JudikaturJustiz11Os197/96

11Os197/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.April 1997 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner, Dr.Schmucker, Dr.Habl und Dr.Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Sturmayr als Schriftführer, in der Strafsache gegen Aziz M***** wegen des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 30. Oktober 1996, GZ 22 Vr 1778/96-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Tiegs, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Aziz M***** des Verbrechens der versuchten Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 5.Mai 1996 in Steinach am Brenner außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB eine Person mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Vornahme bzw Duldung des Beischlafes zu nötigen versucht, indem er Danica F*****, als sie sich in seiner Wohnung aufhielt, durch Versperren der Eingangstür am Verlassen der Wohnung hinderte, ins Zimmer zu zerren trachtete, ihr den Mund zuhielt, damit ihre Hilfeschreie nicht gehört würden, gewaltsam ihren Oberkörper entkleidete und ihren Pyjamaunterteil bis zu den Knien herunterzog, um den angestrebten Geschlechtsverkehr durchführen zu können, wobei er sie an den Brüsten und der Scheide abgriff.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 2, 3, 4, 5 a, 9 lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die sich als nicht berechtigt erweist.

Den Ausführungen zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund ist zum einen zu erwidern, daß die zeugenschaftliche Einvernahme der Danica F***** vor dem Untersuchungsrichter (ON 7) in Anwesenheit ihres Gatten (vgl § 162 Abs 2 StPO) in der Hauptverhandlung ohnedies nicht verlesen wurde (S 109), zum anderen geht das diesen Nichtigkeitsgrund relevierende Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil die Vernehmung eines Zeugen im Vorverfahren im Beisein einer Vertrauensperson auch dann nicht mit Nichtigkeit bedroht ist, wenn durch deren Anwesenheit die Ablegung einer freien und vollständigen Aussage (negativ) beeinflußt worden ist. Das Zeugenprotokoll ON 7 ist daher kein Schriftstück über einen nach dem Gesetz nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsakt, dessen gegen die Verwahrung des Beschwerdeführers erfolgte Verlesung den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund begründen könnte.

Soweit der Angeklagte in diesem Zusammenhang den Nichtigkeitsgrund der Z 3 heranzieht, verkennt er, daß eine als Ersatz für die grundsätzlich persönlich und unmittelbar durch das Gericht in der Hauptverhandlung vorzunehmende Vernehmung von Zeugen nur ausnahmsweise zulässige Verlesung von außerhalb der Hauptverhandlung aufgenommenen Protokollen nur dann vorliegt, wenn eine Vernehmung der Zeugen in der Hauptverhandlung aus den in § 252 Abs 1 Z 1, 2 a oder 3 StPO angeführten Gründen nicht möglich ist, Ankläger und Verteidiger mit der Verlesung einverstanden sind (Z 4) oder die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren früheren Aussagen abweichen (Z 2). Beruft sich ein Zeuge hingegen bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung, ohne die Aussage oder die Beantwortung von Fragen zu verweigern, auf früher deponierte Angaben, dann unterliegt deren Wiedergabe auch dann, wenn sie faktisch in einer Verlesung der darüber aufgenommenen Protokolle besteht, nicht der mit Nichtigkeit bewehrten Ausnahmeregelung des § 252 Abs 1 StPO, weil es den Parteien unbenommen bleibt, die Zeugen zu befragen und deren Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Daher werden durch eine solche Vorgangsweise weder der in der Verfassung (Art 90 Abs 1 B-VG) verankerte, in § 258 Abs 1 StPO konkretisierte und durch § 252 Abs 1 StPO geschützte Grundsatz der Unmittelbarkeit noch die sich aus den Grundsätzen des Art 6 Abs 1 und Abs 3 lit d MRK ergebenden Verteidigungsrechte beeinträchtigt.

Vorliegendenfalls berief sich die Zeugin Danica F***** - wie bereits dargelegt - zu Beginn ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung (zwar zunächst) auf ihre Angaben vor dem Untersuchungsrichter, die sie im Beisein ihres Gatten (§ 162 Abs 2 StPO) abgelegt hatte (ON 7) und die sie als richtig bezeichnete, um sodann aber den Tathergang ausführlich zu schildern, wobei Verteidiger und Ankläger von ihrem Fragerecht Gebrauch machten. Eine förmliche Verlesung des Protokolls ON 7 erfolgte nicht (S 109).

Nach dem zuvor Gesagten entspricht die Berufung der Zeugin auf ihre im Protokoll ON 7 festgehaltene Aussage vor dem Untersuchungsrichter nicht einer Verlesung im Sinne des § 252 Abs 1 StPO, weshalb auch ein Verstoß gegen diese Bestimmung nicht in Betracht kommen kann und somit dem Beschwerdevorbringen, das in der "Vorführung" dieser Aussage den Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO erblickt, die Grundlage entzogen ist.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch das gemäß § 238 StPO gefällte Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes, mit dem die vom Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung vom 30.Oktober 1996 gestellten Anträge (S 117) abgewiesen worden waren (S 119), Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

Was die abgelehnte Vornahme des Lokalaugenscheines betrifft, so entbehrt das Rechtsmittel des Beschwerdeführers jeglicher Ausführungen zu diesem Nichtigkeitsgrund, sodaß darauf mangels gesetzmäßiger Darstellung nicht weiter einzugehen ist.

Den Antrag auf "Einholung eines Blutalkoholgutachtens zum Beweis dafür, daß der Angeklagte auch zum jetzigen Zeitpunkt noch alkoholkrank ist und insbesondere am 5.Mai 1996 in einem Zustand war, der seine Zurechnungsfähigkeit ausgeschlossen hat", hat das Erstgericht - das dieses Begehren wohl aufgrund der Äußerung des Anklagevertreters als Antrag auf Einholung (sowohl eines gerichtsmedizinischen als) auch eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ansah - zu Recht abgewiesen. Der Angeklagte hat es nämlich unterlassen, seine Erwartung des Nachweises eines die Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausschließenden Zustandes zu begründen. Dessen hätte es aber schon deshalb bedurft, weil - entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Ansicht - die vorliegenden Beweisergebnisse (Aussagen der Gendarmeriebeamten Ki***** - S 101 f -, S***** - S 103 - und Ko***** - S 105 f - sowie des Zeugen T***** - S 117) zwar - vor allem aufgrund des vom Angeklagten verbreiteten Alkoholgeruches - auf eine Alkoholisierung, aber keineswegs auf eine die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Berauschung des Angeklagten hindeuteten. Geht doch aus sämtlichen Zeugenaussagen hervor, daß der Angeklagte jedenfalls wußte, worum es ging, und die an ihn gestellten Fragen anstandslos zu beantworten vermochte; auch spricht seine eigene Verantwortung in der Hauptverhandlung über den Tathergang (S 99) nicht für die Annahme einer vollen Berauschung. Anhaltspunkte für einen solchen Zustand können - der Beschwerde zuwider - selbst der Aussage des Zeugen Konrad P***** nicht entnommen werden, mag er auch den Angeklagten als "stark alkoholisiert" (S 107; vgl S 53 vso:

"schwerbetrunken") bezeichnet haben.

Die in der Tatsachenrüge (Z 5 a) relevierte Frage, ob die Zeugin Danica F***** über der Pyjamahose ein Nachthemd oder einen Pyjamaoberteil getragen hat, betrifft keinen entscheidungswesentlichen Umstand. Der Hinweis auf die Dauer des Zuwartens der Anzeigeerstattung sowie die vom Rechtsmittelwerber angestellten Spekulationen über das Motiv der Verletzten, den Zeugen T***** nicht sogleich zum Anruf bei der Gendarmerie zu veranlassen, vermögen keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken, sie läuft vielmehr im Ergebnis ebenso auf eine im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässige Anfechtung der tatrichterlichen Beweiswürdigung hinaus wie die Wiederholung der Verantwortung des Nichtigkeitswerbers, er habe Danica F***** lediglich durch das Angebot eines Geldbetrages zur Durchführung eines Geschlechtsverkehrs veranlassen wollen.

Die Frage, ob das Versperren einer Türe, zu welcher Danica F***** selbst einen Schlüssel bei sich hatte, als Entziehung der persönlichen Freiheit anzusehen ist, betrifft keine Tatsachenfeststellungen, sondern die rechtliche Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes.

Soweit der Angeklagte in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit b) abermals das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustandes behauptet und das Fehlen entsprechender Feststellungen bemängelt, entfernt er sich vom Boden der Urteilsannahmen (US 4 unten) und bringt insoweit diesen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Entgegen dem Beschwerdevorbringen besteht im Hinblick auf den festgestellten Sachverhalt aber auch kein Anlaß, die Abstandnahme des Angeklagten von einer Fortsetzung der Vergewaltigungsversuche als - strafbefreienden - Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) anzusehen; mangelt es ihm doch nach den Konstatierungen des Erstgerichtes (US 5 f) ersichtlich an der erforderlichen Freiwilligkeit (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 16 RN 2).

Der Subsumtionsrüge (Z 10) zuwider vermag die von ihr bekämpfte Annahme der versuchten Tatbegehung auch durch Entziehung der persönlichen Freiheit den herangezogenen Nichtigkeitsgrund nicht zu verwirklichen, weil ihr Entfall, angesichts des davon unberührten Vorwurfes der Gewaltanwendung am Schuldspruch nach §§ 15, 201 Abs 2 StGB nichts ändern könnte (vgl Mayerhofer StPO4 § 281 Abs 1 Z 10 E 44a).

Mit der neuerlichen (s.o zu § 281 Abs 1 Z 4 StPO) Reklamierung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der vollen Berauschung des Angeklagten wird der Nichtigkeitsgrund der Z 10 nicht prozeßordnungsgemäß ausgeführt. Vielmehr wird auch damit lediglich in unzulässiger Weise versucht, die Beweiswürdigung des Schöffensenates, der eine starke Alkoholisierung des Nichtigkeitswerbers als nicht gegeben annahm, nach Art einer Schuldberufung zu bekämpfen.

Entgegen der Strafzumessungsrüge wird durch den - aktenwidrigen (vgl US 4 unten) - Hinweis auf den Mangel an Feststellungen "über die konkreten Alkoholprobleme" (die nach Auffassung des Beschwerdeführers seine mildere Beurteilung, insbesondere "auch im Sinne der §§ 43 bis 56 StGB" ermöglicht hätten) keiner der Fälle des § 281 Abs 1 Z 11 StPO zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht (vgl Mayerhofer aaO E 4 b, 6, 7, 8 d, 19 und 20 zu dieser Gesetzesstelle).

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 201 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, wobei es nach § 43 a Abs 3 StGB einen Teil von sechs Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die einschlägige Vorstrafe wegen eines Aggressionsdeliktes, die zweifache Verwirklichung des Tatbildes des § 201 Abs 2 StGB (Gewaltanwendung und Entziehung der persönlichen Freiheit), den Umstand, daß sich die Tathandlungen über einen längeren Zeitraum erstreckten, die Alkoholisierung und die Verletzungen der Danica F*****; als mildernd, daß es beim Versuch geblieben ist.

Dagegen richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit der er sowohl eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe als auch deren gänzlich bedingte Nachsicht anstrebt.

Auch die Berufung ist nicht im Recht.

Der Angeklagte bringt keine zusätzlichen Umstände mildernder Natur vor. Daß die letzte Verurteilung wegen Körperverletzung aus dem Jahr 1993 stammt, vermag ebensowenig einen Milderungsgrund darzustellen, wie der Hinweis auf den Zeitablauf der Geschehnisse zwischen 7.30 Uhr und 14 Uhr. Vielmehr fällt gerade der Umstand, daß sich die Tathandlungen über einen längeren Zeitraum erstreckten und der Angeklagte (nachdem bereits von einem zu Hilfe berufenen Dritten vorerst beruhigt) neuerlich die Erreichung seines kriminellen Ziels versucht hat, - wie vom Erstgericht zutreffend erkannt - als erschwerend zur Last. Gleichermaßen hat das Erstgericht zu Recht die Alko- holisierung des Angeklagten als erschwerend gewertet, wußte er doch aus den vorhergegangenen Verfahren, daß er im alkoholisierten Zustand zu Aggressionshandlungen neigt (Mayerhofer/Rieder StGB4 § 35 E 3 a). Unter richtiger Wertung der vom Angeklagten zur Durchsetzung seines Vorhabens eingesetzten kriminellen Energie erweist sich die vom Schöffengericht verhängte Freiheitsstrafe - unter relativierter Betrachtung der Begehung der Tat (auch) unter Entziehung der persönlichen Freiheit - ohnedies im unteren Bereich ausgemessen, um dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat ausreichend Rechnung zu tragen, sodaß zu einer Veränderung des Strafausmaßes auch unter Berücksichtigung der korrigierten Strafzumessungsgründe kein Anlaß besteht.

Einer gänzlich bedingten Strafnachsicht steht einerseits spezialpräventiv die Wirkungslosigkeit des bisherigen Vollzuges unbedingter Geldstrafen, andererseits generalpräventiv der Umstand entgegen, daß die angestrebte Nachsicht der Freiheitsstrafe in Fällen wie diesen als unzureichende Unrechtsfolge im Bereich des Sexualstrafrechtes angesehen werden würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 a StPO.