JudikaturJustiz11Os14/11k

11Os14/11k – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. April 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. April 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Mag. Marek, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Alois P***** und andere wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG und anderer strafbarer Handlungen, AZ 65 Hv 105/09z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des Verurteilten Alois P***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 10. September 2010, AZ 19 Bs 267/10v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2010, GZ 65 Hv 105/09z 98, wurde Alois P***** mehrerer nach dem Suchtmittelgesetz begangener Straftaten schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt und noch am selben Tag in Strafhaft übernommen.

Am 9. August 2010 wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag des Verurteilten auf Gewährung eines Aufschubs des Strafvollzugs gemäß § 39 Abs 1 SMG ab (ON 142).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 10. September 2010, AZ 19 Bs 267/10v, nicht Folge (ON 154).

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt Alois P***** gestützt auf die Behauptung einer Verletzung in den Grundrechten nach Art 5 und 6 MRK eine Erneuerung des Beschwerdeverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist zwar eine Planwidrigkeit des § 363a StPO anzunehmen und Lückenschließung dahin geboten, dass es eines Erkenntnisses des EGMR für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf, womit auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst aufgrund eines Erneuerungsantrags festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts dazu führen kann (RIS Justiz RS0122229). Dabei handelt es sich aber um einen subsidiären Rechtsbehelf (RIS Justiz RS0122737, RS0123350), weshalb in Bezug auf das gegenständlich als verletzt bezeichnete Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) ausschließlich die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung gelangen, die insoweit den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof ausdrücklich regeln. Da die 14 tägige Beschwerdefrist des § 4 Abs 1 GRBG zufolge der am 27. September 2010 bewirkten Zustellung zum Zeitpunkt der Antragstellung abgelaufen war, kann aber eine Prüfung unter dem Blickwinkel einer Grundrechtsbeschwerde unterbleiben.

Vom Schutzbereich des Art 6 MRK werden Verfahren über die „Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage“, mithin Entscheidungen über die Schuld oder Nichtschuld (vgl Grabenwarter EMRK 4 § 24 Rz 26), nicht aber ein einen Strafaufschub nach § 39 Abs 1 SMG verweigerndes Erkenntnis eines Beschwerdegerichts erfasst.

Soweit der Einschreiter der Sache nach eine Überprüfung der Auslegung der Bestimmung des § 39 Abs 1 SMG durch das Oberlandesgericht Wien anstrebt, verkennt er das Wesen des subsidiären Rechtsbehelfs.

Der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

Rechtssätze
4
  • RS0122737OGH Rechtssatz

    18. März 2024·3 Entscheidungen

    Bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge. So kann der Oberste Gerichtshof unter anderem erst nach Rechtswegausschöpfung angerufen werden. Hieraus folgt für die Fälle, in denen die verfassungskonforme Auslegung von Tatbeständen des materiellen Strafrechts in Rede steht, dass diese Problematik vor einem Erneuerungsantrag mit Rechts- oder Subsumtionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 oder Z 10, § 468 Abs 1 Z 4, § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) geltend gemacht worden sein muss. Steht die Verfassungskonformität einer Norm als solche in Frage, hat der Angeklagte unter dem Aspekt der Rechtswegausschöpfung anlässlich der Urteilsanfechtung auf die Verfassungswidrigkeit des angewendeten Strafgesetzes hinzuweisen, um so das Rechtsmittelgericht zu einem Vorgehen nach Art 89 Abs 2 B-VG zu veranlassen. Wird der Rechtsweg im Sinn der dargelegten Kriterien ausgeschöpft, hat dies zur Folge, dass in Strafsachen, in denen der Oberste Gerichtshof in zweiter Instanz entschieden hat, dessen unmittelbarer (nicht auf eine Entscheidung des EGMR gegründeter) Anrufung mittels Erneuerungsantrags die Zulässigkeitsbeschränkung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall MRK entgegensteht, weil der Antrag solcherart „im wesentlichen" mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde" übereinstimmt.