JudikaturJustiz11Os16/95

11Os16/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Februar 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Lachner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Hager, Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer und Dr. Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Braunwieser als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Ingrid P***** wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 und Abs 3 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. August 1994, AZ 22 Bs 299/94 (= ON 101 des Vr-Aktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Fabrizy, und des Verteidigers Dr.Riedl, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Strafverfahren zum AZ 4 d E Vr 7928/91 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzt der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. August 1994, AZ 22 Bs 299/94 (= ON 101 des Vr-Aktes) das Gesetz in der Bestimmung des § 353 Z 2 StPO iVm § 152 Abs 1 StPO.

Dieser Beschluß wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25. Mai 1994, GZ 4 d E Vr 7928/91-98, aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 1991, GZ 4 d E Vr 7928/91-80, wurde Dr. Ingrid P***** des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht nach § 288 Abs 1 und Abs 3 StGB schuldig erkannt. Inhaltlich des Schuldspruchs hat sie als Zeugin bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache vor dem Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Linz und vor dem Geschworenengericht beim Landesgericht Linz im Verfahren zum AZ 24 bzw 30 Vr 305/87 sowie vor einem nach Artikel 53 des Bundesverfassungsgesetzes eingesetzten Untersuchungsausschuß des Nationalrates ("Noricum- Untersuchungsausschuß") durch die jeweilige Aussage, sie habe das sogenannte "vierte Amry-Fernschreiben" nicht zur Kenntnis erhalten, falsch ausgesagt. Der Schuldspruch wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 8. September 1992, AZ 25 Bs 108/92, bestätigt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Beschluß vom 25. Mai 1994, GZ 4 d E Vr 7928/91-98, gab der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien dem Antrag der Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gemäß § 353 Abs 2 (gemeint: Z 2) StPO nicht Folge. Ihrer dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. August 1994, AZ 22 Bs 299/94, nicht Folge gegeben.

Dieser Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien steht - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeits- beschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend geltend macht - mit dem Gesetz (§ 353 Z 2 StPO iVm § 152 Abs 1 StPO) nicht im Einklang:

Der Wiederaufnahmeantrag der Dr. Ingrid P***** zielte schwergewichtig auf die Erschütterung der Urteilsfeststellung ab, daß in der Zeit zwischen dem 26. und dem 31. August 1985 beim damaligen B**********B***** eine Besprechung stattfand, bei der sie in Kenntnis der Existenz und des Inhalts des vierten Amry-Fernschreibens war (317/VI ff, insbesondere 337, 13 ff/VII). Zu diesem Zweck beantragte die Verurteilte ua die Einvernahme des Karl B***** als Zeugen zum Beweis dafür, daß die erwähnte Besprechung nicht stattgefunden habe, und brachte vor, daß der Genannte, der sich in der gegen sie durchgeführten Hauptverhandlung gemäß § 153 StPO aF der Aussage entschlagen hatte, nunmehr aussagebereit sei (12, 14/VII).

Nachdem der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Teile des Hauptverhandlungsprotokolles aus dem ua gegen Karl B***** beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 20 q Vr 2623/92 geführten Strafverfahren beigeschafft hatte (ON 97), lehnte er die Wiederaufnahme des Strafverfahrens ab; ohne den Genannten als Zeugen vernommen zu haben (27 ff/VII).

Das Oberlandesgericht Wien verneinte in seiner Beschwerdeentscheidung die Eigenschaft der Aussage des Karl B*****, ein neues Beweismittel darzustellen, das allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erschiene, die Freisprechung der Verurteilten oder ihre Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen, wobei es ausführte: "Bei sowohl im Erkenntnisverfahren als auch im nunmehrigen Prozeßstadium der Wiederaufnahme identem Beweisthema hat eben der Zeuge von einer zu seinen Gunsten bestehenden prozessualen Norm Gebrauch gemacht und scheidet damit auch in Hinkunft partiell (§ 153 Abs 1 StPO nF) oder gänzlich (etwa § 152 Abs 1 Z 1 StPO nF) als Zeuge aus. Widrigenfalls würde in jedem Verfahren, in dem sich eine Person der Aussage entschlagen hat, Wiederaufnahmswerbern die Möglichkeit eröffnet werden, - etwa durch "In-Talon-Halten" der Aussagen naher Angehöriger, welche sich vorerst entschlagen und dann aussagen wollen - im Instanzenzug abgeschlossene Verfahren in ferner Zukunft durch die Behauptung neu aufzurollen, nunmehr wolle ein Zeuge auf sein bisher legitim ausgeübtes Entschlagungsrecht verzichten." (73/VII ff).

Dabei verkennt das Oberlandesgericht Wien, daß die Inanspruchnahme des Entschlagungsrechtes durch einen Zeugen die Möglichkeit des späteren Verzichts auf diese Rechtswohltat nicht ausschließt. Demnach darf ein Zeuge, der zunächst von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch gemacht hat, nach Verzicht auf dieses sehr wohl vernommen werden (vgl KH 143 und EvBl 1951/413, jeweils mit Leitsätzen in Mayerhofer-Rieder StPO3 § 152 E 49 und 50). Daher stellt die Aussage eines (nunmehr aussagebereiten) Zeugen, der sich in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen hatte, ein die Wiederaufnahme ermöglichendes neues Beweismittel dar, sofern in einem neuen Erkenntnisverfahren bei Berücksichtigung dieser Zeugenaussage in Verbindung mit den bisherigen Verfahrensergebnissen eine andere Lösung der Beweisfrage denkbar ist (siehe 12 Os 62/94).

Da somit eine Benachteiligung der Verurteilten durch die aufgezeigte Gesetzesverletzung nicht ausgeschlossen werden kann, war der Nichtigkeitsbeschwerde Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.

Rechtssätze
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