JudikaturJustiz11Os77/04

11Os77/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. August 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. August 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Matschegg als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 1. Dezember 2003, GZ 4 Hv 188/03m-82, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Johann S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I) und des Vergehens des Diebstahles nach § 127 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. zu nachangeführten Zeitpunkten mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, nachstehende Personen durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diese an ihrem Vermögen schädigten, wobei der Gesamtschaden 40.000 EUR übersteigt, und zwar:

1. am 3. September 2001 in Graz Berechtigte der "K***** GmbH" durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Kunde zu sein, zum Abschluss eines Vermittlungsvertrages gegen ein Honorar von 43.200 S (3.139,47 EUR);

2. in Graz Barbara P*****

a) in der Zeit von 21. September 2001 bis Oktober 2002 durch die Vorspiegelung, er könne deren Geld in Luxemburg gewinnbringend veranlagen, zur Gewährung mehrerer "Darlehen" in der Gesamthöhe von 600.000 S (43.603,70 EUR, wovon 6.068 EUR zurückbezahlt wurden, Schaden daher 37.535,70 EUR),

b) im Dezember 2001, durch die Vorspiegelung, er sei Bauunternehmer und werde ihren Wohnungsumbau durchführen, zur Gewährung eines "Darlehens" in der Höhe von 50.000 S (3.633,64 EUR),

3. am 5. November 2001 Alfred G***** durch die Vorspiegelung, er könne dessen Geld in Luxemburg gewinnbringend veranlagen, zur Gewährung eines "Darlehens" in der Höhe von 200.000 S (14.534,57 EUR);

4. in Graz Karin S*****

a) am 23. Februar 2003 durch die Vorspiegelung, ihr Hälfteeigentum an einer zu kaufenden Villa einzuräumen, zur Leistung einer Anzahlung von 200.000 S (14.534,57 EUR),

b) am 14. Mai 2003 durch die Vorspiegelung, ein rückzahlungsfähiger und rückzahlungswilliger Darlehensnehmer zu sein, zur Gewährung eines Darlehens in der Höhe von 6.000 EUR,

5. in Frauenstein, Bezirk St. Veit an der Glan, Dagmar G***** durch die Vorspiegelung, sie zu 50 % an einem in Graz zu eröffnenden Cafe zu beteiligen, zur Leistung von Anzahlungen, und zwar:

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a, 9 lit b StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt. Die Kritik an der Art der Durchführung der Beschuldigtenvernehmung im Vorverfahren versagt unter dem Gesichtspunkt der Z 2 bereits mangels Verlesung des bezughabenden Protokolls (ON 37) im Erkenntnisverfahren (S 465/II). Zur Geltendmachung aus Z 4 fehlt es schon formell an einem entsprechenden Antrag oder Widerspruch in der Hauptverhandlung (ON 81).

Die einverständliche (und damit zulässige - § 252 Abs 1 Z 4 StPO; S 465/II; vgl Mayerhofer StPO5 § 281 Z 3 E 18) Verlesung des Protokolls (ON 64) über die Vernehmung von Cornelia M***** (der Lebensgefährtin des Angeklagten) als Beschuldigte (und nicht als Zeugin - wie die Beschwerde vorbringt und es auch irrig in S 20 des Urteils aufscheint) konnte eine mit der behaupteten Nichtigkeit aus Z 3 verbundene Verletzung des § 152 Abs 1 Z 2 StPO nicht bewirken, weil eine Vernehmung der Genannten als Zeugin in der Hauptverhandlung nicht stattfand. Von einer Umgehung der zitierten Norm kann daher keine Rede sein, sowohl § 152 Abs 3 StPO als auch § 252 Abs 4 StPO sind hier nicht anzuwenden.

Das Vorbringen aus Z 4 ist unbeachtlich, weil in der Hauptverhandlung keine korrespondierenden Anträge gestellt oder Widersprüche erhoben wurden (Fabrizy StPO9 § 281 Rz 36).

Nicht nur in der Verfahrens-, sondern auch in der Mängelrüge (Z 5) moniert der Rechtsmittelwerber die Kürze der Hauptverhandlung, aus der geschlossen werden müsse, die zur Grundlage des Urteiles genommenen Verlesungen hätten tatsächlich nicht stattgefunden. Nach dem unbestritten gebliebenen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 312) Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls wurden indes - unter Verzicht der Parteien auf die wörtliche Verlesung - in der Folge einzeln angeführte Aktenteile (S 465 bis 469/I) verlesen - diese durften daher gemäß §§ 252 Abs 1 Z 4, Abs 2, 258 Abs 1 StPO bei Urteilsfindung und -begründung berücksichtigt werden (11 Os 166/02; vgl auch Ratz aaO Rz 460 mwN und ders in RZ 2003, 204). Anders als im von der Beschwerde zitierten Fall 12 Os 41/02 reichten 30 Minuten durchaus hin, die kurze Vernehmung des Angeklagten und eine zusammenfassende Darstellung der schriftlichen Beweismittel (14 Os 129/98 = SSt 63/31 = JBl 2000, 545) zu bewerkstelligen. Mit der Kritik, das Urteil (US 19, 20) verwerte durch den Hinweis auf eine zunächst leugnende Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht Vorgekommenes - nämlich die nicht verlesene Beschuldigtenvernehmung ON 37 - spricht der Beschwerdeführer aktuell keine erhebliche Tatsache an (Ratz aaO Rz 409), gestand er doch vor dem erkennenden Gericht nicht nur die Richtigkeit der Anklageschrift, sondern auch deren - seine Taten im einzelnen darstellende - Begründung zu und machte Angaben zur Verwendung der erlangten Werte (S 463/II).

Die als Aufklärungsrüge (Z 5a) vorgetragene Behauptung, an der Stellung von Anträgen (zum Beweis für die "Ernsthaftigkeit der Absichten") zu den Projekten der Schuldsprüche I 5 und I 7 sowie auf Beiziehung eines psychiatrischen Experten (da sich "aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten gravierende Zweifel an seinem vorsätzlichen Handeln ergeben") durch das außerhalb der Hauptverhandlung erfolgte "In-Aussicht-stellen einer Strafe von 3 Jahren" bei geständiger Einlassung durch "die Richterin" und den darauf gegründeten (und von ihm trotz an sich gegenteiliger Absicht angenommenen) Rat seines (früheren Wahl )Verteidigers, "sich für alles schuldig zu bekennen", gehindert gewesen zu sein, verlässt den Anfechtungsrahmen des angezogenen (formellen) Nichtigkeitsgrundes:

Die in Z 5a genannten erheblichen Bedenken müssen sich nämlich aus den Akten ergeben, womit einerseits das in der Hauptverhandlung vorgekommene und darüber hinaus jenes Beweismaterial gemeint ist, das zufolge rechtzeitigen Einlangens in der Hauptverhandlung hätte vorkommen können und dürfen, Anlass zur Durchführung von Beweisaufnahmen gegeben hätte (Ratz aaO Rz 481, Fabrizy aaO Rz 49, Mayerhofer aaO § 281 Z 5a E 24) und der Einsicht durch die Parteien rechtmäßig zugänglich wäre (was etwa nicht für Beratungsprotokolle gilt - § 45 Abs 2 Satz 1 StPO; EvBl 1996/98 und Ratz aaO Rz 484). Im Übrigen beschränkt sich die Tatsachenrüge auf verfahrensfremde Hypothesen über die Möglichkeit falscher Geständnisse und beweiswürdigende Erwägungen zu den eingangs angeführten Themen sowie zum Betrugsvorsatz bei den Schuldsprüchen I 2. Bedenken - geschweige denn erhebliche - an Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (Ratz aaO Rz 470; 14 Os 163/03) werden dadurch im Gegenstand in keiner Weise erweckt. Die erwähnten Anträge hätten vielmehr rechtmäßig ohnedies der Abweisung verfallen müssen (Z 4 - vgl Ratz aaO 482; Mayerhofer aaO E 23c): Selbst bis zu einem Vertragsentwurf (S 23/I, aber 29/I [negative Einschätzung des praesumtiven Kontraktpartners]) gediehene Verhandlungen über den Erwerb eines Betriebsobjektes schließen Betrugsvorsatz nicht aus; ob der Angeklagte innerhalb einer Lebensgemeinschaft mit einer Frau ständig zusammenlebte, ist fallbezogen unerheblich. Zu den vom (nunmehrigen) Verteidiger geäußerten Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten genügt (neuerlich 14 Os 163/03) - auch mit Blick auf § 362 StPO - der Hinweis, dass es keineswegs lebensfremd ist, wenn eine wiederholter, massiver Betrügereien verdächtigte Person bis zuletzt das ihr Vorgeworfene auf der objektiven Seite zwar zugibt, aber auf der subjektiven vehement bestreitet - mag dies gleichwohl bei mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen an die Verständnisgrenzen gehen.

Kann das vom Angeklagten in den Raum gestellte "Nichteinhalten einer Absprache zwischen Richter und Verteidiger über zahlenmäßig determinierte Auswirkungen des Aussageverhaltens des Angeklagten auf die über diesen zu verhängende Strafe" auch im Nichtigkeitsverfahren nicht aufgegriffen werden, sieht sich der Oberste Gerichtshof zur grundsätzlichen Bemerkung veranlasst, dass eine derartige "Absprache" - die sich bereits vom Ansatz her mit den auf eine mögliche Diversion gerichteten, gesetzlich determinierten Verfahrensschritten nicht vergleichen lässt - schon wegen des ersichtlichen Verstoßes gegen § 202 erster und zweiter Fall StPO, vor allem aber wegen des eklatanten Widerspruches zu den tragenden Grundprinzipien des österreichischen Strafverfahrensrechtes, namentlich jenem zur - ein Kontrahieren des Gerichtes mit (mutmaßlichen) Rechtsbrechern ausschließenden - Erforschung der materiellen Wahrheit, prinzipiell abzulehnen ist und die Beteiligten disziplinärer (§ 57 RDG) und strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§ 302 StGB) aussetzen kann (vgl jüngst Danek, WK-StPO Vor §§ 228-279 Rz 17; Ellinger, Der Kriminalbeamte 2001, 26 ff; Ratz in Finanzstrafrecht 2002, 105; Markel, WK-StPO § 1 Rz 6; Danek aaO Vor § 220 Rz 9).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) verfehlt mit der Behauptung fehlender Feststellungen, "ob die vom Urteil festgestellten tatsächlichen Umstände einen materiellrechtlichen Schuldausschließungsgrund begründen" (offenbar gemeint jenen des § 11 StGB), den unter Heranziehung der tatsächlich getroffenen Urteilsfeststellungen entwickelten Vergleich mit dem darauf angewendeten Gesetz, was gleichermaßen für den Vorwurf von Feststellungsmängeln gilt: In diesem Zusammenhang ist die Darlegung erforderlich, dass die Urteilsausnahmen nicht ausreichen, um eine umfassende und verlässliche rechtliche Beurteilung vornehmen zu können oder dass Verfahrensergebnisse auf bestimmte für diese Subsumtion rechtlich erhebliche Umstände hingewiesen haben und dessen ungeachtet eine entsprechend klärende Feststellung unterlassen wurde (Mayerhofer aaO § 281 Z 9a E 5, Z 9b E 29).

Teils als offenbar unbegründet (§ 285d Abs 1 Z 2 StPO), teils zufolge Nichteinhaltung des gesetzlich vorgegebenen Argumentationsrahmens (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO) war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Rechtssätze
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