JudikaturJustiz11Os126/98

11Os126/98 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. November 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. November 1998 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Schmucker, Dr. Habl und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Holy als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Ersoy A***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 3 U 1036/96v des Bezirksgerichtes Telfs, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Telfs vom 3. Februar 1998, GZ 3 U 1036/96v-44, und des Landesgerichtes Innsbruck vom 2. Juni 1998, AZ II Bl 96/98, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Bierlein, jedoch in Abwesenheit des ehemaligen Beschuldigten Ersoy A***** und seines Verteidigers, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Beschluß des Bezirksgerichtes Telfs vom 3. Februar 1998, GZ 3

U 1036/96v-44, mit dem Ersoy A***** gemäß § 393a Abs 1 StPO ein Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers sowie ein Barauslagenersatz zuerkannt wurde, sowie

2. der Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 2. Juni 1998, AZ II Bl 96/98 (GZ 3 U 1036/96v-48 des Bezirksgerichtes Telfs), mit dem der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Innsbruck gegen den zu 1. genannten Beschluß nicht Folge gegeben wurde, verletzen das Gesetz jeweils in der Bestimmung des § 393a StPO.

Text

Gründe:

Am 18. Oktober 1996 brachte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Telfs einen Bestrafungsantrag gegen Ersoy A***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB ein (ON 2 in 3 U 1036/96v). In dieses Verfahren wurde eine weitere Anzeige einbezogen, die Grundlage des am 3. April 1997 erhobenen Bestrafungsantrages wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB bildete (ON 1 und 2 in ON 19).

Gegen Ersoy A***** war darüberhinaus seit 16. Jänner 1997 zu 29 E Vr 127/97 des Landesgerichtes Innsbruck ein Verfahren wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB sowie wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB anhängig (ON 1 dieses Aktes).

Am 14. März 1997 übersandte das Bezirksgericht Telfs den Akt 3 U 1036/96v dem Landesgericht Innsbruck zur Einbeziehung in das Verfahren 29 E Vr 127/97 gemäß § 56 StPO (S 2). Das Landesgericht Innsbruck verfügte am 21. März 1997 die Rückabtretung an das Bezirksgericht Telfs mit der Mitteilung, daß zur Vermeidung von Verzögerungen von einer Einbeziehung des bezirksgerichtlichen Aktes in das Gerichtshofverfahren Abstand genommen wurde (S 3 des U-Aktes).

Im Verfahren 29 E Vr 127/97 des Landesgerichtes Innsbruck wurde Ersoy A***** wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB und des Vergehens (richtig: Verbrechens) der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 und 106 Abs 1 Z 1 StGB am 24. November 1997 rechtskräftig verurteilt (ON 29 des Vr-Aktes).

Im Hinblick auf dieses Urteil gab der öffentliche Ankläger im Verfahren 3 U 1036/96v des Bezirksgerichtes Telfs das "Erklären nach § 227 Abs 1 StPO hinsichtlich aller Fakten" ab, worauf das Bezirksgericht Telfs mit Beschluß vom 17. Dezember 1997 das Verfahren gemäß § 227 Abs 1 StPO einstellte (S 3e). Im Anschluß daran beantragte Ersoy A*****, ihm in diesem bezirksgerichtlichen Verfahren einen Beitrag zu den Kosten seiner Verteidigung zuzuerkennen und seine Barauslagen zu ersetzen (ON 42).

Mit Beschluß vom 3. Februar 1998 (ON 44) gewährte das Bezirksgericht Telfs dem Genannten einen Pauschalbeitrag von 3.500 S zu den Kosten des Verteidigers sowie einen Barauslagenersatz von 1.356 S; ein Mehrbegehren wurde abgewiesen. In der Begründung führte das Erstgericht aus, daß ein auf § 34 Abs 2 StPO gestützter Rücktritt von der Verfolgung keinen nach der Einbringung des Antrags auf Bestrafung eingetretenen Grund darstelle, aus dem die Strafbarkeit der Tat entfalle; ein Ausschlußtatbestand im Sinne des § 393a Abs 3 StPO liege daher nicht vor.

Der von der Staatsanwaltschaft Innsbruck dagegen erhobenen Beschwerde (ON 45) gab das Landesgericht Innsbruck mit Beschluß vom 2. Juni 1998, AZ II Bl 96/98 (GZ 3 U 1036/96v-48 des Bezirksgerichtes Telfs), mit der Begründung nicht Folge, daß einerseits die bezirks- und landesgerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt verbunden gewesen seien, sodaß das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. November 1997 nicht als Teilschuldspruch angesehen werden könne, der einen Ersatzanspruch nach § 393a StPO ausschließe. Andererseits falle die Erklärung des öffentlichen Anklägers nach § 227 Abs 1 StPO nicht unter die taxativ aufgezählten Ausschlußgründe des § 393a Abs 3 StPO, sodaß das Bezirksgericht Telfs zu Recht einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung und einen Barauslagenersatz bestimmt habe.

Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Telfs vom 3. Februar 1998, GZ 3 U 1036/96v-44, und des Landesgerichtes Innsbruck vom 2. Juni 1998, AZ II Bl 96/98, verletzen - wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - das Gesetz in der Bestimmung des § 393a StPO:

Rechtliche Beurteilung

Ausgehend davon, daß das Gesetz für den Fall eines Teilfreispruches auch keine Teilkostenersatzpflicht des Bundes vorsieht, verbietet eine zweckrationale Betrachtung des § 393a StPO die Begünstigung eines ehemaligen Beschuldigten bei einer nur ausnahmsweise zulässigen Verfahrensausscheidung, wird doch durch diese prozessleitende Verfügung kein völlig neues Verfahren eingeleitet, sondern lediglich angeordnet, daß über einzelne strafbare Handlungen das Strafverfahren abgesondert zu führen und abzuschließen ist. Demgemäß gebührt dem im getrennt geführten Verfahren freigesprochenen (ebenso wie dem infolge Verfahrenseinstellung nach dem § 227 Abs 1 StPO ehemaligen) Beschuldigten dann kein Pauschalkostenbeitrag und Auslagenersatz, wenn im zweiten gegen ihn geführten Strafverfahren ein Schuldspruch erfolgte (Mayerhofer StPO4 § 393a E 3; 3a = NRsp 1994/189 = 12 Os 16, 17/94).

Der Argumentation des Landesgerichtes Innsbruck in der Beschwerdeentscheidung, wonach die Verfahren des Bezirksgerichtes Telfs und des Landesgerichtes Innsbruck zu keinem Zeitpunkt (formell) verbunden waren, ist zu entgegnen, daß eine bloß tatsächliche getrennte Verfahrensführung, mag sie - wie im vorliegenden Fall - trotz der gemäß § 56 StPO gebotenen Zusammenlegung der beiden Strafverfahren ohne ausdrücklichen Rückgriff auf die §§ 57, 58 StPO erfolgt sein, im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen des § 393a StPO zu keinem anderen Ergebnis führen kann, als wenn eine dem § 56 StPO entsprechende Einbeziehung erfolgt und dieser Verfahrensteil erst danach getrennt weitergeführt worden wäre. Vielmehr orientiert sich § 393a StPO - wie jede generelle gesetzliche Norm - am Regelfall, also an der durch § 56 StPO angeordneten, grundsätzlich gebotenen gemeinsamen Verfahrensführung; wird ein Verfahrensteil dennoch getrennt verhandelt, so entscheidet erst eine Gesamtbetrachtung der Ergebnisse beider Strafverfahren, ob ein Anspruch nach § 393a StPO besteht oder nicht (wiederum 12 Os 16, 17/94).

Der Umstand, daß das Landesgericht Innsbruck im Verfahren 29 E Vr 127/97 der nach § 56 StPO gebotenen Zusammenlegung beider Verfahren (formell) nicht entsprach und dementsprechend ohne Zitierung der §§ 57, 58 StPO, aber mit der Begründung "zur Vermeidung von Verzögerungen" das erst nach Zusammentreffen der Strafsachen abgesondert zu führende Verfahren sofort an das Bezirksgericht Telfs rückabtrat, vermag jedoch in Ansehung der nur einige von mehreren gleichzeitig zur Last liegenden Sachverhalten betreffenden Einstellung des Verfahrens nach Rücktritt von der Anklage gemäß § 227 Abs 1 StPO keinen gesonderten Anspruch auf einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung und auf Barauslagenersatz zu begründen.

Da sich die unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Bezirksgericht Telfs und das Landesgericht Innsbruck zugunsten des ehemaligen Beschuldigten auswirkte, besteht kein Anlaß und keine Möglichkeit für eine über die Feststellung der Gesetzesverletzung hinausgehende konkrete Maßnahme, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.