JudikaturJustiz11Os44/05p

11Os44/05p – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juli 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Juli 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wagner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Michael W***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB, AZ 8 b EVr 4784/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Antrag des Michael W***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO wird Folge gegeben, die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Juli 2000, GZ 8 b EVr 4784/00-8, und des Oberlandesgerichtes Wien vom 13. November 2000, AZ 19 Bs 395/00 (ON 19 des Strafaktes), werden aufgehoben und die Sache zur Erneuerung des Verfahrens an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Juli 2000, GZ 8 b EVr 4784/00-8, wurde Michael W***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er im September 1999 in Wien als Person männlichen Geschlechts nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit einer Person, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, indem er an sich in ca 10 Angriffen von dem am 23. Oktober 1982 geborenen Markus H***** Oral- und Handverkehr durchführen ließ und auch an diesem durchführte.

Er wurde hiefür nach § 209 StGB unter Anwendung des § 37 Abs 1 StGB zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 30 S, für den Nichteinbringlichkeitsfall zu 75 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit (impliziert auch wegen Schuld) und Strafe des Angeklagten gab das Oberlandesgericht mit Entscheidung vom 13. November 2000, AZ 19 Bs 395/00 (ON 19), nicht Folge.

In dem (auch) über die Klage des Michael W***** ergangenen Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Jänner 2005 (W***** und W***** gegen Österreich, application nos 69756/01 und 6306/02) wurde in der Verurteilung nach § 209 StGB eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK festgestellt. Der Gerichtshof verwies hiebei auf das Erkenntnis vom 9. Jänner 2003 (L***** und V***** gegen Österreich, application nos 39392/98 und 39829/98; s 11 Os 101/03 und 13 Os 106/03), von welchem abzugehen er keinen Grund fand, weil die in der zitierten Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze.

Unter Bezugnahme auf dieses Urteil beantragt Michael W***** gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend von der oben angeführten Entscheidung des EGMR sind - wie auch der Generalprokurator in seiner Stellungnahme zutreffend ausführt - die Voraussetzungen für die Erneuerung des Strafverfahrens gegeben:

Die Bestimmung des § 209 StGB wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Juni 2002 (AZ G 6/02) unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Durch das am 14. August 2002 in Kraft getretene Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde die Strafbestimmung des § 209 StGB beseitigt. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert nur unter speziellen, hier jedoch nicht aktuellen Voraussetzungen homosexuelle Kontakte mit Jugendlichen. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X) sind die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde (s jedoch 11 Os 101/03). Nach Aufhebung dieses Urteils (ua) infolge Erneuerung des Strafverfahrens ist jedoch iSd §§ 1, 61 StGB vorzugehen. Auf das dem Schuldspruch zugrundeliegende Tatverhalten ist somit § 209 StGB nicht (mehr) anzuwenden. Da die Konventionsverletzung einen für den Betroffenen, dessen neuerliche Bestrafung wegen des in Rede stehenden Verhaltens nach dem Gesagten nicht mehr in Betracht kommt, nachteiligen Einfluss auf den Inhalt der strafgerichtlichen Entscheidung ausübt (§ 363a Abs 1 StPO) und nicht dem - mit dem Straffall bisher nicht befassten - Obersten Gerichtshof zuzurechnen ist, war in Stattgebung des Erneuerungsantrages in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 3 StPO wie im Spruch zu entscheiden (vgl 13 Os 106/03 mwN).

Rechtssätze
2
  • RS0118442OGH Rechtssatz

    13. September 2006·3 Entscheidungen

    Mit dem am 14. August 2002 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, entfiel die Strafbestimmung des § 209 StGB. Der neu eingeführte § 207b StGB pönalisiert unter speziellen Voraussetzungen ua auch, jedoch ohne geschlechtsspezifische Differenzierung, homosexuelle Kontakte mit Jugendlichen und weist zudem deutlich reduzierte Strafdrohungen auf. Nach den Übergangsbestimmungen (Art X) sind die durch dieses Bundesgesetz geänderten Strafbestimmungen in Strafsachen nicht anzuwenden, in denen vor ihrem Inkrafttreten das Urteil erster Instanz gefällt wurde. Nach Aufhebung eines solchen Urteils infolge Erneuerung des Strafverfahrens sind bei einem Vorgehen nach §§ 1, 61 StGB nur jene Strafbestimmungen zu beachten, die nicht im konkreten Anlassfall vom EGMR als konventionswidrig festgestellt wurden. In dem Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 9. Jänner 2003 (Lausch und Versat gegen Österreich, applications nos 39392/98 und 39829/98) wurde in der Verurteilung nach § 209 StGB eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK festgestellt, weil die in der zitierten Strafbestimmung normierte Beschränkung der Strafbarkeit sexueller Kontakte auf nur (männliche) homosexuelle Partner sachlich nicht gerechtfertigt sei und außerdem das Recht auf Achtung des Privatlebens verletze. Daraus ergibt sich, dass § 209 StGB als Vergleichsnorm nicht berücksichtigt werden darf und demgemäß eine Verurteilung nach § 207b StGB infolge des Rückwirkungsverbotes des § 1 StGB nicht in Betracht kommt.