JudikaturJustiz10Os150/86

10Os150/86 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1986

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Sulzbacher als Schriftführer in der Strafsache gegen Roland G*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 3. Februar 1986, AZ 9 Bl 8/86 (= GZ U 252/85-23 des Bezirksgerichtes Braunau am Inn) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Weber, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zum AZ U 252/85 des Bezirksgerichtes Braunau am Inn wurde durch die dem Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 3. Februar 1986, AZ 9 Bl 8/86, ON 23, zugrunde gelegte Rechtsansicht, daß die Innviertler Schnellstraße S 9 für die Dauer ihrer Benützung am 21.April 1985 zur Durchführung eines Radrennens von der Behörde teilweise gesperrt und daß dadurch die Anwendbarkeit der allgemeinen Fahrregeln der StVO für diese Zeit eingeschränkt worden sei, das Gesetz in den Bestimmungen des § 64 Abs. 3 StVO verletzt. Ansonsten wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem im oben bezeichneten Verfahren ergangenen Urteil des Bezirksgerichtes Braunau am Inn vom 7.Oktober 1985, ON 16, wurde Roland G*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Darnach hatte er am 21.April 1985 an einem Radrennen teilgenommen, bei dem auch die Innviertler Schnellstraße S 9 benützt wurde; alle Teilnehmer wußten, daß diese Straße nicht gänzlich abgesperrt werden durfte und dementsprechend sowohl mit Gegenverkehr als auch mit Verkehr in die gleiche Richtung zu rechnen war; vor der Spitze des Feldes fuhren drei Gendarmerie-Motorradfahrer und ein Ankündigungswagen des Veranstalters; der Gegenverkehr wurde von den Gendarmeriebeamten angehalten, in die gleiche Richtung fahrende Verkehrsteilnehmer wurden vom Wagen aus gewarnt und ersucht, äußerst rechts zu fahren.

Zur Zeit des Rennens benützte auch Anna E*** als Radfahrerin die zuvor bezeichnete Straße, wobei sie sich, in die gleiche Richtung fahrend, im Bereich der den rechten Fahrbahnrand anzeigenden Längsmarkierung bewegte. Nachdem sie von der Spitzengruppe der Rennfahrer überholt worden war, näherte sich in dichter Formation das (zur Ausnützung des Windschattens der Teilnehmer) nach rechts gestaffelte Hauptfeld, in dem die jeweils rechts außen Fahrenden den gleichen Straßenbereich benützten wie sie. Da die zuerst Nachkommenden erst unmittelbar hinter ihr zu einer äußerst knappen Überholbewegung ausschwenkten, kam es zu einer immer stärkeren Annäherung der folgenden Fahrer an E***, weil die Reaktionsmöglichkeiten und der Bewegungsspielraum der in der Windschatten-Formation fahrenden Teilnehmer durch ihren geringen Abstand voneinander eingeschränkt waren; G*** schließlich brachte keine ausreichende Linksschwenkung mehr zustande und stieß mit seinem rechten Handrücken gegen den Gepäckträger am Fahrrad der Genannten, die dadurch zum Sturz kam und ua einen Oberschenkelbruch erlitt. Vor der Kollison hätte er die Radfahrerin innerhalb einer objektiv gegebenen Sichtstrecke von 130 m sehen können, wobei er allerdings mindestens zwei weitere Rennfahrer-Gruppen vor sich hatte; jedenfalls bemerkte er sie deshalb erst unmittelbar vor dem Anstoß, weil er rennmäßig fuhr und daher nur auf seinen Vordermann achtete.

In rechtlicher Hinsicht ging das Bezirksgericht davon aus, daß das Radrennen auf einer in den Geltungsbereich der StVO fallenden Straße mit öffentlichem Verkehr ohne Ausschluß anderer Straßenbenützer stattgefunden hatte und daß darum die Verkehrsregeln dieses Gesetzes gegolten haben; demgemäß lastete es G*** als einen Verstoß gegen § 15 Abs. 4 StVO an, daß er beim Überholen der Anna E*** keinen ausreichenden Sicherheitsabstand einhielt.

Das Kreisgericht Ried im Innkreis gab der Berufung des genannten Angeklagten wegen Nichtigkeit mit Urteil vom 3.Februar 1986, AZ 9 Bl 8/86, ON 23, Folge und sprach ihn frei.

Dabei unterzog es den vom Bezirksgericht festgestellten Sachverhalt insofern einer abweichenden rechtlichen Beurteilung, als es annahm, daß ihm zufolge die Straße im Bereich der Unfallstelle aus Anlaß des Radrennens wenigstens teilweise "gesperrt" und dnshalb die StVO nicht uneingeschränkt anzuwenden gewesen sei; daraus leitete es ab, daß das Maß der objektiven Sorgfaltspflicht G***'s bei seiner Teilnahme am Rennen wegen des Fehlens aktueller Rechts- und Verkehrsnormen nach dem hypothetischen Verhalten eines gewissenhaften und einsichtigen Radrennfahrers zu beurteilen sei. Unter Anlegung dieses Maßstabs verneinte das Berufungsgericht eine objektive Sorgfaltswidrigkeit des Genannten, weil zwar ein allein, abgesetzt oder an der Spitze einer Windschatten-Formation fahrender Teilnehmer verpflichtet sei, den Straßenrand in bezug auf allfällige Hindernisse selbst zu beobachten, nicht aber ein in einen derartigen Pulk eingeordneter, der zur Vermeidung von Kollisionen auf seine Nebenleute zu achten habe und von dem man nicht verlangen könne, daß er immer wieder ausscheren müsse, um sich nach weiter vorne selbst Sicht zu verschaffen; ein innerhalb einer derartigen Windschatten-Formation Fahrender dürfe daher darauf vertrauen, daß der jeweils die Fahrlinie des gesamten Pulks bestimmende Spitzenfahrer einen für alle ausreichenden Sicherheitsabstand beim Vorbeifahren oder Überholen wählen werde. Demgemäß lastete es G*** eine Fahrlässigkeit im Sinn des § 6 StGB nicht an.

Nach Ansicht der Generalprokuratur steht die Rechtsmittelentscheidung des Kreisgerichtes Ried im Innkreis insofern mit dem Gesetz nicht im Einklang, als der festgestellte Sachverhalt nicht die (in der Begründung geäußerte) Annahme zulasse, daß die Straße im Bereich der Unfallstelle aus Anlaß des Radrennens gemäß § 64 Abs. 3 StVO wenigstens teilweise gesperrt und daß schon dadurch die Anwendbarkeit der allgemeinen Fahrregeln der StVO eingeschränkt worden sei und als Roland G*** deshalb sehr wohl einen (vom Berufungsgericht negierten) Verstoß gegen seine gesetzliche Verpflichtung, beim Überholen der Radfahrer einen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden Abssand einzuhalten, den er im Rahmen einer durch risikoträchtiges "Windschattenfahren" und "Pulkfahren" gekennzeichneten Fahrweise begangen habe, als objektive Sorgfaltswidrigkeit im Sinn des § 6 StGB anzulasten sei.

Dieser Auffassung vermag sich der Oberste Gerichtshof nur zum Teil anzuschließen.

Rechtliche Beurteilung

Tatsächlich verfehlt ist die rechtliche Annahme des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Fall die Straße im Bereich der Unfallstelle aus Anlaß des Radrennens "teilweise gesperrt" worden sei.

Denn die Sperre einer Straße für die Dauer einer darauf stattfindenden - und demgemäß der behördlichen Bewilligung bedürftigen (§ 64 Abs. 1 StVO) - sportlichen Veranstaltung für den sonstigen Verkehr, zu der die Behörde nach § 64 Abs. 3 StVO unter den dort angeführten Voraussetzungen ermächtigt ist, besteht in der Erlassung eines Fahrverbots (vgl § 43 Abs. 1 lit b iVm Abs. 7 sowie Abs. 2 lit b StVO) und wird demnach durch Verordnung verfügt; eine (ebendort vorgesehene) lediglich teilweise Sperre kann durch die Anordnung eines auf bestimmte Fahrzeugarten oder auf bestimmte Straßenteile beschränkten Fahrverbots herbeigeführt werden (vgl Dittrich-Stolzlechner, StVO3, Rz 11, 14 zu § 64).

Die bloße Veranlassung der Überwachung und Begleitung eines Rennens durch die Gendarmerie (§ 96 Abs. 6 StVO) - im Rahmen des behördlichen Bewilligungsbescheids - hingegen, durch die der allgemeine Verkehr keineswegs von der bestimmungsgemäßen (§ 2 Abs. 1 Z 1 StVO) Benützung der zugleich als Rennstrecke dienenden Straße ausgeschlossen wird, oder individuelle Anordnungen von Straßenaufsichtsorganen (im Verlauf eines derartigen Einsatzes) an einzelne Straßenbenützer (§ 97 Abs. 4 StVO), worauf das Berufungsgericht (mit Bezug auf die im vorliegenden Fall ergangenen Anordnungen der Gendarmerieeskorte) abgestellt zu haben scheint, entprechen nicht den begrifflichen Voraussetzungen einer "teilweisen Sperre" der betreffenden Straße im Sinn des § 64 Abs. 3 StVO. An sich zutreffend zeigt die Generalprokuratur des weiteren auf, daß selbst die (nach dem Gesagten nicht aktuelle) tatsächliche Anordnung der (wenigstens teilweisen) Sperre einer Straße nach § 64 Abs. 3 StVO als solche noch nicht auch schon eine (dort ebenfalls vorgesehene) Einschränkung des Anwendungsbereichs von Vorschriften der StVO bedeuten würde, sondern lediglich als (primäre) Voraussetzung für eine dahingehende weitere Befugnis der Behörde anzusehen wäre, mit (hier jedenfalls nicht getroffener) gesonderter Verfügung - gleichfalls in Form einer Verordnung (vgl Dittrich-Stolzlechner aaO Rz 17) - über die Sperre der Straße hinaus außerdem Ausnahmen von den Verkehrsregeln zuzulassen. Eine (vom Berufungsgericht anscheinend im Weg eines Umkehrschlusses unterstellte) gegenteilige Rechtsansicht, die zudem mit dem klaren Gesetzeswortlaut im Widerspruch stünde, kann auch einer in der Rechtsmittelentscheidung zitierten Kommentarstelle (Kammerhofer-Benes, StVO7, Anm 3 zu § 64) nicht entnommen werden. Insoweit war daher in (teilweiser) Stattgebung der zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde festzustellen, daß durch die dem Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 3.Februar 1986 zugrunde gelegte Rechtsansicht, die Innviertler Schnellstraße S 9 sei für die Dauer ihrer Benützung am 21.April 1985 zur Durchführung eines Radrennens von der Behörde teilweise gesperrt und dadurch sei die Anwendbarkeit der allgemeinen Fahrregeln der StVO für diese Zeit eingeschränkt worden, das Gesetz in den Bestimmungen des § 64 Abs. 3 StVO verletzt wurde.

Daraus, daß die Behörde davon Abstand nimmt, nach der zuletzt relevierten Gesetzesstelle Ausnahmen von den Verkehrsregeln zuzulassen, ist freilich - wie zur Klarstellung vermerkt sei - entgegen der von der Generalprokuratur (im Anschluß an Dittrich-Stolzlechner aaO Rz 15; ebenso Kammerhofer-Benes aaO) vertretenen Ansicht nicht abzuleiten, daß die Teilnehmer an einem Radrennen während der betreffenden Veranstaltung (gleich jedem anderen Straßenbenützer) sämtliche Vorschriften der StVO zu beachten haben. Denn das Gesetz sieht die Zulassung sportlicher Veranstaltungen auf öffentlichen Straßen ungeachtet dessen vor (§ 64 StVO), daß es dabei in einzelnen Belangen geradezu wesensmäßig (und demnach notorisch) selbst im Rahmen einer regelgerechten Ausübung der betreffenden Sportart auf ein den betreffenden Vorschriften für die Straßenbenützung zuwiderlaufendes Verhalten der Teilnehmer ankommt, so daß die Einhaltung jener Verbotsnormen den Sinn derartiger Veranstaltungen schlechthin ad absurdum führen würde (vgl Kammerhofer-Benes aaO Anm 1, Dittrich-Stolzlechnner aaO Rz 1). Dem ist zu entnehmen, daß solche Vorschriften, deren Beachtung eine sinnvolle Durchführung der behördlich genehmigten Veranstaltung überhaupt ausschlösse - wie etwa § 15 Abs. 3 (iVm § 11 Abs. 2 und 3) StVO, bei dessen Geltung auch die Teilnehmer an Radrennen jeden bevorstehenden Überholvorgang rechtzeitig durch ein deutliches Handzeichen anzuzeigen verpflichtet wären -, auf ein regelkonformes, die Grenzen freiwilliger Selbstgefährdung der Teilnehmer nicht überschreitendes und demgemäß sozialadäquates Verhalten von vornherein gar nicht gemünzt sind (vgl Burgstaller im WK § 6 Rz 37 sowie 'Fahrlässigkeitsdelikt', S 39-41; Nowakowski in WK Vorbem zu §§ 3-5 Rz 24-26; Kienapfel AT Z 25 RN 17 sowie BT I2 § 80 RN 57; Leukauf-Steininger StGB2 § 3 RN 60-66), so daß auch pauschalierende Floskeln in Genehmigungsbescheiden dahin, daß "die straßenpolizeilichen Vorschriften einzuhalten" seien, in diesem Umfang ins Leere gehen.

Die darnach unzulässige Verallgemeinerung bei der Annahme einer uneingeschränkten Geltung der StVO auch bei Radrennen auf nicht gesperrten öffentlichen Straßen - mit der zudem die Bedeutung von Gendarmerie-Eskorten übergangen wird, in deren Tätigkeit verschiedentlich noch weitergehend dispensierende individuelle Anordnungen im Sinn des § 97 Abs. 4 StVO gelegen sein können - ist indessen im hier aktuellen Fall nicht von Belang, weil § 15 Abs. 4 StVO, wonach beim Überholen ein der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechender seitlicher Abstand vom zu überholenden Fahrzeug einzuhalten ist, in bezug auf das Überholen von nicht am Rennen teilnehmenden Straßenbenützern durch Veranstaltungsteilnehmer nach dem zuvor Gesagten gewiß nicht schon durch die behördliche Bewilligung der betreffenden Veranstaltung obsolet wird.

Insoweit geht aber die Generalprokuratur nicht darauf ein, daß das Berufungsgericht - trotz der (wegen einer vermeintlichen Sperre der Innviertler Schnellstraße S 9) rechtsirrig angenommenen Einschränkung des Wirksamkeitsbereichs der StVO - inhaltlich ohnehin von einer der zuletzt bezeichneten Verkehrsvorschrift entsprechenden Sorgfaltspflicht aller Teilnehmer an dem hier interessierenden Radrennen gegenüber anderen Straßenbenützern ausgegangen ist, indem es einerseits klarstellte, auch der Angeklagte habe mit der Möglichkeit eines Aufenthalts anderer Verkehrsteilnehmer im Bereich des rechten Straßenrandes rechnen müssen, und ihm anderseits zubilligte, er habe als in der Windschatten-Formation Fahrender darauf vertrauen dürfen, daß der jeweilige Spitzenfahrer beim Vorbeifahren oder beim Überholen eines am rechten Fahrbahnrand befindlichen anderen Verkehrsteilnehmers einen entsprechenden Sicherheitsabstand einhalten werde.

Die auf dem Übergehen dieser Entscheidungsbegründung beruhende weitere Beschwerdeauffassung, das Kreisgericht sei im gegebenen Fall zufolge der verfehlten Annahme einer Unanwendbarkeit der StVO zu Unrecht zur Negierung einer Verpflichtung, beim Überholen der Radfahrerin einen der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden Abstand einzuhalten, einer im Verstoß dagegen gelegenen objektiven Sorgfaltswidrigkeit in der Bedeutung des § 6 StGB und damit einer "Fahrlässigkeitsschuld" des Roland G*** gelangt, ist demnach verfehlt; denn darauf, ob eine ohnedies angenommene Sorgfaltspflicht aus einer bestimmten Rechtsvorschrift oder inhaltsgleich aus dem hypothetischen Verhalten einer Normfigur abgeleitet wird, kommt es bei der Prüfung der Frage, ob der Täter im Sinn des § 6 Abs. 1 StGB diejenige Sorgfalt außer acht gelassen hat, zu der er "nach den Umständen" verpflichtet war, nicht an. In Wahrheit beruht der Freispruch vielmehr auf der Rechtsansicht, der Angeklagte habe dadurch, daß er ohne eigene Beobachtung des Straßenrandes in bezug auf allfällige Hindernisse nur die Fahrweise der in der Windschatten-Formation unmittelbar vor und neben ihm gefahrenen Teilnehmer beachtete, um allenfalls notwendige Schwenkbewegungen des Pulks kollisionsfrei mitmachen zu können, der ihm (inhaltlich unstrittig) oblegenen Sorgfaltspflicht (iS des § 15 Abs. 4 StVO) beim (ojektiv bevorgestandenen) Überholen der Anna E*** entsprochen; jene Urteilsannahme aber bleibt in der Wahrungsbeschwerde folgerichtig ebenfalls unerwähnt und wird von der Generalprokuratur nur der Sache nach mit der vorwegnehmenden bloßen Behauptung abgetan, "der Verstoß" gegen die gesetzliche Verpflichtung zur Einhaltung eines der Verkehrssicherheit und der Fahrgeschwindigkeit entsprechenden Sicherheitsabstands beim Überholen der Radfahrerin (im Rahmen einer durch risikoträchtiges "Windschattenfahren" und "Pulkfahren" gekennzeichnete Fahrweise) sei "somit" - gemeint: infolge der (vom Berufungsgericht verkannten) Anwendbarkeit des § 15 Abs. 4 StPO - objektiv sorgfaltswidrig. Dieser Beurteilung, die im praktischen Effekt auf die Annahme eines - von der Behörde nicht nur (durch die Bewilligung derartiger Veranstaltungen) bewußt tolerierten, sondern (durch die Beistellung von Gendarmerie-Eskorten) sogar aktiv geförderten - rechtswidrigen Verhaltens faktisch sämtlicher Teilnehmer an so gut wie allen Radrennen auf nicht gesperrten öffentlichen Straßen in Österreich hinauslaufen würde, vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizupflichten.

Denn zu einer die objektive Sorgfaltswidrigkeit (§ 6 Abs. 1 erste Prämisse StGB) eines bestimmten Tatverhaltens in bezug auf das Schutzobjekt (hier die körperliche Unversehrtheit) eines Fahrlässigkeitstatbestands (hier: des § 88 StGB) indizierenden, durch dieses Verhalten primär bewirkten "Verletzung" einer anderen Rechtsvorschrift (hier: des § 15 Abs. 4 StVO) ist vorauszusetzen, daß der Täter nicht bloß äußerlich gegen jene Schutznorm verstößt, sondern (bewußt oder unbewußt) zumindest ihr objektiv sorgfaltswidrig zuwider handelt; in der lediglich äußeren Nichteinhaltung einer Schutzvorschrift hingegen, ohne daß das betreffende Tatverhalten einen immerhin darauf bezogenen objektiven Sorgfaltsverstoß bedeutet, liegt noch keine Gesetzesverletzung (im Sinn einer Pflichtwidrigkeit), aus der ein Indiz für eine objektive Sorgfaltswidrigkeit der Tat mit Bezug auf das durch den Fahrlässigkeitstatbestand geschützte Rechtsgut abgeleitet werden könnte.

Im vorliegenden Fall kommt es daher - wie das Berufungsgericht im Ergebnis richtig erkannt hat - darauf an, ob die rein äußerlich als Zuwiderhandeln gegen § 15 Abs. 4 StVO in Erscheinung getretene Fahrweise des Angeklagten bei seiner Annäherung an Anna E*** auf einer objektiven Pflichtverletzung durch ihn beruhte oder nicht:

nur bejahendenfalls könnte ihm die (auch eine objektive Sorgfaltswidrigkeit in bezug auf die körperliche Sicherheit der Radfahrerin indizierende) "Verletzung" der in Rede stehenden Verkehrsvorschrift als (mittelbar demselben Rechtsgüterschutz dienender) Schutzbestimmung angelastet werden.

Insoweit ist indessen der Rechtsansicht des Kreisgerichtes Ried im Innkreis zuzustimmen, derzufolge Roland G***, dem gedachten Verhalten eines gewissenhaften und einsichtigen Radrennfahrers entsprechend, "nach den (zur Tatzeit vorgelegenen) Umständen" (§ 6 Abs. 1 erste Prämisse StGB) nicht verpflichtet war, den Straßenrand in bezug auf allfällige Hindernisse - wie ansonsten in aller Regel - selbst zu beobachten, sondern vielmehr als in eine Windschatten-Formation Eingeordneter darauf vertrauen durfte, daß der jeweilige Spitzenfahrer einen für alle ausreichenden Seitenabstand beim Vorbeifahren oder Überholen wählen werde; bei einer gegenteiligen Auffassung könnten Radrennen auf nicht gesperrten Straßen von rechtstreuen Fahrern faktisch nicht mehr bestritten werden. Aus der Risikoträchtigkeit des "Windschattenfahrens" und des "Pulkfahrens" ist demgegenüber im Zusammenhang mit behördlich bewilligten Straßenrennen nichts zu gewinnen. Denn die damit verbundene unvermeidliche Gefährdung der daran beteiligten Rennfahrer liegt evidentermaßen innerhalb des Bereichs der Sozialadäquanz, und die Vorsorge für eine das Unterbleiben einer Gefährdung anderer Straßenbenützer (bei ihnen zusinnbarer Rücksichtnahme) erwarten lassende Abwicklung derartiger Rennen obliegt der bewilligenden Behörde; den Teilnehmern mit dem Ziel der rechtlich gebilligten Sportausübung zuwiderlaufende faktisch unrealisierbare Sorgfaltspflichten aufzuerlegen, ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung.

In Ansehung der zudem beantragten Feststellung, das Berufungsgericht habe durch die Negierung einer dem Angeklagten zur Last fallenden objektiven Sorgfaltswidrigkeit das Gesetz überdies in der Bestimmung des § 6 (Abs. 1) StGB verletzt, war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen.

Demnach sei nur noch der Vollständigkeit halber vermerkt, daß sich eine derartige Konstatierung lediglich auf die in den Gründen der Berufungsentscheidung zum Ausdruck gebrachte dahingehende Rechtsansicht hätte erstrecken können und nicht auch auf "das freisprechende Urteil" als solches, also auf das Ergebnis der Entscheidung; denn die Annahme einer Gesetzwidrigkeit des Freispruchs als solchen hätte über eine objektive Sorgfaltswidrigkeit hinaus auch noch eine subjektive Sorgfaltswidrigkeit des Tatverhaltens und die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens (§ 6 Abs. 1 zweite und dritte Prämisse StGB) auf Seiten des Angeklagten vorausgesetzt, die in der Wahrungsbeschwerde nicht dargetan werden.

Rechtssätze
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