JudikaturJustiz11Os2/86

11Os2/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Januar 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.Jänner 1986 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hausmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl B*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4, erster Fall, StGB, AZ U 150/84 des Bezirksgerichtes Weyer bzw 10 Bl 55/85 des Kreisgerichtes Steyr, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß im Verfahren 10 Bl 55/85 des Kreisgerichtes Steyr der Vorsitzende des Berufungssenates selbst die Funktion des Berichterstatters ausübte, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Tschulik als Vertreters der Generalprokuratur und des Verteidigers Dr. Lanner, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Vorgang, daß der Vorsitzende des Berufungssenates des Kreisgerichtes Steyr selbst die Funktion des Berichterstatters ausübte, wurde das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 472 Abs 2 und 19 Abs 2 StPO verletzt.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Weyer vom 17.Juni 1985, GZ U 150/84-16, wurde der am 12.Juni 1938 geborene Kraftfahrer Karl B*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4, erster Fall, StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 42 Tagessätzen zu je 80 S, im Fall der Uneinbringlichkeit zu 21 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Ihm liegt zur Last, am 20.August 1984 in Reichraming den Herbert M*** fahrlässig am Körper schwer verletzt zu haben, indem er als Lenker eines (2,5 m breiten) LKW-Zuges mit einer für die örtlichen Verhältnisse überhöhten Geschwindigkeit fuhr (welche ihm ein Anhalten innerhalb der halben zur Verfügung stehenden Sichtstrecke nicht ermöglichte), wodurch es (auf der unübersichtlichen, zwischen 4,4 und 4,7 m breiten Fahrbahn) zu einem Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden, von Herbert M*** gelenkten (1,61 m breiten) PKW kam, wobei Herbert M*** eine Gehirnerschütterung, eine Rißquetschwunde im Stirnbereich, Brüche beider Unterarme, des rechten Sprungbeines sowie der rechten Kniescheibe und Hautabschürfungen, mithin an sich schwere Verletzungen, erlitt.

Die vom Angeklagten Karl B*** gegen dieses Urteil

erhobene Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wurde mit Entscheidung des Kreisgerichtes Steyr als Berufungsgerichtes vom 13. September 1985, AZ 10 Bl 55/85, als unbegründet zurückgewiesen. Einem auf Antrag des Verurteilten ergangenen Protokollberichtigungsbeschluß vom 9.Oktober 1985 zufolge übte beim Gerichtstag zur öffentlichen Berufungsverhandlung der Vorsitzende des Berufungssenates, Richter des Kreisgerichtes Dr.A***, neben dem Vorsitz auch die Funktion des Berichterstatters aus. In einem dem Protokoll über die Berufungsverhandlung angeschlossenen Amtsvermerk rechtfertigt der Vorsitzende des Berufungssenates diese Vorgangsweise ua mit dem Argument, daß die Bestellung eines Berichterstatters bei einem kleineren Kreisgericht zu Verzögerungen und verfahrensmäßigen "Reibungsverlusten" führen müßte. Im übrigen vertritt er die Auffassung, die §§ 19 Abs 2, 472 Abs 2 StPO in Verbindung mit § 116 Abs 2 und Abs 3 Geo ließen die restriktive Interpretation zu, daß es in das pflichtgemäße Ermessen des Vorsitzenden des Berufungssenates gestellt sei, einen Berichterstatter zu bestellen oder den Bericht selbst zu erstatten.

Rechtliche Beurteilung

Der Vorgang, daß der Vorsitzende des Berufungssenates des Kreisgerichtes Steyr selbst die Funktion des Berichterstatters ausübte, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß dem § 469 StPO berät der Gerichtshof (§ 13 Abs 3 StPO) über die Berufung dann in nichtöffentlicher Sitzung, wenn der Berichterstatter oder der Staatsanwalt einen der im § 470 StPO angeführten Beschlüsse beantragt.

Gemäß dem § 472 Abs 2 StPO beginnt im Verfahren über Berufungen gegen bezirksgerichtliche Urteile die Verhandlung vor dem Berufungsgericht mit dem Vortrag eines Mitgliedes des Berufungssenates als Berichterstatters.

Für die Abstimmung im Senat ordnet § 19 Abs 2 StPO ua an, daß dann, wenn nach dem Gesetz ein Berichterstatter bestellt ist, dieser Richter zuerst abstimmt; der Vorsitzende stimmt zuletzt. Aus diesen Bestimmungen, in ihrem Zusammenhalt gesehen, ergibt sich, daß für die Verhandlung über eine Berufung gegen ein bezirksgerichtliches Urteil in Strafsachen - ebenso wie gemäß den Bestimmungen der §§ 285 c Abs 1, 287 Abs 2, 294 Abs 3 und Abs 5, 296 Abs 2 und Abs 3 und 489 Abs 1 StPO für das Verfahren über eine Nichtigkeitsbeschwerde oder über eine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof oder vor dem Gerichtshof zweiter Instanz - ein vom Vorsitzenden verschiedenes Senatsmitglied obligatorisch als Berichterstatter vorgesehen ist. Aus der Diktion des § 19 Abs 2 vorletzter Satz StPO ("Ist nach dem Gesetz ein Berichterstatter bestellt ....") kann nicht abgeleitet werden, daß es dem Ermessen des Vorsitzenden eines Rechtsmittelsenates anheimgestellt wäre, einen Berichterstatter einzusetzen oder die zu beratende und zu entscheidende Rechtssache den übrigen Senatsmitgliedern selbst vorzutragen (sh auch die Vorschrift des § 116 Abs 3, zweiter Satz, Geo, worin als Fall, in dem eine mündliche Verhandlung durch den Vortrag eines Senatsmitglieds einzuleiten ist, ausdrücklich auf § 472 StPO verwiesen wird). Die vom Vorsitzenden des Berufungssenats des Kreisgerichtes Steyr gegen die gesetzliche Funktionstrennung angestellten Erwägungen geben keinen Anlaß, von der vom Obersten Gerichtshof bereits in den Entscheidungen SSt 34/50 und EvBl 1975/232 zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht abzugehen. Da sich die aufgezeigte Verletzung der Bestimmungen der §§ 472 Abs 2, 19 Abs 2 StPO nach Lage des Falles ersichtlich nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirkte, erübrigt es sich, der Entscheidung nach Maßgabe des letzten Satzes des § 292 StPO konkrete Wirkung zuzuerkennen.

Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.