JudikaturJustiz11Os127/18p

11Os127/18p – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Januar 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen resp. Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, Dr. Bachner Foregger, Mag. Fürnkranz und Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen DI Reinholf F***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB, AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft Wien (AZ 333 HR 122/17m des Landesgerichts für Strafsachen Wien), über den Erneuerungsantrag des belangten Verbands A***** GmbH in Bezug auf die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. November 2017, GZ 333 HR 122/17m 108, und des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 352/17m, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Im Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte und belangte Verbände, darunter die A***** GmbH wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 3 StGB (iVm § 3 VbVG), AZ 617 St 1/17z der Staatsanwaltschaft Wien, beantragte der genannte belangte Verband mit Schriftsatz vom 14. Juli 2017, die Staatsanwaltschaft möge ihn „gemäß § 50 Abs 1 StPO sobald wie möglich darüber informieren, welcher gegen die Gesellschaft bestehende Tatverdacht Grundlage des anhängigen Ermittlungsverfahrens ist“ (ON 56). Mit Note vom 27. Juli 2017 teilte die zuständige Staatsanwältin dem Verteidiger mit, dass diesem Antrag nicht entsprochen werde (ON 65).

Dagegen erhob der belangte Verband am 17. August 2017 Einspruch wegen Rechtsverletzung und erblickte im Vorgehen der Staatsanwaltschaft – kurz gefasst – eine Verletzung seines subjektiven Rechts auf Informationserteilung gemäß § 50 StPO und von Art 6 Abs 3 lit a MRK (ON 81).

Mit Beschluss vom 3. November 2017, GZ 333 HR 122/17m 108, wies das Landesgericht für Strafsachen Wien den Einspruch ab. Die Haft- und Rechtschutzrichterin sah diesen inhaltlich als nicht berechtigt an und verwies im Wesentlichen darauf, dass die Einspruchswerberin durch „Übermittlung der Anzeigen und Beilagen, Mitteilung der angezogenen Gesetzesstellen sowie laufender Gewährung von Akteneinsicht bereits umfassend über den Tatvorwurf informiert wurde“ (BS 8). Die genauen Tathandlungen sowie die Verantwortlichen des Verbands seien noch Gegenstand der Ermittlungen, eine Präzisierung könne erst nach deren Abschluss erfolgen und sei in diesem Verfahrensstadium noch nicht angezeigt.

Das Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht gab der dagegen gerichteten Beschwerde der A***** GmbH mit Beschluss vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 352/17m, nicht Folge (ON 278) und führte – insbesondere – aus: Durch die Übermittlung der Anzeige sei der belangte Verband „vollständig über die aktuelle Verdachtslage informiert worden“ (BS 4). Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin selbst in einem Antrag auf Herstellung einer Kopie der Anzeige der Republik Österreich vom 16. Februar 2017 (ON 2) ausdrücklich deponiert, dass sie „damit berechtigterweise nach § 49 Z 1 StPO, (der das in § 50 Abs 1 StPO normierte Recht auf Rechtsbelehrung beinhaltet) vom Gegenstand der gegen sie erhobenen Vorwürfe informiert sein wolle“. Sie habe zu erkennen gegeben, „durch die Herstellung einer Anzeigenkopie die hier vermisste Information erhalten zu wollen“ (BS 5).

Gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. November 2017, GZ 333 HR 122/17m 108, und des Oberlandesgerichts Wien vom 28. August 2018, AZ 20 Bs 352/17m, richtet sich der – nicht auf ein Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gestützte – Antrag des belangten Verbands auf Erneuerung des Strafverfahrens, mit welchem dieser eine Verletzung von Art 6 Abs 3 lit a MRK (und nominell auch von Art 48 Abs 2 GRC) geltend macht.

Rechtliche Beurteilung

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag (RIS-Justiz RS0122228), bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und Art 35 Abs 1, Abs 2 MRK sinngemäß (RIS-Justiz RS0122737, RS0128394).

Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel, EMRK 6 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) derartige Grundrechtsverletzung zu erblicken sei (RIS-Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0124359, RS0128393) und – soweit er (auf Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe) nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag – seine Argumentation auf Basis der Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zu entwickeln (RIS-Justiz RS0125393 [T1]).

Da Erneuerungsbegehren gegen Entscheidungen, die der Erneuerungswerber im Instanzenzug anfechten kann, unzulässig sind, ist der Antrag, soweit er sich (ausdrücklich auch) gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. November 2017 wendet, schon deshalb zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0122737 [T40, T41], RS0124739 [T2]).

Den oben dargestellten Erfordernissen wird aber auch das gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien gerichtete Vorbringen nicht gerecht (vgl va die im Rechtsbehelf unbeachtete Darstellung des Informationswerts der Anzeige in BS 4).

Gemäß Art 6 Abs 3 lit a MRK hat jeder Angeklagte das Recht, in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe wird in § 6 Abs 2 StPO als strafprozessualer Grundsatz hervorgehoben sowie in §§ 49 Z 1, 50 und 164 Abs 1 erster Satz StPO inhaltlich konkretisiert und ergänzt (12 Os 149/11w). § 50 Abs 1 erster Satz StPO ist die einfachgesetzliche Ausgestaltung des in § 49 Abs 1 Z 1 StPO genannten Rechts auf Information ( Soyer/Stuefer , WK-StPO § 50 Rz 1). Die Erstinformation gemäß § 50 Abs 1 StPO ( Wiederin , WK-StPO § 6 Rz 156) kann mündlich oder schriftlich erteilt werden ( Fabrizy , StPO 13 § 50 Rz 4a). Besondere Anforderungen an die Art und Weise der Unterrichtung stellt auch Art 6 Abs 3 lit a MRK nicht ( Kühne in IntKomm EMRK Art 6 Rz 492).

Der belangte Verband selbst beantragte bereits am 17. Februar 2017 neben der Gewährung von Akteneinsicht unter Bezugnahme auf § 49 Z 1 StPO ausdrücklich dadurch „vom Gegenstand der gegen uns erhobenen Vorwürfe“ informiert zu werden, dass kurzfristig eine Kopie der Strafanzeige hergestellt und zur Abholung bereitgehalten werden solle (ON 4).

Mag auch grundsätzlich die bloße Möglichkeit der Akteneinsicht als „Unterrichtung über die Anklage“ nicht ausreichen ( Frowein/Peukert , EMRK³ Art 6 Rn 282), legt die Erneuerungswerberin dennoch nicht dar, weshalb in concreto eine Grundrechtsverletzung vorliegen sollte.

Die Staatsanwaltschaft hat nämlich dem Informationsbegehren in der vom belangten Verband gewünschten Form entsprochen, wodurch dieser – wie aus dem Erneuerungsvorbringen ersichtlich – ohne weiteres tatsächliche und rechtliche (Verteidigungs )Überlegungen zum gegen ihn bestehenden Tatverdacht anstellen konnte. Zudem ist beim Umfang der Informationspflicht auf den Verfahrensstand abzustellen und eine Information über alle Einzelheiten in der Regel gerade zu Beginn, zum Teil aber auch noch im Lauf des Ermittlungsverfahrens kaum möglich (vgl 12 Os 149/11w mwN), kann doch (erst) dieses zu einer Intensivierung des Verdachts führen (§ 108 Abs 1 Z 2 StPO).

Erfolgreiche Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art 6 Abs 3 lit a MRK in einem nicht auf ein Erkenntnis des EGMR gestützten Erneuerungsantrag setzt überdies voraus, dass der Erneuerungswerber erklärt, weshalb die ihm (unzureichend) erteilte Information eine sinnvolle Verteidigung nicht ermöglichte (vgl 14 Os 108/10d = EvBl 2010/159 mit Praxishinweis von Ratz ). Dies lässt der gegenständliche Rechtsbehelf vermissen. Die vom belangten Verband bloß allgemein aufgestellte Behauptung, an der Formulierung eines Antrags auf Einstellung (§ 108 StPO) gehindert zu sein, stellt ebensowenig einen konkreten Bezug zur angefochtenen Entscheidung her wie der spekulative Rekurs auf § 17 StPO, Art 54 SDÜ, Art 50 GRC und Art 4 7. ZPMRK.

Ob die Beschuldigten mitgeteilten Umstände die vorgenommene rechtliche Qualifikation zu tragen vermögen, ist unter dem Aspekt des Art 6 Abs 3 lit a MRK unerheblich (vgl neuerlich 14 Os 108/10d), weshalb es eines Eingehens auf die diesbezüglichen Erwägungen der Erneuerungswerberin nicht bedarf. Woraus sie den von ihr behaupteten Anspruch des Beschuldigten, an den (internen) „Überlegungen“ der Anklagebehörde bei der Prüfung eines angezeigten Sachverhalts teilzuhaben, ableitet, bleibt unerfindlich. Die Staatsanwaltschaft hat zu informieren, nicht aber die Verfahrensführung zu rechtfertigen. Die Bezugnahme auf 1 Präs 2690-2113/12i des Obersten Gerichtshofs geht schon deshalb ins Leere, weil die Gründe für ein Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens (§ 35c StAG) in das – nicht der Akteneinsicht durch den Beschuldigten (§ 35 Abs 1 StAG) unterliegende – Tagebuch der Staatsanwaltschaft einzutragen sind (§ 34 Abs 2 StAG).

Die (ohne eigenständige Argumentation) nominell aufgestellte Behauptung einer Verletzung auch von Art 48 Abs 2 und 50 GRC sowie Art 54 SDÜ geht schon deshalb fehl, weil Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens auch im erweiterten Anwendungsbereich des § 363a StPO – dessen Wortlaut folgend – nur wegen einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle gestellt werden können (13 Os 49/16d [verst Senat]).

Der Erneuerungsantrag des belangten Verbands A***** GmbH war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

Rechtssätze
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