JudikaturJustiz10ObS99/14b

10ObS99/14b – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Goldsteiner Strebinger Rechtsanwälte GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2014, GZ 9 Rs 149/13t 37, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits und Sozialgericht vom 7. Juni 2013, GZ 2 Cgs 164/11d 34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der 1952 geborene Kläger schloss eine Schlosserlehre mit Lehrabschlussprüfung im Februar 1971 ab. In den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag (1. 9. 2011) war er bis 1. 2. 1997 als Schlosser, vom 3. 2. 1997 bis 18. 7. 1997 als Heizungs , Lüftungs und Klimaanlagenmonteur, vom 21. 7. 1997 bis 18. 2. 2009 bei der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) als Klimatechniker (Service und Wartung von Klimaanlagen sowie Installation von Klimageräten) tätig. Vom 1. 11. 2009 bis 31. 8. 2011 war er bei der Diakonie beschäftigt, wo er Zuluft und Abluftanlagen wartete und reparierte.

Während der Beschäftigung bei der UNIDO leistete der Kläger Beitragszahlungen in den Pensionsfonds der Vereinten Nationen (United Nations Joint Staff Pension Fund). Dort trat er per 18. 2. 2009 in den Ruhestand. Seither erhält er aus diesem Fonds zwölfmal im Jahr einen lebenslangen Versorgungsgenuss. Er kann keine berufsschutzerhaltenden Verweisungstätigkeiten im Lehrberuf des Schlossers ausüben, bei denen sein im einzelnen festgestelltes medizinisches Leistungskalkül nicht überschritten würde.

Mit Bescheid vom 8. 11. 2011 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 4. 8. 2011 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab.

Das Erstgericht wies die gegen diesen Bescheid auf Gewährung der Berufsunfähigkeitspension gerichtete Klage ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich führte es aus, der Kläger habe die Tätigkeit eines Arbeiters verrichtet, sodass § 255 ASVG anzuwenden sei. Während seiner Tätigkeit bei der UNIDO sei er nicht der österreichischen Pflichtversicherung unterlegen, zumal Art 15 des mit 1. 11. 2010 in Kraft getretenen Abkommens zwischen der Republik Österreich und der UNIDO für den Kläger nicht anwendbar sei. Da deshalb diese Zeiten bei der Beurteilung eines Berufsschutzes (§ 255 Abs 1 und 2 ASVG) und eines Tätigkeitsschutzes (§ 255 Abs 4 ASVG) des Klägers nicht zu berücksichtigen seien, erfülle er nicht die Voraussetzungen einer Einschränkung des Verweisungsfeldes nach diesen Bestimmungen. Sein Anspruch richte sich nach § 255 Abs 3 ASVG. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne der Kläger aber auch mit seinem eingeschränkten Leistungskalkül noch zahlreiche Berufstätigkeiten ausüben, sodass er keinen Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Gehe man im Sinn der Berufungsausführungen des Klägers davon aus, dass für ihn nicht das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der UNIDO, BGBl III 2010/111 („UNIDO-Abkommen neu“), sondern das Abkommen zwischen der Regierung der Republik Österreich und der UNIDO, BGBl 1971/424 („UNIDO-Abkommen alt“), anzuwenden sei, sei für ihn nichts gewonnen. Nach Art 5 des UNIDO-Abkommens alt gelte die Zeit der Zugehörigkeit eines Angestellten zum Pensionsfonds der Vereinten Nationen nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des ASVG als neutrale Zeit in der österreichischen Pensionsversicherung. Dabei handle es sich nicht um neutrale Monate nach § 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG. Da die Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zum Pensionsfonds auch nicht unter einen anderen Tatbestand des § 255 Abs 4 Z 1 und 2 ASVG zu subsumieren seien, könnten diese Zeiten nicht bei der Beurteilung des Tätigkeitsschutzes berücksichtigt werden. Art 15 des UNIDO- Abkommens neu gelte für den Kläger nicht, denn er habe weder am 1. 7. 1996 noch bei Inkrafttreten dieses Abkommens am 1. 11. 2010 dem Pensionsfonds angehört. Demnach seien die vor dem Inkrafttreten des Abkommens zurückgelegten Zeiten der Beschäftigung des Klägers bei der UNIDO, während der er dem Pensionsfonds angehört habe, für den Erwerb eines Leistungsanspruchs aus der österreichischen Pensionsversicherung nicht so zu berücksichtigen, als wären sie Beitragszeiten der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung. Da er bei Inkrafttreten des UNIDO-Abkommens neu bei der UNIDO bereits im Ruhestand gewesen sei und einen Versorgungsgenuss aus dem Pensionsfonds bezogen habe, falle er nicht unter die Angestellten der UNIDO, die zu den genannten Zeitpunkten „dem Pensionsfonds angehörten bzw angehören“. Die Frage, ob in einem Vertragsstaat oder bei einer internationalen Organisation zurückgelegte Versicherungszeiten für den Berufsschutz oder Tätigkeitsschutz zu berücksichtigen seien, könne nur nach dem Regelungsinhalt des konkreten Abkommens entschieden werden. Weder aus dem UNIDO- Abkommen alt noch aus dem UNIDO-Abkommen neu ergebe sich für den Kläger, dass die Zeit seiner Zugehörigkeit zum Pensionsfonds der UNIDO als Beitragszeit der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung gelte.

Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu den UNIDO-Abkommen alt und neu, insbesondere zu Art 15 des UNIDO-Abkommens neu, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Die von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht zum einen geltend, dass seine Zeiten der Beschäftigung bei der UNIDO als „neutrale Zeiten“ gemäß § 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG anzusehen seien, sodass er zumindest Tätigkeitsschutz genieße. Zum anderen meint er, Art 15 des UNIDO- Abkommens neu finde auf ihn Anwendung, weil er Teilnehmer („participant“) am Pensionsfonds der Vereinten Nationen sei, nehme er doch infolge des lebenslangen Versorgungsgenusses nach wie vor am Pensionsfonds teil. Es liege eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor, weil im UNIDO-Abkommen alt die Berücksichtigung der bei der UNIDO zurückgelegten Versicherungszeiten für den Berufs- oder den Tätigkeitsschutz nicht vorgesehen sei. Eine Ungleichbehandlung liege auch im Vergleich zu GSVG Versicherten vor, deren Zeiten beim Berufs bzw beim Tätigkeitsschutz berücksichtigt würden. Nach Art 28 Abs 2 lit b des UN Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, Menschen mit Behinderung einen „gleichberechtigten Zugang zu Leistungen und Programmen der Altersversorgung zu sichern“. Der Kläger sei aufgrund seiner Einschränkungen als Mensch mit Behinderungen zu bezeichnen, weil er im Vergleich zu einem gesunden Menschen keine vergleichbare Arbeit leisten könne.

Hiezu wurde erwogen:

Art 15 Abs 1 des UNIDO Abkommens neu lautet:

„(1) Für Angestellte, die am 1. Juli 1996 oder bei Inkrafttreten dieses Abkommens dem Pensionsfonds angehörten bzw angehören und vor dem in Betracht kommenden Zeitpunkt mindestens 12 Versicherungsmonate in der österreichischen Pensionsversicherung erworben haben, werden, soweit erforderlich, die vor dem Inkrafttreten dieses Abkommens zurückgelegten Zeiten einer Beschäftigung bei der UNIDO, während der der/die Angestellte dem Pensionsfonds angehörte, für den Erwerb eines Leistungsanspruchs aus der österreichischen Pensionsversicherung berücksichtigt, als wären es Beitragszeiten der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung.“

In der gleichfalls authentischen, bei divergierenden Interpretationen des Inhalts des Abkommens maßgeblichen Fassung in englischer Sprache (Art 20 des Abkommens) lautet die Bestimmung:

(1) In the case of officials who were participants in the Pension Fund on 1 July 1996 or who are participants at the time of entry into force of this Agreement, and who prior to those respective dates have completed at least 12 insurance months in the Austrian pension insurance scheme, the periods of service with the UNIDO, during which the official had participated in the Pension Fund prior to entry into force of this Agreement shall be treated, where necessary, as contributory periods of compulsory insurance for the purpose of determining eligibility for benefits under the Austrian pension insurance scheme.“

Der Begriff „Pensionsfonds“ („Pension Fund“) bezieht sich auf den Gemeinsamen Pensionsfonds für das Personal der Vereinten Nationen (United Nations Joint Staff Pension Fund; Art 1 Z 5 des Abkommens).

Nach dem Sprachgebrauch des Pension Fund bezieht sich der Ausdruck participant auf aktive Mitglieder des Personals, die zur Teilnahme am Pensionsfonds berechtigt sind, oder allgemein auf diejenigen Mitglieder des Personals, die aktiv mit einem Teil (7,9 %) ihres pensionsfähigen Gehalts zum Fonds beitragen. Den Ausdruck beneficiary gebraucht der Pension Fund in Bezug auf frühere Teilnehmer (participants) am Fonds, die den Dienst beendet haben und Anspruch auf periodische Leistungen vom Fonds haben (s www.unjspf.org ).

Demnach gehörte der Kläger weder am 1. 7. 1996 noch am Tag des Inkraftretens des UNIDO Abkommens neu am 1. 11. 2010 dem Pensionsfonds an, weshalb er nicht in den Anwendungsbereich des Art 15 Abs 1 des UNIDO Abkommens neu fällt, sodass die Zeiten seiner Beschäftigung bei der UNIDO, während der er dem Pensionsfonds angehörte, keine Beitragszeiten der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung sind.

Nach Art 5 des am 1. 11. 2010 (vgl Art 18 des UNIDO Abkommens neu) außer Kraft getretenen UNIDO Abkommens alt gilt die Zeit der Zugehörigkeit eines Angestellten zum Pensionsfonds nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des ASVG als „neutrale“ Zeit in der österreichischen Pensionsversicherung.

Da der Kläger demnach in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten seinen erlernten Beruf ausgeübt hat, gilt er nicht als invalid im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG.

Nach § 255 Abs 4 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 verlängert sich der Beobachtungszeitraum für eine Invalidität nach dieser Gesetzesstelle um in diesen Zeitraum fallende „neutrale Monate nach § 234 Abs 1 Z 2 lit a oder Monate des Bezugs von Übergangsgeld nach § 306“.

Gemäß § 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG sind als neutral folgende Zeiten anzusehen, die nicht Versicherungszeiten sind:

„2. ... Zeiten, während derer der Versicherte einen bescheidmäßigen zuerkannten Anspruch auf eine Leistung aus einem Versicherungsfall des Alters nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz oder aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach diesem Bundesgesetz bzw aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz oder dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz ... hatte ...“

Da die Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zum Pensionsfonds während seiner Beschäftigung nicht neutrale Zeiten im Sinn des § 234 Abs 1 Z 2 lit a ASVG sind, andere neutrale Zeiten den Beobachtungszeitraum nicht verlängern (RIS Justiz RS0119767) und der Kläger mangels Gleichstellung seiner Beschäftigungszeiten bei der UNIDO mit Zeiten der Pflichtversicherung in der österreichischen Pensionsversicherung (vgl 10 ObS 29/02s) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag in weniger als 120 Kalendermonaten eine der Pflichtversicherung unterliegende Tätigkeit (vgl 10 ObS 42/07k, SSV-NF 21/33) ausübte, gilt er auch nicht als invalid im Sinn des § 255 Abs 4 ASVG.

Die zutreffende Beurteilung der Vorinstanzen, dass der Kläger nicht invalid im Sinn der maßgeblichen Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG ist, stellt er nicht in Frage.

Der österreichische Gesetzgeber ist unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes (Art 7 B-VG), nicht gehalten, die Berücksichtigung von Zeiten der Beschäftigung eines UNIDO Angestellten, während der er dem Pensionsfonds angehörte, für den Berufsschutz (§ 255 Abs 1 ASVG) oder den Tätigkeitsschutz nach § 255 Abs 4 ASVG vorzusehen, ist es doch nicht unsachlich, jemanden, der nicht in das österreichische Sozialversicherungssystem integriert ist, mit einer nicht versicherten Tätigkeit nicht in den Genuss des erleichterten Zugangs zu einer Leistung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit kommen zu lassen (vgl 10 ObS 42/07k, SSV-NF 21/33). Dass die Begünstigung des Art 15 Abs 1 des UNIDO Abkommens neu nur Personen erfasst, die an bestimmten Stichtagen dem Pensionsfonds angehörten, erweckt keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung des Staatsvertrags, ist doch eine zeitliche Differenzierung bei den Anspruchsvoraussetzungen durch eine Stichtagsregelung grundsätzlich nicht gleichheitswidrig (stRsp; RIS Justiz RS0117654, RS0053393).

Unverständlich ist schließlich der Hinweis des Revisionswerbers auf Art 28 Abs 2 lit b des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BGBl III 2008/155), wonach die Vertragsstaaten geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung des Rechts von Menschen mit Behinderungen auf sozialen Schutz und den Genuss dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung unternehmen, einschließlich Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen, insbesondere Frauen und Mädchen sowie älteren Menschen mit Behinderungen, den Zugang zu Programmen für sozialen Schutz und Programmen zur Armutsbekämpfung zu sichern. Dass Menschen mit Behinderungen in Österreich nicht den gleichen Zugang zu Angeboten und Maßnahmen des sozialen Schutzes wie nicht behinderte Menschen haben, legt der Revisionswerber nicht dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 ASGG. Berücksichtigungswürdige Gründe für einen Kostenersatz im Sinne des Abs 1 Z 2 lit a leg cit sind nicht hervorgekommen.

Rechtssätze
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