JudikaturJustiz11Os96/97

11Os96/97 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.November 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Kunz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Georg Matthäus H***** wegen des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 19.März 1997, GZ 38 Vr 36/97-12, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Raunig, des Angeklagten und des Verteidigers Dr.Schuberth zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, die Anwendung des § 43 Abs 1 StGB aus dem angefochtenen Strafausspruch ausgeschaltet und gemäß § 43 a Abs 3 StGB (lediglich) ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Georg Matthäus H***** des Verbrechens der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 30.Oktober 1996 dadurch, daß er über eine Strecke von ungefähr 7 km im Bereich von Hallein bis Golling die falsche Richtungsfahrbahn der Tauernautobahn A-10 benützte, mithin anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen, eine Gefahr für Leib und Leben einer größeren Zahl von Menschen "bzw" für fremdes Eigentum im großen Ausmaß herbeigeführt hat.

Das Erstgericht stellte hiezu (kurz zusammengefaßt) fest:

Der Angeklagte wendete auf der Tauernautobahn bei Dunkelheit und dichtem Verkehrsaufkommen seinen Personenkraftwagen und fuhr - als sogenannter Geisterfahrer - über eine Strecke von rund 7 km auf der von ihm bisher benützten Richtungsfahrbahn in entgegengesetzter (unzuläs- siger) Richtung, wobei er wechselnde Geschwindigkeiten zwischen 50 und 100 km/h einhielt. Er hatte dabei dauernd Gegenverkehr von Fahrzeugen, die in geringem Abstand hintereinander fuhren. Durch sein Fahrverhalten kam es zu kritischen Verkehrssituationen und schließlich auch zu einem Unfall, bei welchem ein Fahrzeug umkippte und die Lenkerin verletzt wurde. Es bestand die konkrete Gefahr einer Massenkarambolage. Der Angeklagte hielt bei seinem bewußt vorschriftswidrigen Verhalten den Eintritt einer Gemeingefahr ernstlich für möglich und fand sich damit ab (US 3 bis 5).

Mit der auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a (sachlich jedoch Z 10) des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde strebt der Rechtsmittelwerber die Beurteilung des Tatverhaltens (bloß) als Vergehen der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB an.

Rechtliche Beurteilung

Die gesetzmäßige Ausführung des Nichtigkeitsgrundes erfordert eine vom Urteilssachverhalt ausgehende Darlegung, daß die getroffenen Annahmen nicht ausreichen, um das Vorliegen der rechtlichen Merkmale der Qualifikation beurteilen zu können, oder daß Verfahrensergebnisse auf bestimmte, für eben diese Subsumtion rechtlich erhebliche Umstände hingewiesen haben und dessenungeachtet ent- sprechende klärende Feststellungen unterlassen wurden (Mayerhofer StPO4 § 281 Z 10 E 9 a).

Da sich die Tatbestände der vorsätzlichen Gemeingefährdung (§ 176 Abs 1 StGB) und der fahrlässigen Gemeingefährdung (§ 177 Abs 1 StGB) allein im Bereich der subjektiven Tatseite unterscheiden, müßte eine prozeßord- nungsgemäße Beschwerdeausführung unter Zugrundelegung aller erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen darlegen, weshalb der Urteilssachverhalt die rechtliche Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Angeklagten nicht zuläßt. Ein derartiges Vorbringen ist dem überwiegenden Teil der Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu entnehmen. Der Beschwerdeführer versucht darin vielmehr eine Umdeutung der erstgerichtlichen Urteilsgründe, indem er einerseits rechtliche Erwägungen zum Gefahrenbegriff als eine die Annahme der subjektiven Tatseite betreffende Begründung verstehen will und andererseits auf die entscheidungsfremden Sachverhaltsbehauptungen abstellt, er habe zwar einen gravierenden Fahrfehler gesetzt, dann aber keine Möglichkeit eines anderen Verhaltens gehabt oder jedenfalls die Gefahr nicht gewollt.

Unrichtig ist, daß sich das Erstgericht bei Beurteilung der subjektiven Tatseite - also des festgestellten Willensinhalts beim Angeklagten - auf ein Prognoseurteil aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Situation des Täters "ex-ante" bezogen hat. Die diesbezüglichen Urteilser- örterungen gelten vielmehr der Rechtsfrage, ob das Vorgehen des Angeklagten objektiv "gefährlich" war. Diese zutreffend bejahte Frage hatte im übrigen nur untergeordnete Bedeutung, weil der Tatbestand darüber hinaus ohnehin eine (ebenfalls angenommene) "Gefährdung" erfordert, die es ohne gefähr- liches Verhalten nicht gibt (siehe hiezu Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikt, 39). Zur Lösung der in der Nichtigkeitsbeschwerde angezogenen Abgrenzungsproble- matik zwischen vorsätzlichem und fahrlässigem Handeln sind andere rechtliche Folgerungen notwendig als für die unbekämpfte Annahme (US 4, 9, 10), daß die vom Angeklagten geschaffene Situation (objektiv) einer tatbestandsmäßigen Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entsprach, weshalb alle an der Methode der Gefährlichkeitsermittlung orientierten Einwände ins Leere gehen müssen.

Ebensowenig zielführend sind die unter verschiedenen Aspekten vorgetragenen Behauptungen, der Angeklagte habe die Gefahrensituation nicht mit dem festgestellten (rechtlich einem dolus eventualis entsprechenden) Willen herbeigeführt. Auch insoweit wird nämlich keine vom Inhalt des angefochtenen Urteils ausgehende Rechtsrüge vorgebracht, weshalb diese Beschwerdepunkte eine prozeßordnungsgemäße Darstellung des Nichtigkeitsgrundes vermissen lassen.

Schließlich ist auch der Einwand nicht berechtigt, daß der Tatbestand des § 176 StGB nur Verhaltensweisen umfasse, bei welchen der Täter selbst nicht gefährdet werde und daher hier wegen eines "gewissen Suizidverhaltens" des Angeklagten keine Anwendung finden könne. Eine derartige Einschränkung des Anwendungsbereiches der Strafnorm ergibt sich weder aus ihrem Wortlaut noch aus dem Gesetzeszweck. Demgemäß liegt der in diese Richtung reklamierte Feststellungsmangel nicht vor.

Das Vorbringen im Gerichtstag über fehlende Feststellungen, wann der Angeklagte sein Fahrzeug genau gewendet habe, und daß dann wegen des starken Verkehrs keine Möglichkeit bestand, neuerlich zu wenden, stellt eine unzulässige Neuerung dar und orientiert sich überdies nicht am Urteilssachverhalt (US 3).

Daß ein "Geisterfahrerunfall" geradezu typisch das Vergehen der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB darstelle, entspricht nicht dem Gesetz, sondern ist in jedem einzelnen Fall die subjektive Tatseite genau zu prüfen und sodann die rechtliche Subsumtion vorzunehmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über Georg Matthäus H***** nach § 176 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten, die es gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Bei der Strafzumessung wertete es als erschwerend keinen Umstand; als mildernd das umfassende und reumütige Geständnis des Angeklagten, dessen Unbescholtenheit (gemeint wohl: dessen bisherigen ordentlichen Lebenswandel) sowie "die offensichtlich mindere intellektuelle Ausstattung".

Gegen diesen Strafausspruch richten sich Berufungen des Angeklagten, der eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe begehrt, und der Staatsanwaltschaft, welche die gänzliche bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe bekämpft und die Anwendung des § 43 a Abs 3 StGB beantragt.

Das Erstgericht hat die Strafzumessungsgründe richtig angeführt und auch entsprechend gewichtet. Die ausgemessene Freiheitsstrafe, von der der Angeklagte lediglich behauptet, sie sei wesentlich überhöht, entspricht durchaus dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat.

Wie die Anklagebehörde in ihrer Berufung zutreffend ausführt, hat das Erstgericht bei Anwendung des § 43 Abs 1 StGB wesentliche Belange der Spezial- und Generalprävention nicht beachtet. Für eine vollständige bedingte Nachsicht einer Strafe ist es nämlich erforderlich, daß die bloße Androhung der Vollziehung allein oder in Verbindung mit anderen Maßnahmen genügen werde, um den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und es nicht der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Georg Matthäus H***** hat durch sein Fahrmanöver eine erhebliche Gefahr für das Leben und die Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer und deren Eigentum vorsätzlich herbeigeführt. Trotz Wahrnehmung des von ihm verursachten Verkehrsunfalles hat er nicht angehalten, keine Hilfe geleistet und sich auch später nicht bei den Sicherheitsbehörden freiwillig gemeldet. Die Art der Tat, der hohe Grad der Schuld des Täters und sein Verhalten nach der Tat rechtfertigen somit nicht die Annahme, daß die bloße Androhung der Vollziehung der Freiheitsstrafe genügen werde, um ihn von weiteren, insbesondere gleichartigen strafbaren Handlungen abzuhalten. Es bedarf daher aus spezialpräventiver Sicht des Vollzuges eines Teiles der Freiheitsstrafe, um hiedurch die nötige abhaltende Wirkung zu erzeugen.

Aber auch generalpräventive Überlegungen sprechen gegen eine gänzliche bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe, zumal gerade durch "Geisterfahrer" in den letzten Jahren wiederholt schwere Unfälle mit häufig tödlichen Folgen verursacht wurden. Der Vollzug eines Teiles der Freiheitsstrafe ist daher geboten, um andere potentielle Täter von der Begehung derartiger Handlungen abzuhalten.

Unter Anwendung des § 43 a Abs 3 StGB war daher in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft lediglich ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390 a StPO.