JudikaturJustiz11Os126/04

11Os126/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Januar 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Jänner 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kain als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Silvia St***** und einen anderen Angeklagten wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Silvia St***** und Michael W***** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. August 2004, GZ 12 Hv 128/04y-50, sowie über die Beschwerde des Angeklagten W***** gegen den Beschluss gemäß § 494a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fuchs, der beiden Angeklagten und ihrer Verteidiger Mag. Purr und Dr. Piffl-Percevic zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen und der Beschwerde wird nicht Folge gegeben. Den Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Silvia St***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und des Vergehens nach § 27 Abs 1 vierter und fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG (A I 1 a), der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 SMG (A I 1 b) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG (A II 1) und Michael W***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 vierter Fall, Abs 3 erster Fall SMG sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 sechster Fall, Abs 2 Z 2 SMG (A I 2), des Vergehens nach § 27 Abs 1 zweiter Fall SMG (A II 2) sowie der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG (zu ergänzen:) als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB und des Vergehens nach § 27 Abs 1 vierter und fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG (zu ergänzen:) als Bestimmungstäter nach § 12 zweiter Fall StGB (B) schuldig erkannt. Danach haben sie

A. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

I. in einer großen Menge (§ 28 Abs 6 SMG) gewerbsmäßig, und zwar

Rechtliche Beurteilung

Dagegen - inhaltlich nur gegen die Schuldsprüche zu A I und B - richten sich die von der Angeklagten Silvia St***** auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO und vom Angeklagten Michael W***** auf § 281 Abs 1 Z 4, 9 lit a, 9 lit b und 10 (inhaltlich nur Z 9 lit b) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden; ihnen kommt Berechtigung nicht zu. Der Angeklagte W***** behauptet mit seinem (undifferenziert den bezeichneten Nichtigkeitsgründen unterstellten) Beschwerdevorbringen, dass die erfolgte Anstiftung zur Organisation des Ankaufes von 224,6 g Kokain durch den verdeckten Ermittler, ohne die es bei der Beschaffung von Ecstasy über die ihm bekannten Wege in Rumänien geblieben wäre, eine „den staatlichen Strafanspruch aufhebende" Verletzung des Art 6 EMRK darstelle, weil ein „fair trial" von vornherein ausgeschlossen gewesen sei.

Demzuwider ist zwar die Provokation durch einen Lockspitzel gesetzlich untersagt (§ 25 StPO). Von einer solchen kann aber nur die Rede sein, wenn ein Organwalter des Staates auf ein kriminelles Verhalten im Sinne einer über das bloße Erforschen desselben hinausgehenden Bestimmung Einfluss genommen hat. Dies ist dann nicht gegeben, wenn der Angeklagte die in Rede stehende strafbare Handlung ihrer Art nach auch ohne Intervention des verdeckten Ermittlers begangen hätte, also zum Schmuggel und Inverkehrsetzen großer Mengen Suchtgift welcher Art auch immer grundsätzlich bereit war und auch ohne Einschreiten des verdeckten Ermittlers in einschlägiger Weise delinquent geworden wäre. Eine Organwaltern des Staates zurechenbare Bestimmung des Angeklagten zu seiner strafbaren Handlung liegt diesfalls nicht vor (12 Os 21/03; EvBl 2000/118).

Dies trifft hier zu. Denn anders als im Rechtsmittel behauptet, ist nach den - insbesondere auch auf dem Geständnis des Angeklagten W***** basierenden - Urteilsfeststellungen (US 6 ff) keine Rede davon, dass dieser vom verdeckten Ermittler zur Organisation eines gewerbsmäßigen Suchtgiftschmuggels aus den Niederlanden nach Österreich unter Beteiligung der Mitangeklagten verleitet wurde. Dem Urteil zufolge „musste" sich der Angeklagte W***** vielmehr nach Scheitern seines Planes, über einen Hintermann in Rumänien Ecstasy zu beschaffen, „nach einer neuen Suchtgiftquelle umschauen" (vgl S 84/II). Er wandte sich deshalb an St*****, aus deren Erzählungen er wusste, dass sie schon für ein paar Leute Kokain besorgt und beste Kontakte nach Holland hat und „einigte" sich mit ihr vorerst auf den Ankauf von Ecstasytabletten (vgl S 61, 83 ff/II; S 115 ff/I). Da seine ursprünglichen Abnehmer die erforderlichen finanziellen Mittel nicht aufbringen konnten, beschloss der Angeklagte nach den - auf S***** und seine eigenen Angaben gestützten - Konstatierungen, „sich nach einem anderen Abnehmer umzusehen" und lernte über Vermittlung eines Bekannten einen verdeckten Ermittler kennen, dem er Ecstasy zum Kauf anbot, wobei dieser entgegnete, „dass er letztlich am Kauf von Kokain Interesse hätte" (US 8f). Da der Angeklagte wusste, „dass seine Lieferantin Silvia Maria St***** auch über die Möglichkeit verfügte, ihm Kokain zum gewinnbringenden Weiterverkauf zu verschaffen", bot er dem verdeckten Ermittler 500 g Kokain zum Kauf an (US 8f). Zuvor teilte er St***** mit, dass er einen Interessenten für eine Menge von 500 g Kokain gefunden habe und bestimmte sie in gewerbsmäßiger Absicht zum Schmuggel von Kokain aus den Niederlanden nach Österreich (US 8f).

Weil aus diesem Substrat unmissverständlich eine von der Intervention des Ermittlers unabhängige Bereitschaft zur Tatbegehung durch W***** abzuleiten ist, die in der Folge bloß hinsichtlich der Art der Droge eine Modifizierung erfuhr, muss der eine Bestimmung zum vorliegenden Tatverhalten reklamierenden Nichtigkeitsbeschwerde - abgesehen davon, dass es der Verfahrensrüge (Z 4) mangels Antragstellung in der Hauptverhandlung an den formellen Voraussetzungen fehlt - ein Erfolg versagt bleiben.

Damit geht aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit b) der Angeklagten St*****, die moniert, sie wäre eines fairen Verfahrens durch Verletzung des Art 6 EMRK „beraubt" worden, weil W***** „ausschließlich auf Grund des provokanten Verhaltens" des verdeckten Ermittlers „ein Verhalten gesetzt" habe, „dieses Suchtgift zu besorgen", und sie bestimmt habe, „Kokain aus den Niederlanden zu besorgen", ins Leere. Denn die Behauptung, die Beschwerdeführerin habe vor der Tat „kein Verhalten gesetzt, dass objektiv anzunehmen wäre, dass Silvia St***** einen Suchtgifthandel betreibe", vernachlässigt die gegenteiligen Urteilsfeststellungen, wonach sie bereits vor dem Einschreiten des verdeckten Ermittlers mit dem Angeklagten W***** vereinbart hatte, diesem 25.000 Ecstasy-Tabletten zu liefern, wobei sie die Möglichkeit sah, sich durch den wiederkehrenden und gewinnbringenden Verkauf solcher Tabletten ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, und überdies W***** mitteilte, dass sie schon öfters derartige Suchtgiftgeschäfte abgewickelt und auch schon für ein paar Leute Kokain besorgt habe (US 7f). Mit der Behauptung, dass die Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber W***** nicht den Tatsachen entsprochen hätten und „reine Prahlerei" gewesen seien, argumentiert die Beschwerde nicht auf der Tatsachengrundlage des Ersturteils, von der aber bei Geltendmachung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes auszugehen gewesen wäre.

Im Übrigen hindert - den (ersichtlich auf die Entscheidung des EGMR in der Sache Teixeira de Castro gegen Portugal, ÖJZ-MRK 1999/14, gestützten) Nichtigkeitsbeschwerden zuwider - Art 6 EMRK nicht, dass der Angeklagte im Fall des gesetzlichen Nachweises seiner Schuld (Art 6 Abs 2 EMRK) selbst im Fall einer einem staatlichen Organwalter zurechenbaren Tatprovokation dennoch für die Tat verurteilt wird. Denn aus diesem Konventionsverstoß ist kein materieller Straflosigkeitsgrund für die provozierte Straftat abzuleiten (15 Os 30/02 unter Verweis auf EvBl 2000/118):

„Hören der Sache" iS des Art 6 Abs 1 erster Satz EMRK setzt die Existenz der Sache, welche gehört werden soll, logisch voraus. Nur auf dieses Hören aber bezieht sich der Ausdruck „in billiger Weise" und demnach das auch vom EGMR als Verfahrensrecht gesehene Fairnessgebot. Die Bestimmung verbietet demnach nicht das Hören der Sache, verlangt vielmehr umgekehrt, dass die Sache gehört, mithin eine Verhandlung über die der Anklage zugrunde liegende Straftat abgeführt wird. Da aber ein Verfolgungshindernis just dies verhindern würde, erscheint es als Ausgleich für eine in der Bestimmung eines Straftäters durch verdeckte Ermittler gelegene, dem Staat zurechenbare Unfairness nicht sachgerecht. Hat es demnach zum „Hören der Sache" zu kommen (Art 6 Abs 1 EMRK), stellt sich sodann die Frage, ob es derentwegen zu einer Verurteilung kommen darf. Ein materieller Strafausschließungsgrund könnte sich allerdings nicht auf das Verfahrensgrundrecht des Art 6 EMRK stützen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 86; Fabrizy, StPO9 § 281 Rz 63; aber auch Fuchs, ÖJZ 2001, 495 und Roxin, JZ 2000, 369 ff).

Der auch für strafbare Handlungen nach dem SMG geltende Allgemeine Teil des StGB (Art I Abs 1 StRAG) lenkt jedoch den Blick des Richters bei der Strafbemessung nicht nur auf das Handeln des Täters bei der Tat, sondern vielmehr ausdrücklich auch auf davon losgelöste Umstände, nicht zuletzt solche, welche bloß das Strafverfahren betreffen. Zwei der im § 34 StGB genannten besonderen Milderungsgründe belohnen ein bestimmtes, damit im Zusammenhang stehendes Verhalten des Täters (§ 34 Abs 1 Z 16 und 17 StGB), ein weiterer bezweckt einen gerechten Ausgleich für eine im Sinn des Art 6 Abs 1 EMRK unangemessene Verfahrensdauer (§ 34 Abs 2 StGB). Der einfache Gesetzgeber, dessen Primat bei der Grundrechtskonkretisierung nicht außer Acht gelassen werden darf (F. Bydlinski, JBl 2001, 15, 25; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft6 341; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 354), lässt demnach die Kooperation des Täters beim gesetzlichen Nachweis seiner Schuld als mildernd gelten und sucht, einen Verstoß gegen Art 6 Abs 1 EMRK nur - aber immerhin - durch einen besonderen Milderungsgrund zu kompensieren. Mit Blick auf die bloß demonstrative Aufzählung besonderer Milderungsgründe in § 34 StGB wird solcherart die Wertung des Gesetzes offenbar, durch das Verfahren selbst nicht auszugleichenden Verletzungen von Verfahrensgrundrechten im Rahmen der Strafbemessung Rechnung zu tragen. So gesehen kann das Vorliegen einer Tatprovokation durch Organwalter des Staates bei der Sanktionsfindung angemessen in Rechnung gestellt und ein gerechter Ausgleich dafür gefunden werden, dass der Angeklagte das - dessen ungeachtet - verpönte Verhalten ohne diese Einflussnahme nicht gesetzt hätte (BGH vom 18. 11. 1999 - 1 StR 221/99, JZ 2000, 363, mit ablehnender Anmerkung von Roxin).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte jeweils nach § 28 Abs 3 SMG unter Anwendung des § 28 StGB über die Angeklagte St***** eine 30-monatige und über den Angeklagten W***** eine 24-monatige Freiheitsstrafe. Weiters ordnete es hinsichtlich der Erstangeklagten nach § 20 Abs 1 Z 2 StGB eine Abschöpfung der Bereicherung in der Höhe von 2.723 Euro an, zog sichergestelltes Suchtgift gemäß § 34 SMG ein und erkannte unter einem beschlussmäßig auf Widerruf der dem Angeklagten W***** vom Bezirksgericht Leibnitz am 19. August 2002 gewährten bedingten Nachsicht eines Teils einer Geldstrafe.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht bei der Erstangeklagten als erschwerend das Zusammentreffen von zehn Verbrechen mit drei Vergehen, als mildernd das Tatsachengeständnis und den ordentlichen Lebenswandel, beim Zweitangeklagten als erschwerend das Zusammentreffen von zehn Verbrechen mit drei Vergehen und „das strafrechtlich belastete Vorleben", als mildernd das reumütige Geständnis.

Dagegen richten sich die Berufungen der Angeklagten. Die Erstangeklagte reklamiert darin ihre Krankheit, die sie berufsunfähig mache, und eine Berücksichtigung des Kindeswohls ihrer Tochter als Gründe für eine begehrte Herabsetzung der Strafe; der Zweitangeklagte ließ seine angemeldete Berufung unausgeführt.

Wenngleich beim Zweitangeklagten nur die beiden ersten Vorstrafen als auf der gleichen schädlichen Neigung beruhend erschwerend wirken, nicht aber jene wegen Sachbeschädigung, und obzwar der formellen Vielzahl an Verbrechen jeweils nur eine einheitliche Tathandlung zugrunde liegt, hat das Schöffengericht die vorliegenden, im Übrigen der Sache nach richtig dargestellten Strafzumessungsgründe zutreffend gewichtet. Da - wie oben ausgeführt - von einer Tatprovokation nicht die Rede sein kann, kommt der Einsatz des verdeckten Ermittlers den Angeklagten nicht als mildernd zugute.

Zu einer Herabsetzung der - Tatschuld und Täterpersönlichkeiten entsprechenden - Strafen sah sich der Oberste Gerichtshof daher nicht veranlasst.

Auch der implizierten Beschwerde des Angeklagten W***** war ein Erfolg zu versagen, bedarf es im konkreten Fall doch schon aus spezialpräventiven Gründen des Widerrufs der bedingten Nachsicht. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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