Straftaten eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und Dritte durch angedrohte und ausgeführte Terroranschläge insbesondere in Syrien und im Irak, aber auch in Europa, einschüchtert und sich auf besondere Weise, nämlich durch Geheimhaltung ihres Aufbaus, ihrer Finanzstruktur, der personellen Zusammensetzung, der Organisation und der internen Kommunikation, gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen sucht, in dem Wissen (§ 5 Abs 3 StGB) als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) beteiligt, dass er dadurch diese Vereinigung „und deren terroristische Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB“ fördert.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a, „9a“ und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Der Beschwerde ist vorauszuschicken, dass mehrere im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit begangene Angriffe stets eine einzige Tat darstellen, weshalb der Wegfall bloß einer einzelnen Ausführungshandlung die rechtliche Beurteilung nicht tangiert (vgl RIS Justiz RS0127374). Eine solche liegt (unter anderem) bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld) vor (RIS-Justiz RS0122006), so hier bei konstatierter wiederholter Beteiligung am Islamischen Staat, einer (auf Basis der Urteilskonstatierungen) terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 3 StGB) und kriminellen Organisation (§ 278a StGB), durch wissentlich organisationsbezogenes Fördern (§ 278 Abs 3 dritter Fall StGB) innerhalb weniger Tage (vgl Plöchl in WK² StGB § 278b Rz 17, § 278a Rz 32, § 278 Rz 71; RIS Justiz RS0124166).

[5] Demnach spricht die Tatsachenrüge (Z 5a), die sich lediglich gegen die Propagierung des Islamischen Staats im Klassenraum einer Schule durch die Mitteilung an die Mitschüler, Mitglied einer einschlägigen Social Media Gruppe zu sein (I.1.), richtet, keine entscheidende Tatsache an (vgl aber RIS Justiz RS0117499).

[6] Gleiches gilt für die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die einen Freispruch ebenfalls bloß hinsichtlich der genannten Äußerung des Angeklagten im Klassenraum anstrebt, solcherart aber weder Schuldspruch noch Subsumtion infrage stellt (vgl erneut RIS Justiz RS0127374; vgl zur gleichartigen Verbrechensmenge pauschal individualisierter Taten RIS Justiz RS0117436 ). Im Übrigen argumentiert sie nicht auf Basis des Urteilssachverhalts, wonach der Bedeutungsinhalt der Äußerung in der Propagierung des Islamischen Staats lag (US 4).

[7] Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS Justiz RS0124801 [insbes T4]). Diese Vorgaben verfehlt die Rüge, die das Nichtvorliegen schwerer Schuld (§ 7 Abs 2 Z 1 JGG) bloß behauptet und deshalb nicht (unter Zugrundelegung des Urteilssachverhalts) darlegt, weshalb trotz des bereits durch den Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 278b Abs 2 StGB iVm § 5 Z 4 JGG) signalisierten gesteigerten Unrechtsgehalts ( Schroll in WK² JGG § 7 Rz 14 f iVm Schroll/Kert , WK StPO § 198 Rz 28 ff mit Judikaturnachweisen), des Zusammentreffens zweier Verbrechen, der jeweils wiederholten Tatbestandsverwirklichung und der Propagierung des IS in einer mehrere hundert Mitglieder umfassenden Social Media Gruppe ein bloß durchschnittliches Verschulden vorliegen sollte. Davon ausgehend erübrigt sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem weiteren Beschwerdevorbringen.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft sowie die (implizierte) Beschwerde des Angeklagten folgt (§ 31 JGG iVm §§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

[9] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
4
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).