JudikaturJustiz11Os111/01

11Os111/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pripfl als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Enrique R***** wegen des Verdachtes des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (allenfalls der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 und 2 StGB) über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Untersuchungsrichters vom 2. Dezember 1999, GZ 22c Vr 2155/99-10, der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Dezember 1999, GZ 22c Vr 2155/99-13 und des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. Mai 2000, AZ 22 Bs 39/00 (= ON 14 des Strafaktes), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss und in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Enrique R***** wegen §§ 146, 147 Abs 2 StGB, AZ 22c Vr 2155/99 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, verletzen die im Zusammenhang mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Herstellung einer beglaubigten Übersetzung einer (zur Vorbereitung der Erwirkung der Übernahme der Strafverfolgung des Beschuldigten im Ausland ausgearbeiteten) Sachverhaltsdarstellung (samt Aktenkopie) durch einen gerichtlich beeideten Dolmetscher ergangenen Beschlüsse

1) der Untersuchungsrichterin vom 2. Dezember 1999 (ON 10), mit dem das diesbezügliche Ersuchen der Staatsawaltschaft abgewiesen,

2) der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22. Dezember 1999 (ON 13), womit der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht Folge gegeben, sowie

3) des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. Mai 2000, AZ 22 Bs 39/00 (ON 14), mit dem für aufsichtsbehördliche Maßnahmen nach § 15 StPO kein Grund gefunden wurde,

das Gesetz (jeweils) in der Bestimmung des § 88 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

Beim Landesgericht für Strafsachen Wien ist zum AZ 22 Vr 2155/99 ein Strafverfahren gegen den spanischen Staatsangehörigen Enrique R***** wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (allenfalls der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 und 2 StGB) anhängig. Es hat die im März 1998 in Wien mit Bereicherungsvorsatz vorgenommene Abhebung eines von einem Angestellten der E***** AG irrtümlich auf das Konto des Beschuldigten bei der P*****-Bank überwiesenen Betrages von 135.000,-- S zum Gegenstand.

Nach gerichtlichen Vorerhebungen und nach Erwirkung von (auch internationalen) Fahndungsmaßnahmen (ON 4) wurde das Verfahren am 13. April 1999, gemäß § 412 StPO vorläufig eingestellt (S 3 verso des Antrags- und Verfügungsbogens). In der Folge konnte der Wohnsitz des Enrique R***** in Barcelona/Spanien ermittelt werden (ON 8). Nachdem die Untersuchungsrichterin der Staatsanwaltschaft in Stattgebung eines darauf abzielenden (der Vorbereitung eines Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung des Beschuldigten in seinem Heimatstaat durch das Bundesministerium für Justiz - § 74 ARHG - dienenden) Antrags beglaubigte Fotokopien des Aktes übermittelt hatte (S 3a f des Antrags- und Verfügungsbogens), wurde dem weiteren Begehren auf Herstellung einer beglaubigten Übersetzung einer von der Anklagebehörde (ebenfalls zwecks Übertragung der Strafverfolgung) ausgefertigten Sachverhaltsdarstellung (samt Aktenkopie) durch einen gerichtlich beeideten Dolmetscher in die spanische Sprache nicht entsprochen. Die Untersuchungsrichterin wies dieses Ersuchen mit Beschluss vom 2. Dezember 1999 im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass eine gerichtliche Mitwirkung zur Erlangung der angestrebten Übersetzung im Gesetz nicht vorgesehen sei: Weder zähle die in Rede stehende, von der Staatsanwaltschaft für ein Vorgehen nach § 52 ARHV (iVm § 74 Abs 2 ARHG) hergestellte Sachverhaltsdarstellung zum Kreis gerichtlicher Vorerhebungsakte (§ 88 Abs 1 StPO), noch sei aus den in Betracht kommenden Bestimmungen des § 74 ARHG oder der §§ 9, 52 ARHV eine gerichtliche Kompetenz für die begehrte Prozesshandlung abzuleiten (ON 10).

Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 11) versagte die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 22. Dezember 1999 einen Erfolg (ON 13). Sie teilte im Ergebnis die Auffassung der Untersuchungsrichterin und verwies darauf, dass auch die Vorschrift des § 36 StPO (iVm Art 22 B-VG) über die gegenseitige Rechtshilfe nur im (hier nicht aktuellen) Fall der Unmöglichkeit der Vornahme der betreffenden Handlung im eigenen Wirkungsbereich der ersuchenden Behörde Platz greife und die Anfertigung von erforderlichen Übersetzungen zur Erwirkung der Übernahme einer Strafverfolgung im Ausland gemäß § 52 ARHV (iVm § 9 leg cit) unmittelbar von der Staatsanwaltschaft (durch Auftragserteilung an einen im Verzeichnis der allgemein beeideten gerichtlichen Dolmetscher eingetragenen Übersetzer in Form eines privatrechtlichen Vertrages) zu veranlassen sei.

Gegen diese Entscheidung brachte die Oberstaatsanwaltschaft Wien aus der Sicht einer dem Gerichtshof erster Instanz unterlaufenen (bedeutsamen) Rechtsverweigerung beim Oberlandesgericht Wien Aufsichtsbeschwerde nach § 15 StPO ein, die gleichfalls erfolglos blieb (ON 14). Das Oberlandesgericht schloss sich in seinem Beschluss vom 15. Mai 2000, AZ 22 Bs 39/00, der von den befassten Organen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vertretenen Ansicht an, wonach die von der Anklagebehörde zur Erwirkung der Strafverfolgung eines ausländischen Staatsangehörigen im Ausland begehrte Maßnahme schon begrifflich nicht in den Bereich gerichtlicher Vorerhebungen falle. Den Staatsanwaltschaften stehe zur Wahrnehmung ihrer (die Veranlassung von Übersetzungen der gegenständlichen Art einschließenden) Aufgaben "ein eigenes Budget" zur Verfügung, weshalb die Herstellung der gewünschten Übersetzung (ungeachtet der den Beschuldigten allenfalls benachteiligenden Kostenfolgen und des Fehlens eines staatsanwaltschaftlichen Eintreibungsinstrumentariums) in den alleinigen Kompetenzbereich der Anklagebehörde falle. Mögliche Auswirkungen einer allfälligen Übertragung der Strafverfolgung an den ersuchten Staat auf das Inlandsverfahren könnten ebenfalls nicht als maßgebliches Argument für eine Mitwirkungspflicht des Gerichtes herangezogen werden.

Rechtliche Beurteilung

Die angeführten Beschlüsse der Gerichtshöfe erster und zweiter Instanz stehen wie der Generalprokurator mit seiner deshalb erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Abgesehen davon, dass der Staatsanwaltschaft keine eigene Budgethoheit für Amtshandlungen der gegenständlichen Art zukommt (§ 31 Abs 1 DV-StAG normiert lediglich die Feststellung der Ausgabemittel auf Grund Bedarfsnachweises durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes), gibt es nach der geltenden Rechtslage keine gesetzliche Basis für die Bestellung eines Dolmetschers durch die Anklagebehörde.

Auch bei der im Bundesministerium für Justiz eingerichteten Rechtshilfe- und Übersetzungskanzlei können - wie am Rande bemerkt sei - lediglich Übersetzungen von Urkunden aus bestimmten Sprachen in die deutsche Amtssprache, nicht aber Übersetzungen von Schriftstücken in eine Fremsprache beantragt werden (Punkt 7. des Erlasses vom 16. Dezember 1960, JABl 1961/5 idF der Erlässe vom 18. Februar 1976, JABl 20 und vom 24. Oktober 1997, JABl 41).

Schlüssel zur Lösung der zwischen den Anklagebehörden und den Gerichten aufgetretenen Kontroverse ist der Vorerhebungsbegriff des § 88 Abs 1 StPO. Hiezu sei einleitend hervorgehoben, dass das Gesetz auch für den untersuchungsrichterlichen Bereich von einem weitgesteckten Begriffsumfang ausgeht und darunter gewiss auch die Anordnung der Übersetzung von Schriften aller Art, die für den Ermittlungszweck erheblich sind, durch einen beeideten Dolmetscher versteht (vgl für Übersetzungen in die Amtssprache § 100 StPO). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Erheblichkeit sogleich aus der Kenntnisnahme des übersetzten Inhalts oder erst später aus einer Kombination mit anderen Verfahrensvorgängen erwachsen kann. Die verfahrensgebundene Unterstützung fremdsprachiger Korrespondenz des Staatsanwalts oder des Bundesministers für Justiz kann insbesonders dann ein Akt gerichtlicher Vorerhebung sein, wenn es auch um die Übersetzung des gerichtlichen Akteninhaltes geht und die durch den zwischenstaatlichen Verkehr vorgegebene Einschaltung des Bundesministers für Justiz der konkreten Sacherledigung dienlich ist. Beim gebotenen teleologischen Gesetzesverständnis kommt dem unbestrittenen Umstand, dass die aktuellen Übersetzungsmaßnahmen für sich allein gesehen den Ermittlungsstand im Inlandsverfahren unverändert lassen, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Der § 88 Abs 1 StPO statuiert ein Recht des Staatsanwalts, im Interesse seines Kompetenzbereiches gerichtliche Vorerhebungen zwecks Gewinnung von Anhaltspunkten für eine Strafverfolgung oder aber auch eine Verfahrenseinstellung führen zu lassen. Somit ist die in den Gerichtsentscheidungen anklingende Auffassung, in § 88 Abs 1 StPO sei eine Aufgabenstellung des Untersuchungsrichters umschrieben, die durch anderweitige gesetzliche Regelungen der Verfolgungsrechte und Verfolgungspflichten des Staatsanwalts keine Modifikation erfahren könne, schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht haltbar. Hat nun aber § 74 Abs 2 ARHG dem Staatsanwalt auferlegt, gegebenenfalls im Wege des Bundesministers für Justiz die Übernahme der Strafverfolgung durch einen ausländischen Staat wegen einer strafbaren Handlung, die der österreichischen Gerichtsbarkeit unterliegt, zu erwirken, darf er auch für diese Kompetenz gerichtliche Vorerhebungen beanspruchen, soweit sich daraus Anhaltspunkte für eine Verfahrensfortsetzung oder Verfahrenseinstellung ergeben können. Im gegebenen Fall der Erwirkung der Übernahme der Strafverfolgung genügt ein Hinweis auf § 74 Abs 4 ARHG zur Darlegung der generellen Eignung, daraus in weiterer Folge eine Grundlage für die Verfahrenseinstellung zu gewinnen. Demgemäß ist mit der Argumentation, die gesetzliche Regelung der Erwirkung der Übernahme der Strafverfolgung (insbesondere § 74 ARHG) weise dem Untersuchungsrichter für die Herstellung allein von der Staatsanwaltschaft benötigter Unterlagen keine Rolle zu, die Verweigerung einschlägiger gerichtlicher Vorerhebungsakte nicht überzeugend zu begründen. Insoweit kommt nämlich in den auf das Grundsätzliche beschränkten Bestimmungen (4 BlgNR 15. GP, 46) kein Verzicht auf die Mitwirkungspflicht des Gerichtes im Vorverfahren zum Ausdruck. Vielmehr ordnet im Gegenteil der vom Landesgericht für Strafsachen Wien und vom Oberlandesgericht Wien sichtlich übersehene § 9 Abs 1 ARHG die subsidiäre sinngemäße Geltung der Strafprozessordnung bei der Gesetzesvollziehung an. Der Auffassung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichtes Wien zuwider ist das vorliegende, in einem gerichtsanhängigen Strafverfahren zum Zweck der Überleitung des Inlandsverfahrens in ein Auslandsverfahren (§ 74 Abs 1 ARHG) gestellte Verlangen der Staatsanwaltschaft als Erhebungsantrag iSd § 88 Abs 1 StPO zu beurteilen. Dies auch mit Blick darauf, dass das österreichische Strafverfolgungsrecht selbst im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung des Beschuldigten durch ein Gericht des ersuchten Staates erst durch vollständige Vollstreckung oder Erlassung (endgültige Nachsicht) der ausländischen Strafe (§ 74 Abs 4 ARHG) erlischt, das inländische Strafverfahren somit erst unter diesen Prämissen (endgültig) einzustellen ist.

Die befassten Gerichte haben sich daher rechtsirrig auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die vom Staatsanwalt als dominus litis der Vorerhebungen (Foregger/Fabrizy StPO8 § 88 Rz 2) prozessordnungsgemäß begehrten Maßnahme berufen. Die Untersuchungsrichterin wäre gemäß § 88 Abs 1 StPO verpflichtet gewesen, dem in Rede stehenden Antrag des Anklägers zu entsprechen. Weil sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung im Hinblick auf Art 6 Abs 3 lit e EMRK iVm § 389 Abs 6 StPO, wonach dem Beschuldigten die Erstattung der Übersetzungskosten nicht überbunden werden kann, nicht zum Nachteil des Beschuldigten ausgewirkt hat, hat es mit deren Feststellung sein Bewenden.

Der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher wie im Spruch ersichtlich Folge zu geben.